Der Flug zur Sonne - Eintrag 2

[Sonne-Playlist]


Eintrag 2, Tag 1
Wir schweben nun! Um zehn Uhr hat die Durmand die Anker gelichtet und mit Hilfe der Energiewurzel schnell an Auftrieb gewonnen. Alle, die nicht bei der Bedienung gebraucht wurden, sammelten sich an den Glasfenstern. Jeder, der hier mitflog, war schon mindestens einmal Luftschiff geflogen. Doch niemand hatte es so weit hinaus geschafft, wie wir es würden. Unten am Himmlischen Platz drängte sich weiterhin die frohe Menge an Wesen, außerdem waren viele Einwohner auf ihre Dächer gestiegen, um uns zuzusehen. Wir stiegen schnell Richtung Norden auf, bald hatten wir den Himmlischen Turm und die riesige, canthanische Hauptstadt hinter uns gelassen. Bald schon waren wir über dem Meer. Ich konnte einen einzelnen, riesigen Dampfkreuzer der Charr erkennen, der dunklen Rauch aus seinen Schloten spie. Sicher sahen sie uns. Ob sie wussten, dass ihre Heldin Garzza das Schiff steuerte?
Die aufgegangene Sonne ließ das Meer glitzern, es waren kaum Wolken am Himmel und kein Sturm, der unser Vorhaben behindern konnte. Alles lief wie von Magisterin Nizpi berechnet.


Neben mir klatsche der Sylvari Nelfain fröhlich wie ein kleines Kind in die Hände, dann kraulte er mir durchs Haar. Meines war wie frisch gemähtes rotbraunes Gras, meinte Nelfain. Es störte mich nicht wirklich, denn das machte er bei jedem, der Haar hatte. Der junge Sylvari war haselnussbraun und selber kahlköpfig, ziemlich freundlich und sehr wichtig. Er kümmerte sich nämlich um unsere Gärten, die wir im Luftschiff mitführten. Neben unseren Vorräten, die wir mitgenommen hatten, pflanzten er und seine Partnerin Ryla frisches Gemüse und Obst an, außerdem waren die Pflanzen wichtig für die Luft! Die beiden hatten mich grade umzingelt und mit ihrer guten Sylvarilaune angesteckt. Sie erzählten viel, aber ich folgte den Gesprächen leider nicht, denn der Ausblick war einmalig.


Cantha war nun nicht mehr zu sehen. Dafür tauchte bald neues Festland im Norden auf. Das war Elona, vorne die Insel Istan, wo Kormir geboren wurde. Bald huschte unser gewaltiger Schatten über die Mondfestung Gandarra an der Küste des kournischen Festlandes. Dort, wo man Kormir gefangengehalten hatte. Heute war sie stillgelegt und eine Pilgerstätte für Kormirs Anhänger – man konnte von hier oben nicht mehr viel erkennen, aber sicher hatten sich Leute auf die hohen Türme gewagt, um die Durmand zu sehen. Genauso schnell waren wir an Kourna vorbeigeschwebt, nördlich davon lag Vaabi.
Wir sahen die geschwungenen, lyssageweihten Wüstentürme, zwischen denen sich riesige, bunte Sonnensegel über die Städte spannten. Die Leute dort unten hatten genug von der Sonne...wir nicht. Sie brannte noch unerträglicher in der weiter nördlich gelegenen Kristallwüste. Die grünen Plätzchen am Ufer des Elon boten Schutz, aber kaum jemand lebte außerhalb davon, nur verschiedenen Krus der Asura, die dort ungestört experimentierten...ich weiss nicht, womit, aber ich erkannte kleine Siedlungen aus Würfeln.


Wir konnten nun von der Wüste bis zu den fernen Zittergipfeln sehen, die noch im Dunst lagen. Immernoch waren sie gewaltig, aber unsere Höhe ließ sie wie Spielzeug wirken. Unter uns war auch bald Orr – schillernde Strände und riesige, glattpolierte Rundplätze, in denen sich die Sonne, die Fackeln der Göttertempel und die Lichter der Asurakonstrukte spiegelten.
Zwar umzingelten mich die beiden Sylvari gerade, aber ich sah, wie rechts von uns Lady Xiaoqing ans Fenster trat, zusammen mit ihrem stillen Leibwächter, dem Mönch. Die beiden Canthaner würden gemeinsam mit mir in einem der Wohnwürfel leben, wenn wir dann auf der Sonne landen sollten. Das weiß geschminkte Gesicht der Priesterin der Sechs blickte starr nach unten, nur die rot bemalten Mundwinkel zuckten beim Anblick der Götterstadt Arah ganz langsam nach oben. Sie war unheimlich, ja. Respekteinflößend. Aber auch interessant. Ich bin gespannt, sie kennenzulernen. Auch ihren kahlköpfigen Leibwächter, dessen Name mit gerade nicht einfallen will. Er ist gerade mal einen halben Kopf größer als ich. Wie die meisten Canthaner ein bisschen kleiner und unscheinbar, vor allem in seinem weiten Gewand. Aber das täuschte sicher, denn der Mönch war ein disziplinierter Krieger, denn der Leibwächter einer Götterpriesterin musste stark sein.


Ich kniff die Augen zusammen und versuchte, die neue Unterwasserstadt vor der befleckten Küste zu erkennen – ein paar trübe Lichter sah ich. Hier hatten wir die Wohnwürfel ausprobiert und den Umgang mit ihnen geübt.
Doch lenkte mich bald etwas davon ab - Buckelwale! Eine ganze Großfamilie, ich beachtete nicht mal mehr die modernen Riesenschiffe in den Häfen. Die Wale schwammen in einer Herde von über einem Dutzend durch das Wasser, in Richtung Löwenstein, unbeeindruckt von unserem riesigen Schatten, der über sie herüberhuschte.
Nach dem wir die edlen Tiere überholt hatten, überflogen wir Löwenstein – der Leuchtturm, der nun fast eine halbe Meile in die Höhe ragte, hatte Kaineng erst dazu angespornt, den Himmlischen Turm zu bauen.
Unten knallte es. Man hatte Feuerwerk für uns abgefeuert, dass tief unter uns in die Luft ging.
Ich hörte die Magisterin etwas schimpfen, als sie das Feuerwerk sah. Sie empfand es als unnötiges Risiko. Doch ich fand es schön: Es war orange und gelb, Flammen und Feuerbälle, die wohl an die Sonne erinnern sollten, sprudelten aus dem Turm hoch wie Geysire. Nelfain neben mir applaudierte sogar. Was aber eigentlich nichts ungewöhnliches bei ihm war.
Die kleine Taverne ganz im Osten startete zwei große, runde Ballons in den Himmel. Östlich davon, weitaus höher gelegen, sah man das keilartige Kloster der Abtei Durmand. Ein einzelner, roter Funke startete von dort, um dann in einen schimmernden Regen zu zerfallen...der Abschiedsgruß der Abtei für uns. Meine Mentorin hatte ihn mir versprochen. Ohne Sie hätte ich vielleicht gar keinen Platz auf der Durmand ergattern können.
Ich versuchte, die Abtei möglichst lange im Blick zu behalten, aber wir stiegen immer höher auf, ich erhaschte einen letzten Blick auf Kryta: Meine Heimatstadt Götterfels, verteilt auf fast das gesamte Riesenbecken. Ich sah die gebrochenen Reste der früheren, runden Stadtmauer, die die Adelskriege überstanden hatte und um die herum schon lange eine neue Stadt gewachsen war. Dann wurde die Sicht mehr und mehr von aufziehenden Wolken verdeckt. Und die Welt wurde kleiner.