Der Flug zur Sonne - Eintrag 28-29

[Sonne-Playlist]



Eintrag 28, Tag 26


Die Gestalt trat langsam aus dem Dunkel heraus, die Hände erhoben. „Seid Ihr sicher, dass ich Dubranochev bin, Nizpi? Ich dachte, alle Schaufler sehen gleich aus.“
Der Schaufler ließ seine beiden Zähne aufblitzen und trat vor die Magisterin, jedenfalls so nahe, wie die Wachsamen es erlaubten.


Der blinde Passagier überraschte die meisten, jedenfalls ging ein Raunen durch die Reihen der Anwesenden. Man hatte wohl einfach nur mit weiteren Skritt gerechnet.
Dr. Pynzos sah die Magisterin verwundert an. „Das – Ihr...also Ihr kennt ihn??“
Nizpi klappte ihr Monokel hoch, mit starrer Miene musterte sie den Schaufler. „Natürlich, Dubranochev war verantwortlich für...“
„...den Maschinenraum.“, griff er ihre Erklärung auf. „Die primären und sekundären Kessel. Die Leitern hier, die Kräne, die Abgasverteilung, die Rohre. Und die Verlegung der Fliesen auf diesem Schiff.“
Dr. Pynzos schüttelte ungläubig den Kopf.
„Der Fließenleger, der zur Sonne flog..? Immerhin, Pläne aushecken, das könnt Ihr, das muss man Euch lassen. Aber jetzt seid Ihr hier, die Situation hat sich verändert. Also, was wollt Ihr hier überhaupt?“
„Oh, es hat natürlich rein gar nichts mit der Sonne zu tun, nein, nein. Eine epochale Reise ist mir nicht wichtig. Mir gefiel eben nur den Witz mit dem 'blinden Passagier'. Und glaubt mir, unterschätzt das Verlegen der Fliesen nicht! Nicht wahr, Magisterin? Hm? Die Fliesen....“
„Genug jetzt.“ Nizpi schüttelte den Kopf und sah zu den Wachsamen. „Ordnonos, ich werde ein Gespräch unter vier...ein privates Gespärch mit dem blinden Passagier führen. Sollte er Anstalten machen, mir schaden zu wollen, feuern Sie.“


Bald darauf standen die Asura und der Schaufler ein weites Stück abseits. Was sie beredeten, erfuhr niemand.
Inke hatte begonnen, die Behausung des Schauflers zu durchsuchen. „Wie kann man nur so viel fressen!“, schallte es durch den Kessel. Die Einrichtung war sehr einfach: Eine Schlafstätte, die zugleich als Stuhl diente, ein kleiner abgerundeter Tisch, ein schrankartiger Kasten und ein Plumpsklo. Außerdem gab es in der Decke eine lukenförmige Öffnung, die wohl extra für die Skritt angebracht worden war. Ein Rohr, das Wasser zum Kühlen transportierte, verlief mitten durch den Kessel. Das hatte Dubranochev wohl als Trinkwasser und zur Wäsche gedient.
Er musste das hier lange geplant haben, vielleicht hatte diese Idee ihn erst dazu bewogen, den Bau des Maschinenraumes zu übernehmen.
Über drei Wochen hatten sie hier unentdeckt gehaust, um zur Sonne fliegen zu können.


Eintrag 29, Tag 27


Nizpi hat den Schaufler und die Skritt getrennt einsperren lassen. Vorübergehend. Das Gespräch war wohl ohne Zwischenfälle verlaufen.
Snikki war also keine Einzeltäterin gewesen, die sich aus Neugier auf das Schiff geschlichen hatte, sie war Teil von Dubranochevs Plan. Viele verstehen, dass er einfach nur zur Sonne mitfliegen wollte, etwas, das Nizpi Schauflern nicht erlaubte. Doch diese Erklärung stellte nicht alle zufrieden, manche vermuteten größere Pläne oder Verschwörungen hinter seinen Taten.


