Der Flug zur Sonne - Eintrag 3

[Sonne-Playlist]


Eintrag 3, Tag 1


Die Sylvari Nelfain und Ryla haben mich in ihren Garten eingeladen. Das war wohl einer der schönsten Orte an Bord der Durmand. Er lag im Heck des Luftschiffs, wo man auch ein großes Aussichtsfenster eingebaut hatte. Der Himmel draußen war allerdings grau, über uns eine dichte Decke aus Wolken. Manchmal flogen wir auch durch eine der Wolken hindurch, dann wurde es ein wenig dunkler und nebeliger. Allerdings schien es noch keiner für nötig zu halten, die gesamte Wolkendecke zu durchstoßen.


Rylas Hauptaufgabe war die Pflege des Gartens hier oben im Schiff. Sie hatte ihn nach ihren Wünschen gestaltet, als die Durmand noch auf dem Boden war. Er war länglich und zum Heck hin abgerundet, das Fenster und sein Rahmen waren das einzige, das hier 'mechanisch' oder wie Ryla sagte, 'unlebendig' wirkte.
Der Rest sah aus, als hätte man einen Teil aus dem Hain mit auf das Luftschiff gebracht.
Der Boden war eine Schicht Walderde, auf der dichtes Gras, kleine leuchtende Pilze und bunte Blumen wuchsen. Dichte Wurzeln befestigten hier die Wände und die Decke, man sah sie an manchen Stellen hinter den großen, blauen und rosanen Blättern hervorschauen. Kleine orange Lichter schienen auf den dunklen Wurzeln wie die Augen kleiner Waldgeister, sie durchleuchteten die Riesenblätter und gaben dem Raum ein gemütliches Gefühl. Nicht zu hell und kalt wie mancher Asurakristall, aber auch nicht zu dunkel.
Doch natürlich war das kein reiner Raum zur Entspannung. Sonst hätte Magisterin Nizp Ryla wohl nicht mitgenommen. Denn hier wuchsen die Pflanzen, die uns frische Luft und Nahrung gaben. Auffällig, an den Wänden entlang verteilt, waren etwa ein dutzend charrgroße Knospen, in fast demselben blassen Rosa wie Rylas Haut. Jede dieser Knospen leuchtete im Inneren, uns es schraubte sich eine Spirale in ihnen hoch, jede der Spiralen war bewachsen von einer Art von Gemüse oder Obst.
Immer wieder entdeckte man hier etwas schönes – wie die bunten kleinen Fische im künstlichen Teich oder die kelchhafte, hellblaue Blume, die wie ein Kronleuchter von der Decke hing, flankiert von sanft leuchtenden, orangen Lianen. Oder die flügelhaften Blätter an Rylas Rücken. Sie war zwar erst elf, doch sie hatte ihr Handwerk von den besten gelernt, und war bald selbst eine der besten geworden.


Nelfains Aufgabe war ähnlich, doch lag sein Revier woanders, nämlich im 'Sonnengarten'. Der war in einem unserer Wohnwürfel, war also dazu da, ihn mit auf die Sonnenoberfläche zu nehmen. Wir haben wie gesagt sechzehn dieser Wohnwürfel, befestigt an der Unterseite der Durmand – sie sollen später eine kleine Stadt in den Meeren, Wüsten oder vielleicht auch Bergen bilden, die man auf der Sonne vermutet. All diese Würfel wären dann miteinander verbunden, ein Großteil der Kru würde zum Forschen auf der Sonne wohnen. Die Durmand würde am Himmel über der Sonne ankern, mit einer kleinen Besatzung. Ryla gehörte dazu, um für den Luftschiffgarten da zu sein. Sie war so gerne hier oben, so gerne, dass es sie nicht einmal störte, der Sonnenoberfläche fern bleiben zu müssen. Nelfains Angebot, die Plätze für eine Zeit zu tauschen, hatte sie ausgeschlagen. Von hier oben hätte sie sowieso die beste Aussicht. Wir redeten also schon über die Sonne, als wären wir längst dort. Dabei lag sie noch in der Ferne. Vielleicht zwei Monate, hatten Nizpi und Garzza prophezeit.


