Der Flug zur Sonne - Eintrag 5

[Sonne-Playlist]


Eintrag 5, Tag 2


Da bin ich wieder...ich war gerade dabei gewesen, das Dings zu beschreiben, das inzwischen fast einen Namen hat. Es gibt jetzt schon viele Namensvorschläge, aber nur einer wird wohl bald in den Büchern stehen.


Das Ding hinter dem Fenster, ich werde versuchen es zu beshcreiben. Es war riesig und wirkte doch so leicht. Seine Haut war hell und dünn, so dünn, dass der Himmel dahinter hindurchschimmerte. KeinWunder, dass man vom Boden aus noch nie eines erspäht hatte. Selbst wenn es einmal unterhalb der Wolkendecke schweben sollte, man würde es in dieser Höhe wohl kaum wahrnehmen. Aber mit Blick aus der Bordkantine, aus dieser Nähe, hob es sich sichtbar vom blauen Himmel ab. Seine Beschaffenheit erinnerte mich an eine Qualle in blauer See, doch sein Körper hatte eine andere Form. Das Wort 'Vogel' hatte niemand genutzt, um es zu beschreiben, obwohl es Schwingen hatte. Der flache, segelartige Körper erinnerte viel mehr an einen Rochen. Mit gemächlichen Flügel- oder Flossenschlägen ruderte das Wesen durch den Himmel, als sei er der Ozean. Auf fünfzig Meter Flügelbreite schätzte es Garzza.
Die Länge des Körpers schätzte sie auf dreißig...mit den beiden langen, schweifartigen Fortsätzen hinten allerdings auf ebenfalls fünfzig.
Wollte es uns zur Sonne begleiten? Es hielt genau die Geschwindigkeit und die Höhe unseres Luftschiffes.
Doch wahrscheinlich begegnete es einem Luftschiff zum ersten Mal. Uns ging es ja nicht anders. Es war wohl schlicht neugierig.


Bald waren alle in der Kantine ans Fenster geströmt, die beiden Gärtner der Sylvari klebten wieder mit den Nasen an den Scheiben. Manooma hatte eiligst ein Zeichenheftchen gezückt, um das Wesen zu skizzieren. Die Quaggan, bekanntermaßen Magisterin und Naturkundige, war spezialisiert auf Lebewesen des Meeres. Was nicht hiess, dass sie sich mit anderen Geschöpfen weniger auskannte. Sie war einer der angesehensten und klügsten in ihrem Bereich, weshalb die Forscherin direkt viele Vergleiche mit anderen bekannten Wesen zog. Neben der Qualle, dem Rochen und dem Schmetterling kamen auch Kobolde, Drachen und Naturgeister zur Sprache. Genau hatte ich ihre Aufzählungen nicht mitbekommen, da ich wie gebannt auf das Wesen blickte. Dass es eine Gefahr darstellen konnte, dachte in unserer Kru fast niemand, auch wenn Rikken davon schwärmte, so ein Wesen als erster zu erlegen.
Die Wachsamen allerdings waren vorsichtiger, außerdem befahl die Magisterin, die beiden Seitenkanonen zu bemannen. Doch das Wesen tat uns nichts. Inzwischen waren Namen wie Luftrochen, Himmelsgleiter oder Wolkenschwinge ersonnen worden. Von mir kam der Vorschlag Wolkenrochen, aber ich war nicht ganz zufrieden damit. Die Namen waren fast alle auf diese Weise zusammengesetzt. Alleine der Name Fluufladen, den Boolwi eingebracht hatte, stach da heraus.
Manooma erboste das, sie fühlte sich durch den anderen Quaggan stets beleidigt. Nicht selten ohne Grund. Sie hätte deswegen fast Streit angefangen, denn die beiden Quaggan mochten sich herzlich wenig. Zu jedem anderen waren sie freundlich, aber untereinander... Zu blöd, dass sie gemeinsam im selben Wasserbecken wohnen mussten.
Doch die Erscheinung des Wesens lenkte sie bald wieder von ihren Sticheleien ab.


Mit einem mal flog die Kantinentür auf und Blarfazz kam herein getorkelt, sein eigentlich weißes Fell war nun gräulich. Rauch im Maschinenraum, der Schlot am Heck schien von außen verstopft! Von einem Moment zum anderen war die zauberhafte Ruhe, in der sich alle unserem Wolkenrochen oder Fluufladen zugewandt hatten, verflogen. War das Wesen da draußen Schuld? Aber es war doch so friedlich! Und vor allem, wie sollte es von dort drüben unseren Schlot verstopfen?
Es musste eine andere Erklärung dafür geben.
Jemand musste nachsehen, und zwar von außen.


