Der Flug zur Sonne - Eintrag 21-25

[Sonne-Playlist]


Eintrag 21, Tag 20


Wieder ein Traum. Ich erinnere mich nicht mehr genau, ich konnte kaum etwas erkennen. Ich war geblendet vom gleißenden Licht der Sonne und spürte, wie ich mich barfuß über einen Weg aus spitzen Steinen wanderte. Sie Steine waren heiß, aber es schmerzte nicht. Als sei meine Haut auch aus Stein.


Eintrag 22, Tag 21


Die Steuerkanzel war fast leer, Rugo von Sternling saß mit einem Tee an seinem Pausenplatz, während Garzza das Schiff auf Kurs hielt. Ich glaube sie schlief nie.
Ich stand an der Frontscheibe und blickte gedankenverloren in die Sonne. Bedeutend größer geworden war sie. Allerdings keinen weiteren Begegnungen mit Lebewesen oder andere Auffälligkeiten. Weder Gesänge, Wale, Luftblasen oder Rochen, auch keine Kraken oder Quallen. Die Leere hier war wohl wie das Meer: Gigantisch, so dass sich alles Leben darin verteilen konnte.


Nach einer Weile hörte ich schwere Schritte und bald stand Rikken Kaltatem neben mir. Er rieb seinen blonden, eckigen Bart und starrte mit den stets weit aufgerissenen Augen in die Sonne.
„Vylo, erinnerst du dich an den Tag des Abfluges? Damals blickten wir über Kaineng.“
„Ja, vor gerade genau drei Wochen war das.“
„Es kommt einem länger vor, nicht? Ich sagte, wir würden Legenden werden. Und in den drei Wochen, ohne die Sonne betreten zu haben...haben wir schon so viel entdeckt. Auch wenn ich noch nichts hier bezwungen habe. Wenn ich noch nicht von Bedeutung war. Es ist so friedlich.“
Ich nickte, eine Weile sahen wir unserem leuchtenden Ziel entgegen, eher er wieder sprach.
„Doch das wird nicht immer so sein.“
Ich blickte auf. „Nicht? Wieso glaubst du das?“
„Vylo, was hast du heute geträumt?“
Er sah mich an, als wüsste er mehr. Ich erzählte es ihm also.
„Hmm.“ Er grübelte einen Moment, ehe er nur sagte: „Interessant.“
Ich fragte, ob er denn auch solche Träume hätte, über die Sonne. Ich hatte noch mit niemandem darüber gesprochen, da ich es nicht für wichtig hielt. Aber ich war wohl nicht die einzige. Vielleicht träumten alle anderen ähnliches?
„Meine Träume sind anders, Vylo. Ein Meer aus Feuer, Peitschen aus Feuer, die sich um meine Arme schlingen. Ich zerquetsche sie. Doch das Meer zieht meine Füße, meine Beine, meinen Körper in die Tiefe. Doch ich verbrenne nicht, ich werde ein Teil des Flammenmeeres. Ich bin das Flammenmeer. Ich bin stärker denn je, weiser, größer. Mehr. Und überall zugleich.“
Das klang auf jeden Fall interessant. Wenn auch mit Rikkens typischem Größenwahn durchsetzt. Er erlaubte mir, die Träume aufzuschreiben - Er bat viel mehr darum.


„Vylo, wir werden nicht den selben Pfad wandeln, so viel steht fest.“ Er sagte das mit einer Überzeugung, dass ich einfach nur nicken konnte. Seine Zeit als Rabenschamane hatte ihn sicher vieles über Träume und ihre Bedeutungen gelehrt.
Rugo von Sternling war mit seinem Tee fertig und trat nun hinter uns. Er hatte unserem Gespräch gelauscht. „Werter Rikken, also angenehm klingt das nicht, Euer 'Pfad'!“ Er lachte auf, so wie jemand sich über ein Kind amüsiert, das etwas nicht begreift.
„Ihr glaubt nicht an Träume, Rugo? Das solltet Ihr aber.“, brummte er dumpf.
Rugo schüttelte den Kopf, räusperte sich. „Wir alle sind ein wenig euphorisch aufgrund unserer Expedition, doch sollten wir die Dinge stets aus wissenschaftlichem Blickwinkel in Augenschein nehmen, meine verehrten Freunde. Natürlich träumt man von der Sonne, wenn man sich in großem Maße über eine lange Zeit damit beschäftigt! Dort nun viel hineinzuinterpretieren ist schlichtweg unsinnig.“
„Rugo, das ist ignorant. Die Zeichen die uns das Leben gibt solltet auch Ihr wahrnehmen. Gerade ihr.“
„Vielleicht werde ich das, Rikken. Doch bestimmt werde ich nicht in Eurem Feuermeer baden, so viel ist gewiß!“ Er lachte auf, machte eine beschwichtigende Geste. Er hatte eingesehen, dass man mit Rikken Kaltatem lieber nicht diskutierte.
Doch ich glaubte nicht, dass Rugo sich nur aus dem Grund zu uns gestellt hatte, um unsere Träume als Unsinn abzutun. Etwas hatte ihn dazu bewogen, also fragte ich ihn: „Auch wenn es Unsinn ist, hattet Ihr denn vergleichbare Träume in letzter Zeit?“
Von Sternling lächelte einen Moment und wirkte... einen Moment komischer als sonat schon. Er wandte sich eilig ab, lachte auf und ging wieder Richtung Steuer. „Es ist, wie zuvor erwähnt, bedauerlicherweise Unsinn! Garza, meine Schicht beginnt.“