Wir tranken zur Feier des Tages frisch gepressten Saft. Zwar wuchsen die Pflanzen ein wenig schneller in Rylas Nähe, aber wenn man jeden Tag Saft aus ihnen presste, würde es schnell knapp werden. Bald würde das Luxus sein. Doch wir hatten einen guten Anlass, nämlich dass wir unsere Reise zur Sonne begonnen hatten.
Ich saß auf einem kleinen Hocker, einem festen, knallgelben Pilz, der direkt aus dem Boden gewachsen war. Die Sylvari saßen gegenüber auf einer Art Diwan, es war ein breiter, hellbrauner, schwammiger Pilz. Und auch wenn unser Tisch aus Holz war, er war nie ein gefällter, verarbeiteter Baum gewesen, sondern in seine jetzige Form gewachsen. Ryla war grade dabei uns zu erzählen, wie sie den Saft hergestellt hatte, da wurden wir plötzlich unterbrochen – ein Blitzen hinter dem Fenster, fast zugleich ein lautes Donnern. Einen Moment sahen wir uns überrascht, erschrocken um – war das Schiff beschädigt? Ging die Reise schon zu Ende?
Aber es war ganz einfach ein Gewitter - doch aus so einer Nähe hatten es sicher noch nicht viele erlebt. Wir blickten aus dem Heckfenster hinaus, das schnell mit dicken Regentropfen besprenkelt wurde. Die Wolken waren nun dunkelgrau bis schwarz. Wir sahen gleißende Blitze aus nächster Nähe zucken, und der Donner folgte auf dem Fuße. Während ich noch ein wenig überrascht da saß und als Einzige noch beim Donnern zusammenzuckte, standen die beiden Sylvari bald aufgeregt am Fenster. Beide stützten sich mit den Händen an die Scheibe, von Ryla bekam sie sogar die Nase aufgedrückt.
Die beiden Sylvari waren noch jung und stets neugierig, aber mit dreizehn und elf war das ja normal. Die dritte Sylvari der Kru, unsere Köchin Zina, war bedeutend älter. Über vierzig war sie sicher schon. Eine Sylvari in dem Alter hatte einer vierzigjährigen Menschenfrau einiges an Lebenserfahrung voraus...seltsam, dass sie 'nur' Köchin war, aber das war sie wohl aus Leidenschaft.


„Wir steigen wieder auf!“, rief Nelfain aufgeregt, als sich das Heck zu senken begann. „Ich glaube Garzza will durch die Gewitterwolken brechen!!“, verkündete er noch gut gelaunt und rannte aus dem Garten, Ryla direkt hinterher. Einen Moment blieb ich stehen und dachte darüber nach. Sicher, die beiden wollten beim 'Wolkenbruch' dabei sein und ihn aus dem Frontfenster verfolgen. Denn was würde man schon hier hinten sehen? Also folgte ich ihnen in die Steuerkanzel der Durmand.


Garzza drehte das hölzerne Steuerrad und setzte Hebel in Bewegung, als hätte sie soetwas schon jahrelang gemacht. Hatte sie auch, sie war schließlich die Beste. Rugo von Sternling stand ebenfalls bei ihr und half mit Instrumenten und Feineinstellungen. Auch er konnte das Steuer bedienen, es würde auch die meiste Zeit seine Aufgabe sein...aber durch die Gewitterwolken fliegen, das wollte Garzza dann selbst!
Wir waren nicht die einzigen Zuschauer vor Ort, die beiden Quaggan Boolwi und Manooma standen – in strengem Sicherheitsabstand zueinander – hinter Garzza und Sternling. Wir stellten uns dazu, was sie keineswegs störte. Die Charr fing lässig an zu plaudern: „Scheißwetter, nicht? So lange man unter den Wolken ist, ja. Aber ein Gewitter von oben, was ist das schon?“ Sie knurrte kurz, ehe sie einen Hebel fest anzog, Sternling ein Zeichen gab und wir noch steiler auf die schwarze Wolkendecke zurasten. Es blitzte und krachte über uns, der Regen hämmerte auf die Scheiben. „Die Blitze werden von unserem Blitzmast abgeleitet, die Energiewurzel wird sie verwerten...trotzdem, ich will weg hier. Nach oben.“
Dann waren wir drin, in den Wolken. Dumpf donnerte es, man sah nichts, außer grauem Nebel...bei einem Aufblitzen glaubte ich, etwas wie eine leuchtende Krake in dem Wolkenmeer zu erkennen, aber ich hatte auch schon Wolken am Himmel für Blumenkohl oder Schafe gehalten. Zumindest regte diese Reise die Fantasie an. Wenige Sekunden verstrichen nur beim Flug durch den Nebel.
Dann, plötzlich, blitzte majestätisch die Sonne auf, direkt vor uns, wolkenlos – hier oben gab es überhaupt gar keine Wolken mehr! Wir hatten die Decke durchbrochen, unter uns lag sie ruhig da, der Himmel von einem reinen, hellen Blau erfüllt.
„Oh!“, rief Ryla aus und klatschte in die Hände, Nelfain lächelte breit und sah genießend in die Sonne, während von den Quaggan ein helles „Hoo!“ und ein tiefes „Coo!“ zu vernehmen war. Von Sternling, der blasse Restadlige, stemmte die Hände in die Hüften und lächelte stolz, nickte. Bei einem Ruck beugte er sich aber hastig nach vorne und hielt sich an einem der Griffe fest, um nicht durch das Luftschiff zu purzeln. Garzza hielt lässig das Steuerrad umfasst, ihr schien der Trubel hier nichts anzuhaben.


Und ich strahlte mit der Sonne um die Wette. Doch bald musste ich nachgeben, ich setzte meine Sonnengläser auf.