Magisterin Nizpi blieb besonnen und erteilte Befehle. Drei von der Kru sollten nach draußen gehen und nachsehen, was da los ist. Eine ganze Kette an für sie logischen Schlussfolgerungen brachte sie zu der Ansicht, dass es unsere Köchin Zina, der Leibwächter von Lady Xiaoqing und ich sein mussten. Das Ergebnis kam folgerndermaßen zustande: Die Wachsamen fielen raus, da sie nach Nizps Ansicht alle nicht dafür geeignet waren und in so einer Situation nicht besonnen reagieren konnten. Charr und Norn fielen durch ihre Größe in dieser unsicheren Höhe raus, Quaggan und Hylek waren zu langsam, die Asura nicht entbehrlich genug. Und die beiden Tengu waren einfach zu bekannt, als dass sie sie schon vor der Sonnenlandung gefährden wollte.
Desweiteren kam die Wichtigkeitsliste von Nizps Stellvertreter, Dr. Pynzos, zum Einsatz. Da waren alle Krumitglieder nach Wichtigkeit sortiert, von oben bis unten...
Von den Sylvari waren die beiden Gärtner auf der Liste über der Köchin angesiedelt. Bei den Menschen waren Von Sternling und die Lady Xianqing wichtiger als eine Bücherschreiberin und ein Leibwächter.
Also machten wir drei Entbehrlichen uns an die Arbeit.
Wir rüsteten uns mit Schutzbrillen, Atemmasken, warmen blauen Durmandschals und Windmänteln aus. Skruu, die rotmähnige Meisteringenieurin, führte uns zur Leiter, die ein Stückchen weit entfernt vom meterhohen Schlot aus dem Maschinenraum führen sollte, direkt auf die kupferfarbene Außenhülle. Die Charr trug bereits eine Atemmaske, sie versuchte mit ihren Technikern, hier unten den Schaden zu begrenzen. Wir drei, besonders wir drei, waren körperlich gut in Form, weshalb die kupfernen Leitersprossen trotz vielen Rauchs kein Problem darstellten. Der Leibwächter kletterte über mir und stieß die Luke auf.
Ich sah ihn beim Aussteigen zusammenzucken, dann hangelte er sich nach draußen. Was hatte diesen zähen Kerl so erschreckt? Ich folgte ihm, und draußen erwartete uns das nächste kleine Wunder.


Auf dem Schlot saß etwas. Da der Schlot über zwei Meter durchmisst, kann man sich denken, dass das Wesen groß war. Es erinnerte von seiner Haut her an den Wolkenrochen, aber seine Form glich viel mehr der einer Krake. Sein beutelartiger, blassblauer Kopf war nun voller grauem Rauch im Innern, während ein Dutzend Fangarme den Schlot umklammert hielten. Ein einfaches Geländer führte von unserer Luke zum Schlot, und zögernd machten wir uns auf den windigen Weg, auf dem jeder Fehltritt der längste aller Stürze werden konnte. Der Leibwächter und ich blickten dem Wesen fasziniert entgegen, Zina blieb skeptisch und zog ihre Pistole. Ob es uns sah? Wir entdeckten keine Augen, aber das hier wäre bei einer Meereskrake die Vorderseite gewesen. Wir wussten nicht was wir tun sollten. Wenn wir es angriffen, würde es stärker sein? Oder würden noch mehr von seiner Sorte kommen?
„Es sammelt den Rauch!“, stellte ich fest.
„Na, toll erkannt.“, meinte der Leibwächter. Ich hatte einmal mehr das Gefühl, er mochte mich nicht sehr. „Ich will es nicht töten.“, fügte er dann an. Fast klang er gefühlvoll. Fast.
„Ich auch nicht...“ Irgendwie wussten wir beide, dass es gefährlich war. Aber wir konnten dem Wesen einfach nichts antun. Kurz sahen wir uns an, dann ruckten die Blicke wieder zur Krake. Wie hatten uns auf wenige Meter genähert, doch es reagierte nicht.
„Zu blöd, aber das bringt uns auch nicht weiter.“, antwortete er gereizt.
„Du hast damit angefangen...“, murmelte ich.
Während wir beiden Menschen also mal wieder dabei waren, Streit miteinander anzufangen, handelte die Sylvari.
„Achtung.“, sagte Zina dann nur, hob ihre Pistole und drückte ab, feuerte über den Kopf des Wesens hinweg, um es zu vertreiben. Wir folgten ihrer Idee, doch das Wesen rührte sich nicht vom Fleck, es schien die Schüße nicht einmal zu bemerken.
Zina, eigentlich bekannt für leckeren, mit Dolyakmozarella überbackenen Lindwurmbraten, feuerte nun ohne Zögern direkt auf das fremde Wesen, als die Schreckschüsse keine Wirkung zeigten.
Der beutelartige Leib zuckte zusammen, etwas wie ein Zischen war zu hören. Aus dem aufgerissenen Teil der Haut brach der Rauch ins Freie. Sie schoß nochmal. „Los, ihr auch!“
Ich sah unsere Köchin nur irritiert an. Sie war mit einem mal jemand völlig anderes geworden, so eine Kälte kannte ich nicht von Zina. Aber vermutlich hatte sie wirklich recht. Der Leibwächter brauchte einen kurzen Moment, ehe er ebenso auf das Wesen schoß. Die Krake zischte und summte, wollte den Schlot aber nicht loslassen. Irgendwie hoffte ich, dass sie keine Schmerzen hatte.
Ich klammerte mich mit der einen Hand am Geländer fest und eröffnete ebenso das Feuer. Zwei mal schoß ich, allerdings daneben. Jeder hätte auf diese Entfernung treffen können. Aber ich wollte einfach nicht zu den ersten gehören, die so ein schönes Tier umbrachten. Zina und der Leibwächter verursachten bereits genügend Schaden, um das Wesen zu töten.
Schließlich ließen alle Arme gleichzeitig los, die Kreatur fiel leblos nach hinten, am Heck vorbei, in den dunkelblauen, wolkenfreien Himmel. Sie schwebte in die Ferne. Sie war so leicht, wahrscheinlich würde sie für immer weiter schweben . Niemals auf die Erde fallen.
Wir machten uns auf den Rückweg.


