Derbe Sprache, Beleidigungen, Gebrüll
"Aufwachen, Abschaum!"
Tritte gegen irgendwelche Bettgestelle. Absolut ungöttliche Flüche. Gebrüll um 3 Uhr morgens. Kein Sonnenlicht scheint. Drei Betten weiter wird ein Kamerad unter benommenem Gejammer gewaltvoll aus dem Schlaf gezerrt.
"AUS DEM BETT, WICHSER! Ich sagte aufstehen!"
Zaeed reibt sich die Augen und erkennt im Halbdunkel der Kerzen nur seinen müden Kreislauf. Das ist der vierte Tag in Folge, an dem ihnen Schlaf geraubt wird. Nach zu wenigen Stunden donnert der Ausbilder in das Dormitorium und prügelt alle auch aus den tiefsten Träumen.
"In zehn Minuten seid ihr VOLLZÄHLIG auf dem Paradeplatz! WER BIS DAHIN NICHT DA IST BEKOMMT SEINE BESCHISSENEN BEINE VON MIR GEBROCHEN UND KANN DIE AUFWÄRMRUNDEN KRIECHEN! LOS, LOS, LOS!"
Hektik bricht aus. Die sechste Woche. Kopfschmerzen sind normal, Muskelkater der einzige Freund. Getrampel, weiteres Gebrüll der Kameraden. Das hier macht sie aggressiv. Schlafentzug, Wut, rohe Gewalt, es ist ein blutrünstiges Gehege voller junger Bestien. Manche sind so kurz vor dem Zusammenbruch, jeder Atemzug gleicht dem Pfeifen einer perforierten Lunge. Ein Kamerad rempelt einen anderen kräftig an. Sie brüllen sich harsch an. Aber keiner wagt es, jetzt eine Prügelei anzufangen. Nicht, wenn der Ausbilder wartet.
Tirok, ein Bulle von einem Mann, steht in einfachstem Drillich breitbeinig und streng auf dem Paradeplatz. Ein junger Mensch nach dem anderen reiht sich vor ihm auf. Viele Augen sind kaum offen. Der Mangel an irgendwelchem Sonnenlicht hilft nicht. Nur Laternen erleuchten das nasse Pflaster des Innenhofs.
"Tag 38! Ihr wisst, was ich sehen will! Zehn Runden! Der letzte rennt zwei mehr! LOS!"
Jede Runde dauert selbst im Sprint mehr als eine Minute. Schon jetzt beschwert sich sein Herz. Aber der Blick, voll von in den Verstand gemeißelter Wut über den Ausbilder, über die anderen, über das alles hier steht in Flammen. Das Kommando des Ausbilders versetzt sie rasch in Bewegung. Manche rennen zu schnell und müssen schon ab der zweiten Runde Seitenstechen bekämpfen.
"BEWEG DEINEN WIDERWÄRTIGEN FETTARSCH, VUKIC! FAULE DRECKSÄCKE WIE DU WIDERN MICH AN! SCHNELLER!"
Es gibt hier keine falsche Etikette. Oder irgendwelche Würde. Offen werden Zähne gezeigt, die Lippen zurückgezogen, einige Kameraden schreien auf, treiben sich selbst an. Die Stimme des Ausbilders donnert wie Kanonenladungen über ihre zotteligen Schlafköpfe.
"HAMON, WAS SOLL DAS WERDEN?! AB INS VORDERE DRITTEL! SONST SCHREIB ICH DEINER SCHEIß MUTTER EINEN HÄSSLICHEN BRIEF, NIPPELLUTSCHER!"
Schon nach der vierten Runde zieht sich seine Lunge zusammen. Auch die Brauen leiten sämtliche Schweißtropfen über eine natürliche Faltenrinne zusammengekniffen zur Nase. Es sieht aus, als weine er. Dabei sind es nur salzige Schweißtropfen, die über seine Wangen rollen.
"SCHNELLER! WERDET SCHNELLER, IHR SEID ALLE ZU LAHM! BEIßT EUREN SCHMERZ! MEHR, SEID BESSER!"
Die Runden nähern sich dem Ende und die Kälte des gottlos frühen Morgens beißt in seiner Lunge. Es gab sie schon, einige mit Entzündungen. Aber das ist Nebensache. Jetzt zählen Ergebnisse. Das Durchbeißen. Das Ertragen und Bewältigen. Wer auf dem Weg aufgibt, wer von Körper oder Verstand in die Knie gezwungen wird, bleibt zurück. Kameradschaft gibt es hier nicht. Noch nicht.
