Der Flug zur Sonne - Eintrag 6

[Sonne-Playlist]


Eintrag 6, Tag 2


Als ich bei den Quaggan fertig war und mich einen Moment entspannen konnte, suchte ich den Leibwächter.
Denn er hatte auch gezögert auf die Wolkenkrake zu schießen, ich wollte wissen, was er über die Sache dachte.
Nun saß er in dem kleinen Ruheraum. Für die Einrichtung hatte Lady Xiaoqing gesorgt - mit Holz ausgekleidet, in canthanischem Stil, Papierlämpchen. Da konnte man sich wohlfühlen. Die Götterpriesterin hatte viel Geld in das Sonnenprojekt fließen lassen, weshalb sie auch viel Einfluss auf die Einzelheiten der Ausstattung nehmen konnte. Außerdem begleitete sie ja ihr Leibwächter, wobei der auch schon fast sowas wie Ausstattung war. Da er somit der vierte Mensch in der Kru war, waren Unstimmigkeiten aufgekommen. Die eigentliche Regelung lautete nämlich anders: Da die Asura und Charr den Großteil des Wissens und der Technik für die Durmand beigesteuert hatten, sollten jeweils vier Vertreter von den beiden Völkern mitkommen. Von den Menschen, Norn und Sylvari je drei. Von den anderen jeweils zwei.
Fast hätte mich die kurzfristige Einplanung des Mönches, des Leibwächters der Lady, meinen Platz gekostet. Aber man fand eine Lösung, bevor wir Menschen wieder Streit anfangen konnten. Schließlich schrieb ich ein Buch über die Expedition, vertrat zugleich Kryta und Elona und war im Gegensatz zu den beiden Klerikern ein Mitglied der Abtei Durmand. Vielleicht war dieser beinahige Streit einer der Gründe, weshalb er sich mir gegenüber so seltsam verhielt. Es war nicht der einzige Grund, wie ich erfahren sollte.



