Tagtraum

Ich stehe vor dem Spiegel und betrachte meinen eingeschäumten Bart während ich das Rasiermesser aufklappe. Vor einem Jahr noch wäre mir das tägliche Rasieren nicht in den Sinn gekommen, mittlerweile gehört es zu meinem Alltag. Außerdem finde ich das Geräusch, wie sich die Klinge der Bartstoppeln annimmt ziemlich beruhigend. Ein letzter, prüfender Blick und ich lege die Klinge an mein Gesicht. Mit jeder Bewegung der Klinge drifte ich immer weiter in meine Gedanken ab.


Wie so oft sitze im Park und lese in einem Buch. Nur eine kleine Pause in der ich den Blick über den Platz schweifen lasse und auf der anderen Seite eine Frau entdecke. Ganz für sich alleine hat sie eine Decke ausgebreitet und einen Picknick-Korb mitgebracht. Auch sie liest gerade in einem Buch doch scheint es ein ganz anderes Genre zu sein. Ich höre wie sie kichert, sehe ihr lächeln als sie umblättert. Ganz in ihrer Welt gefangen scheinen sie nicht einmal die lauten Stimmen zu stören, die gelegentlich hörbar sind und mich immer wieder dazu bringen, dass ich meinen Satz von vorne lesen muss. Ich habe das Gefühl als könnte ich ihr Stundenlang dabei zusehen, wie sie liest. Mein Buch schlage ich zu und lege es auf meinem Schoß ab. Wie unhöflich von mir sie so anzustarren während mir der bloße Anblick dieser Frau ein Lächeln auf die Lippen zaubert.


“Ouch!” fluche ich als ich mich beim Rasieren schneide und dahin ist der Tagtraum. Nur das Gefühl bleibt noch…Sehnsucht…Hoffnung…und schließlich Trauer als mir bewusst wird, dass es nur eine Träumerei war.

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