Albtraum

Er stand mir gegenüber – so nah, das die kleinste Bewegung dazu führen würde, das wir uns berührten.
Doch wir berührten uns nicht. Wir bewegten uns nicht.
Mein Körper fühlte sich so schwer an, das ich nicht die kleinste Regung von mir geben konnte.


Und so schaute ich in das Gesicht, das mir so bekannt war; sah die kleinen, liebgewonnen Fältchen um Augen, die voll waren von Trauer. Verlor mich in diesem Blick, ohne das ich in der Lage war, die Verzweiflung aus diesem fort zu küssen.
Wie lange standen wir uns so gegenüber, schweigend, bewegungslos? Wie lange hatte ich seine Mimik angesehen, das mir allein von dem sich mir bietenden Bild ganz elend wurde?


Ich konnte ihn nicht trösten.


Und plötzlich drängte sich mir ein Gedanke auf, eine Gewissheit machte sich in meiner Seele breit, die ich nicht aufhalten konnte, so sehr ich auch versuchte, sie in irgendeine Ecke meines Bewusstseins zu drängen und zu vergessen, bevor ich ihr ganz gewahr wurde: Dies war ein Abschied.


Panik überkam mich, und ich wollte schreien, wollte ihn festhalten und umarmen... irgendetwas tun, das ihn bei mir hielt, ohne das ich mich aus dieser grausamen, kalten Lähmung befreien konnte.
Sein Gesicht entfernte sich von dem meinen, und ich konnte die Wärme seines Körpers nicht mehr spüren.
Als er sich abwandte hörte ich seine kratzige, belegte Stimme in einem Tonfall, der mehr reumütige Entschuldigung als Frage war: „Gefällt dir mein Geschenk?“
Irritation machte sich breit, und ich suchte mit dem Blick nach einer Antwort.


Und fand sie vor meinen Füßen liegend, in Form einer jungen Frau, deren geweitete Augen mich leer ansahen. Die Haut war bleich, mit rötlichen Flecken besetzt, die Pupillen unnatürlich geweitet und der Mund war zu einem verzerrten, einstmals entrückt glücklichen Lächeln verzogen.
Meine Lähmung legte sich, und ich stolperte erschrocken ein, zwei Schritte zurück.


Als ich wieder aufsah war er verschwunden, und ich war umringt von Wachen.
„Was ist hier los?“ hörte ich eine strenge Stimme fragen. „Wart ihr das?“ eine andere. „Was habt ihr damit zu tun? Sprecht!“ befahl eine dritte, während sich der Kreis der Wachleute enger um mich legte.
Ich konnte erkennen, wie sich ein zweiter Kreis da hinter bildete, doch nun waren es bekannte Gesichter, die mich verständnislos und wütend ansahen: Gesichter von Freunden. „Wieso hast du nichts gemerkt?“ fragte jemand. „Hast du nichts dagegen getan?“ jemand anderes.


Erneut überkam mich Panik, doch diesmal eine ganz anderer Art. Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, um zu erklären, doch mir fielen keine Worte ein.
Worte. Ich suchte nach ihnen, doch ich konnte keine finden für das, was mir selbst so unwirklich und nicht möglich erschien. Sie entglitten meinem Bewusstsein, noch bevor ich sie einfangen und begreifen konnte.


„Sprich doch endlich!“ hörte ich wie aus weiter Ferne.


Ich schloss die Augen und schwieg.
Was sollte ich auch sagen?