Jinhai Bo, Mönch und Leibwächter


Als ich eintrat, saß der Leibwächter im Schneidersitz auf dem Holzboden, vor ihm rauchte ein kleines Räucherstäbchen vor sich hin, das einen kamillenartigen Geruch verströmte. Seine Augen waren geschlossen, als ich vor ihn trat. Er beachtete oder bemerkte mich nicht.
„Hallo.“, sagte ich dann und tippte ihm auf die Schulter. Er öffnete nur die Augen, keineswegs überrascht, allerdings mal wieder etwas zornig.
„Siehst du nicht, dass ich meditiere??“, fuhr er mich an.
„Entschuldigung...ich dachte nur wir könnten über die Wolkenkrake reden.“
„Reden? Was soll ich mit dir darüber reden? Sie ist tot und wir sind wieder sicher.“ Er zuckte mit den Schultern und schloss wieder die Augen.
„Aber du hast doch auch gezögert. Wollte nur wissen was du so drüber denkst.“
Er öffnete die Augen wieder, sah genervt zu mir hoch. „Ja, weil ich nicht wusste was passieren könnte. Zum Glück hat Zina uns ja die Entscheidung abgenommen. Uns ist nichts passiert. Wieso, du bist wohl traurig drum, hm?“
Ich zuckte auch mit den Schultern...nickte dann aber.
Der Leibwächter grinste nur hämisch. „Wieso, weil du dauernd danebengeschossen hast?“
Ich funkelte ihn eine Weile lang schweigend an, er funkelte zurück. Ich setzte mich dann aber doch zu ihm, ob er wollte oder nicht.
„Wir haben so ein Tier zum ersten Mal in unserem Leben gesehen, ich weiss nicht...ich konnte doch nicht einfach draufschießen!“
„Oh, stimmt, also sind ich und Zina die Mörder, und du kannst reines Gewissen haben. Dort unten, in Kryta, bist du nicht zufällig Politker, nein?“
Verwirrt sah ich ihn an. „Nein...was hat das damit zu tun?“
Er lächelte spöttisch, als würde er einfach alles wissen. „Na, als ihr damals die Zentauren ausgerottet habt, da waren die Soldaten Schuld. Nicht die Politiker, nicht eure Adligen, nein! Die geben ja nur Befehle.“
„Als ich geboren wurde, waren die Zentauren schon lange nicht mehr da...“
Der Mönch winkte ab.
„Schon klar. Also bist du noch weniger Schuld, was? Deine Ahnen sind die Miesepeter.“
Seine besserwisserische Art war nicht die erträglichste. Aber ich beherrschte mich, vielleicht half mir dieser Zeremonienrauch dabei.
„Was willst du damit sagen? Was willst du überhaupt sagen? Es geht grade um Wolkenkraken und nicht um Zentauren oder Kryta!“
„Nicht im speziellen, nein. Aber von einer Krytanerin soetwas erzählt zu bekommen...“ Dabei schüttelte er ungläubig den Kopf.
Ich rollte mit den Augen. Es ergab alles immer weniger Sinn. „Achso, sag' doch gleich, dass du einfach nur was gegen Krytaner hast.“
„Ich habe nichts gegen Krytaner! Aber ja, ich kann über viele Punkte in Eurer Geschichte nur den Kopf schütteln, da hast du recht.“
„Du hast von den Wolkenkraken jetzt so abgelenkt, dass du gegen Kryta stänkern kannst, bin doch nicht blöd.“
„Das ist deine Meinung.“, sagte er dazu nur und schloss die Augen wieder.
„Ist ja nicht so als ob die Canthaner immer alles richtig gemacht hätten.“, warf ich ein. Es ging leider nicht mehr um die Wolkenkrake.
„Ich stehe zu den Fehlern Canthas. Aber die Zentauren könnten noch leben, wärt ihr nicht so...langsam gewesen. In Eurem Denken. Eurem Handeln. Die Tengu sind heute der Freund des Canthaners! Sie hätten alle tot sein können, doch unsere Vernunft ließ das nicht zu! Genauso gibt es weise Tengu und es gab, gab sogar weise Zentauren.“
Da hatte er in etwa Recht. Während wir in Kryta die Zentauren ausgerottet hatten, waren die früheren Kriege zwischen Tengu und Menschen in Cantha kaum noch nachvollziehbar. Doch auch das war lange her, er selber hatte damit ebenso wenig zu tun wie ich mit den Zentauren oder Adelskriegen. Es hätte sich beinahe in eine gescheite Diskussion entwickeln können, aber dann kam dieser blöde Satz von ihm:
„Es gab bei uns immer die richtigen Menschen, die weise genug für die richtigen Entscheidungen waren. Leute wie Meister Togo und Bruder Mhenlo. Leute wie Lady Xiaoqing und mich.“
An der Stelle lachte ich auf, wofür ich einen bösen Blick erntete. Das mochte respektlos gewesen sein, gegenüber dem Leibwächter der Götterpriesterin. Aber bescheidener hätte er auch sein können.
„Du siehst an manchen Stellen zwar bisschen aus wie Mhenlo, das heisst nicht dass du ein Mhenlo bist.“ Die Lady erwähnte ich mit keinem Wort, da hatte ich zu viel Respekt. Außerdem waren das nicht ihre Worte.
Der Leibwächter knurrte. „Das habe ich nicht behauptet.“
„Du hast dich sozusagen auf eine Stufe mit großen Helden gestellt, sollte jemand wie du da nicht bescheidener sein?“, fragte ich dann vorsichtiger.
Er schwieg und schloss die Augen, wandte sich an sein Räucherstäbchen. Nach einer Weile sprach er.
„Ich habe es nicht so gemeint, wie du es verstanden hast.“, brummte er. „Ich habe es mehr als Respektbekundung an meine Vorbilder aufgefasst.“
Ich atmete tief ein um darauf was zu entgegnen – doch ich hatte eigentlich wenig Lust noch weiter zu streiten, wollte es dabei belassen. Vielleicht stimmte mich der Zeremonienrauch friedlich, den ich eben in großen Mengen eingeatmet hatte.
„Ist ja schon gut. Aber eigentlich wollte ich dich nur fragen...hat es dir Leid getan, mit der Krake?“
Er hatte mich eine Weile nicht mehr angesehen, die Augen waren zu. Er antwortete nicht. Ich machte mich gerade auf den Weg nach draußen, als er wieder sprach.
„Ja. Natürlich tut es mir Leid, aber es ist nun mal geschehen, jetzt lass' mich in Ruhe.“
„Tu' ich. Sagst du mir aber gerade noch wie du überhaupt heisst?“
Er atmete tief ein. Entweder um Wut herunter zu schlucken, oder weil der Rauch wirklich beruhigen konnte.
„Jinhai, der in Ruhe gelassen werden möchte. Jetzt.“


Ich ließ Jinhai in Ruhe meditieren.