"AUFSTELLUNG!" Die ersten 'Gewinner' haben ihre Runden beendet. Sie erwartet kein Preis. Ihre Belohnung ist die ausbleibende Schmach, nicht gewonnen zu haben. Mit über den Platz schabenden Ledersohlen kommen sie zügig in der Eiseskälte vor Tirok zum Stehen. Mehr und mehr stoßen hinzu. Sie stehen zwar in einer Reihe, aber keiner ist ruhig. Beinahe jeder ringt mit Atem, eine Aufreihung nach Luft geifernder Münder. Auch Zaeed beendet im groben Mittelfeld seine Bahnen. Das war das Aufwärmen.
"Auf den Boden! Liegestützen, bis ich HALT sage!" Zaeeds Nachbar atmet mit einem dicken Kloß im Hals. So schwer, es hört sich an, als ersticke er gleich. Sofort sind alle auf dem Boden, die Körper gerade, das gebrüllte Signal hallt von den Wänden der Kaserne wider. "LOS!" Die Antwort der jungen Anwärter ist Gefolgsamkeit. Ihre Arme bringen sie in die Tiefe, drücken das eigene Gewicht rasch wieder hoch. "AAHHH! HAAAAAA!" Viele brüllen, wenn sie sich aufstemmen. Es hilft durchzuhalten. Zaaed schreit sich den Hals heiß. Aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Arme schwächeln. Ein Nachlassen im Tempo, ein Zeichen von Schwäche, der Ausbilder wird es bemerken. Zugekniffene Augen. Aufeinandergebissene Kiefer.
"STRENGT EUCH AN, ARSCHLÖCHER! Wer hier auch nur EINE Ausführung verkackt, bekommt einen Vermerk! Ihr seid hier, um zur SPITZE DER NAHRUNGSKETTE aufzusteigen! Ihr seid hier, weil ihr eure erbärmlichen Leben aufwerten wollt! ZEIGT MIR - ZEIGT IHM, WIE SEHR IHR DAS WOLLT!" Seine Zunge hängt raus, er atmet brennenden Atem, die Lunge schmerzt. Die Armmuskulatur jammert und seine Brust klagt. "RAAAAA!" Unentwegte Entartungen jeder Kultiviertheit. Hier, abgeschieden von allem anderen, degenerieren sie erst zu Tieren. Und dann sollen sie sich neu erschaffen.
Vukic gibt nach. Sein fettleibiger Körperbau verlangt ihm viel ab. Erst brüllt er, dann weint er, schließlich liegt er wimmernd auf seinen Speckpolstern. "DU FETTER HURENSOHN!" schmettert es über den Platz, als Tiroks massive Präsenz aggressiv auf den durchnässten Vukic zuhält. Die grobe Hand packt ihn am Kragen, zerrt den traurigen Fettwanst vom Boden, bis er noch trauriger und innerlich gebrochen sitzt. Er wimmert bloß noch. "AUF DEINE KLUMPIGEN BEINE!" Er erhebt sich zitternd. Zaeed sieht es aus den Augenwinkeln. Vukic sieht wie ein schwitzendes Schwein vor dem Schlachter aus. Ein dumpfer Schlag. Die Faust des Ausbilders trifft ihn in den aufgedunsenen Bauch. "FÜNF VERMERKE! Zurück ins Quartier mit dir! AB!" Die hastigen Schritte sind begleitet von einem kläglich unterdrücken Gewimmer. Schweiß, Regen, Tränen - irgendetwas davon fließt in Strömen über die Pausbacken.
"UND DER REST - WECHSEL! RUMPFBEUGEN! BIS ICH SAGE, DASS ICH GENUG GESEHEN HAB!" Mit sofortiger Wirkung setzt jeder den Wechsel um. Zaeed setzt sich auf das nasse und harte Pflaster, legt den Rücken nach hinten, wischt sich den Dreck an den Händen an seinem durchtränkten Leinenhemd ab. "LOS!"