Eintrag 23, Tag 22


Ich habe versucht ein paar Krumitglieder auf ihre Träume anzusprechen. Rollo Dampfkrug behauptet, er schlafe seit je her wie ein Stein. Die Tengu sagten, sie hätten wirklich etwas geträumt, doch wollten sie es mir noch nicht sagen. Boolwi erzählte mir von einem leuchtenden Meer, durch das er tauchte. Warm und zufrieden fühlte er sich dabei. Sein Bauch fühlte sich an wie voller warmer Fischschwärme.
Mich interessierte was die Hylek dazu zu sagen hatten. Schließlich war die Sonne Ihre Gottheit.
Qecatl und Wakatl freuten sich, als ich sie darauf ansprach. „Ja. Uns steht eine lange Reise bevor.“, sagten sie nur. Mehr bekam ich nicht aus ihnen heraus.


Als ich Lady Xiaoqing fragte, was sie denn in letzter Zeit geträumt habe, lächelte sie nur. „Das ist eine sehr private Frage, findest du nicht, Vylo Musyca?“
Ihre Schminke hatte heute so etwas Respekt einflößendes, ihre Augen wirkten so riesig...ich machte keine weiteren Versuche, sie zu fragen.
Jinhai hatte das Gespräch schadenfroh verfolgt. Zumindest schloß ich das aus seinem Grinsen. Dennoch fragte ich ihn, ob er vielleicht auch von der Sonne geträumt hat.
„Vylo, das ist eine sehr private Frage, verstehst du das nicht? Nun, ich erzähle es dir trotzdem...“
Er blickte mich nun ernst an.
„Ich sehe...ein Licht! Und...na ja, jedenfalls sehe ich dich, wie du von einem dieser Wolkenkraken gefressen wirst. Weil du daneben schießt. Ein Haps, weg! Und alle haben Ruhe.“ Er lachte und wandte sich ab. Blöde Witze. Mit sowas reagiert man nicht umsonst. Genau wie bei Rugo von Sternling. Ich glaube sie wollen sich damit selbst täuschen. Wie auch immer, ich hatte nach diesem Gespräch eine lange Weile kein Bedürfnis mehr, mit dem Leibwächter zu reden.


Eintrag 24, Tag 23


Es sind wieder Lebensmittel verschwunden, so wie ein weiteres Huhn. Doch wieso sollte jemand von der Kru Nahrungsvorräte plündern? Jeder bekam hier genug. Es gab einfach keinen Grund.
Nizpi will die Sache nicht mehr auf die leichte Schulter nehmen – sie wünscht, dass Inke ihre Vorratskammer rund um die Uhr bewachen lässt. Dazu könnte man die Wachsamen einsetzen, womit sie 'immerhin einen Zweck erfüllen' würden. Wenn sie denn nicht selbst die Diebe waren. Wer auch immer der Dieb war, die Sache tat dem Klima hier nicht gut.
Noch zu viel Misstrauen, von Anfang an.


Eintrag 25, Tag 25


Skruu hat beim Reinigen eines Brennofens die Reste des Huhns gefunden. Zumindest die Knochen. Laut Rikkens Jagdkenntnissen war das Huhn geköpft, gerupft und dann amateurhaft gebraten worden. Die Knochen waren sorgfältig abgenagt.
Rollo verwies auf das Tapsen in den Rohren, dass sie vor über einer Woche zum ersten Mal gehört hatten. Auch Nizpi ging nun davon aus, dass irgendetwas an Bord gekommen war. Und es hatte Hunger.