Inzwischen habe ich von Manooma gelernt, dass diese Krake ein bekanntes Phänomen war, das schon mancher Luftfahrer in den Wolken gesehen hat. Auch ich hatte eines bei Garzzas Flug durch die Wolkendecke gesehen, aber es nicht für ein echtes Tier gehalten. Sie lebten in den Wolken, sie ernährten sich wahrscheinlich von ihnen. Manooma glaubte, die Wolkenkrake habe im Irrtum den Rauch unseres Schlotes für eine Wolke gehalten und verspeisen wollen...was irgendwie logisch klingt.
Nizpi hatte mich gebeten, in Manoomas Zimmer zu gehen, da sie glaubte, ich könnte das Wesen am besten beschreiben. Manooma würde dann alles fachlich dokumentieren.
Das 'Zimmer' allerdings war nur ein schmaler Gang, durch den ein Charr gerade so durchpasste. Eine Seite war eine große, gläserne Wand, in der ein großes Wasserbecken von einem korallenartigen Bällchen hellblau beleuchtet wurde. Der Boden war sandig, Pflänzchen wuchsen darin. Es gab auch eine Leiter, damit man nach oben auf den Beckenrand klettern konnte. Zwei Meter Abstand zur wellenbespiegelten Decke hatte es, also nichts für Norngrößen. An den entgegengesetzten Ecken des Beckens waren zwei kleine, korallenartige Zimmerchen, wie man sie von den Quagganstädten kennt. Das eine für Manooma, das andere für den frechen Boolwi.
Boolwi ist übrigens einer unserer fortgeschrittensten Heilkundigen, was ihn auf der Wichtigkeitsliste hoch oben platzierte. Dennoch, die beiden Quaggan gingen sich möglichst aus dem Weg. Wenn sie sich begegneten, beleidigten sie sich meistens. Oder, wie jetzt gerade, war ich ihr Sprachrohr.
„Coo, Vyloo, sag' der Blubberhexe, Quaggan macht das selbe mit ihr, wenn sie nächstes Mal Sand auf seinen Leuchtestein schüttet! “, begrüßte er mich.
„Hoo, hör nicht auf Foolwi. Quaggan möchte dich gerne einladen.“
Minuten später schwamm ich dann über ihren Hüttchen hinweg. Das Wasser hatte die Temperatur der Löwensteiner Bucht, allerdings der in mehreren Metern Tiefe. Doch etwas Kälte schadete mir nicht, es würde noch warm genug werden auf unserer Reise. Boolwi redete noch kurz mit mir, ohne Manooma zu beachten, ehe er sich für heute in seiner Koralle verkroch. Dann sprachen wir über das Krakenwesen, wir schwammen dabei ein paar Runden an der Oberfläche. Sie erzählte mir von dem bekannten Krakenphänomen und wie froh sie war, dass wir es gelüftet hatten, sie wollte unsere Namen auf jeden Fall in ihren Berichten vorkommen lassen. Mich stimmte das nicht wirklich froh, wehmütig erzählte ich ihr, wie wir das wehrlose Tier erschossen hatten. Sie verstand mich. Während Rikken fast neidisch war, dass er es nicht getötet hatte und Magisterin Nizpi den Ausflug mit 'Gute Arbeit, zu schade, dass kein Kadaver übrig ist' zusammenfasste, tat mir es irgendwie weh. Das darf man nicht falsch verstehen, mich haut normalerweise nichts so schnell um. Aber das hier war eben anders.


Manooma wollte mich damit trösten, dass es eben nötig gewesen war und dass ich ja nicht wirklich auf die Krake geschossen hatte. Und überhaupt: Ich war eine der ersten gewesen, die das Wolkenkrakenphänomen gelöst hatten, ein wichtiger Fortschritt in der Wissenschaft und Forschung war durch uns erreicht worden!


Trotzdem, wir hatten es getötet.