Wieder wird es manisch. Ein im Rausch brutal geführter Kampf gegen die eigene Schwäche. "IHR SEID HIER, UM BESSER UND STÄRKER ALS DIE SCHLAFENDE MASSE ZU WERDEN! IHR SEID HIER, WEIL IHR AUFSTEIGEN MÖCHTET! Euer Körper jammert euch zu: 'Ohhhh, bitte bitte, nicht mehr, ich kann nicht mehr'?! Dann soll euer Kopf ihn anschreien: 'SCHNAUZE! HALT DIE VERDAMMTE FRESSE, DU GEHÖRST MIR! ICH SAG DIR, WANN DU AUFHÖREN DARFST!'" Er peitscht seine Bauschmuskeln an. Die einzelnen Stränge stechen wie scharfe Dolche. Und seine Lunge will ihn auch umbringen. Zunehmend wird der eigene Körper zu einem Feind, über den es zu triumphieren gilt. Die Fesseln weltlicher Unzulänglichkeit sind nichts als Gedanken. Schwäche entsteht zuerst im Kopf. Dann kriecht sie parasitär in jeden Muskel.
Es kommt der Moment, an dem die Muskeln aufzugeben scheinen. Nicht genug Schlaf, nicht genug Erholung, als wolle sein Leib ihm nicht mehr gehorchen. Tirok merkt das und stampft auf Zaeed zu. Breitbeinig über ihm beugt er sich runter und greift hart in den aufgeweichten Hemdkragen. "VOLKOV, DU SAU! STRENG DICH AN! Ist DAS, was zum Apexjäger aufsteigen will?! Hör zu was dir dein Körper vorjammern will und dann machst du einfach das: 'AAAAHAHAHAHAAAA'!" Aus nächster Nähe lacht Tirok ihn heiser und peitschend laut an. Das Geräusch des kratzenden Timbres brennt sich in Zaeeds Gedächtnis. "Lach deiner scheiß Schwäche ins Gesicht!" Unter einem Ruck befördert der Ausbilder ihn zurück auf den Rücken. Er geht wieder zu seiner Position. Und Zaeed strengt sich jetzt noch härter an.
"ENDE! AUFSTELLUNG!" Erlösung. Keuchend, heiser, manche stimmlos, andere mit blutenden Nasen oder hochroten Köpfen, stehen sie in einer geschafften Reihe. "Ich habe viel Schwäche gesehen, aber auch vereinzelte Stärke. Was ihr wieder mitnehmen sollt: SCHWÄCHE ist euer Feind und DISZIPLIN ist eure Waffe! Es kann NIEMAND besiegt werden, dessen Disziplin ihm VERBIETET aufzugeben! Der SCHMERZ ist euer Verbündeter! Wenn es schmerzt und wenn ihr brüllt, entwickelt ihr euch weiter! Ihr werdet stärker, ihr seid dabei zur Spitze menschlichen Potenzials aufzusteigen! EIFER treibt euch an und ZORN lässt euch gnadenlos zu euch und den Hindernisse in eurem Weg sein! Sprecht mir nach!"
Das Endritual des Aufwärmens. Tirok füllt dafür seine großen Lungenflügel mit vielen Litern Luft und brüllt: "EIFER UND ZORN!"
Alle Anwärter wiederholen es. Manche lauter, manche leiser. Auch Zaeed: "EIFER UND ZORN!"
Dann endet der Anfang des Tages. Die Routine schreibt jetzt ein kurzes Bad, rudimentäre Körperpflege und Kleidungswechsel vor. Und dann gibt es Frühstück.
Kommentare 9
Nachtseele
Well... erinnert mich an tägliche Ausflüge auf die Schießbahn in der Bw
Erythna
kein Wunder ist der Kerl so ein Softie geworden :3
Border Autor
ô.o
Minna
Hat etwas von Bootcamp.
Rau, heftig, laut. Mag ich gern.
Zaeeds Wesen gründet auf all diesen Erfahrungen - mehr seiner Vorgeschichte zu lesen, verrät einem soviel.
Border Autor
Im weitesten Sinne ist das auch eine Art bootcamp.
Und hoffentlich verrät es nicht zu viel. Aber ein bisschen den Hobbypsychologen spielen zu lassen macht immer mal wieder Spaß.
Kahlee
Also über Zaeeds Wesen könnte man so Einiges sagen..!
Border Autor
Das fasse ich als Kompliment für einen vielschichtigen Charakter auf!
Vetkin
Border Autor
Ach, du!