Ich habe Dubranochev in seiner Zelle besucht, um mehr über seine Beweggründe zu erfahren. Er begegnete mir freundlich und war bereit, seine Geschichte offenzulegen. Die Leute, die das hier lesen, sollen in ihm keinen Verbrecher sehen, sie sollten seine Entschlossenheit bewundern, so seine Worte. Ich fragte ihn auch nach Snikki, die er als 'treue Genossin' bezeichnete. Sie verbindet eine interessante Vergangenheit: Bei Bergungsarbeiten in den Zittergipfeln waren Snikki und andere Skritt auf eine Goldader gestoßen. Man hatte sie davor gewarnt, dass sie unter einem See arbeiteten, aber dennoch hatten sie versucht, so viel Gold wie möglich abzubauen. Als dann das Wasser hereinbrach, versuchten die Skritt das Gold zu retten, statt sich in Sicherheit zu bringen.
Die Skritt waren Hilfsarbeiter der Schaufler gewesen, die diese Mine betrieben. Die Schaufler hatten die Skritt aufgefordert, zu fliehen, aber sie steckten ihre Kräfte lieber in die Bergung des Goldes.
Als die Schaufler aufgaben und den Gang verschließen wollten, nahm allein Dubranochev sich die Zeit, mit seinem Bergeanzug den Schacht hinunter zu steigen und die Skritt einen nach dem anderen herauszuzerren. Die Mine und das Gold waren verloren, begraben von Geröll und Wasser, versiegelt durch ein eisernes Tor, doch die Skritt lebten.
Er erfuhr aber nur wenig Dankbarkeit. Denn natürlich waren die Skritt ihm böse gewesen, als er sie um ihre Schätze brachte. Doch Snikki, wenn auch zunächst erzürnt, hatte es ihm als einzige 'verziehen', was nichts anders hiess, dass sie ihm für die Rettung ihres Lebens dankte. Und da Dubranochev ein komplizierter Name war, nannte sie ihn einfach nur 'Du'.


Dubranochev war durch die Minenarbeitszeit sehr erfahren im Umgang von Golemanzügen, wie er mir erzählte. Seine Hoffnung: Die Anzüge in Charrgröße. Die würde er wohl bei der Expedition verwenden können, sollte man es ihm erlauben. Die Charr in der Maschinenhalle schienen keinen Groll gegen den Schaufler zu hegen, vielleicht bewunderten sie im Stillen auch seinen kühnen Plan mit dem Kessel. Daher will er so schnell wie möglich aus der Zelle entlassen werden um ihnen zu helfen. Wenn er Rollos Gunst gewinnt, bekommt er auf der Sonne vielleicht einen Anzug geliehen. Doch das ist noch Zukunftsmusik.


Nun haben wir also eine Skritt und einen Schaufler auf dem Schiff. Zum besseren Verständnis der Lage werde ich jetzt Magisterin Nizpis Urteile über diese Völker aus dem Expeditionshandbuch abschreiben, ihre Begründungen, wieso diese Völker nicht mitfliegen sollten:


„Skritt sind Gemeinschaftswesen. Erst in größeren Gruppen weisen sie akzeptables Denkvermögen auf – der Hauptgrund, wieso sie nicht an einer Sonnenmission teilnehmen sollten. Der schwache Intellekt von wenigen Skritt-Individuen wäre auf dieser Mission nicht von Vorteil. Und eine größere Gruppe an Skritt mitzunehmen, würde logistische und finanzielle Strapazen mit sich ziehen, die vom Nutzen nicht aufgewogen werden können.
Desweiteren wissen wir nicht, wie Skritt auf die Nähe zur Sonne reagieren, beziehungsweise deren Anblick. Der einfache Skritt-Verstand könnte überfordert sein. Schließlich ist er das schon beim Anblick einer glänzenden Perle.“


Und auch für den Ausschluss der Schaufler führt sie Gründe auf. Es gibt noch einen entsprechenden Bericht über die Grawle, doch bisher wollte noch kein Grawl den Flug antreten.


„Schaufler sind unterirdisch lebende Wesen. Doch im Gegensatz zum Asura kann sich ihr Körper schlecht an die Gegebenheiten über der Erde anpassen, ihr ganzer Körper ist für das Graben entwickelt worden, eine Fähigkeit, die auf der Sonne nicht erforderlich ist. Der Schaufler sieht wegen dieser Entwicklungen auch nicht. Das ist ein einschneidender Defizit, da die Sonne mit den Augen am spürbarsten wahrgenommen wird. Blinde zur Sonne mitzunehmen mag vielleicht ein interessantes Experiment der Zukunft werden, aber beim Erstflug zur Sonne hat ein Blinder keine Funktion.
Ein Talent der Schaufler ist die Technik, doch hinkt sie weit hinter moderner Charrtechnik her und ist oft nur als zweckmäßig und brachial anzusehen. Die robuste Größe, durch die sich Schaufler auszeichnen, ist ebenfalls durch Charr ersetzbar.
Daher ein Nein zu Schauflern in der Sonnenexpedition.


- Mag. Nizpi“


Das Verhältnis zwischen Asura und Schauflern hat sich seit dem zweiten Erdbebenkrieg vor knapp siebzig Jahren nur schleppend erholt. Als man den Drachen Kralkatorrik bezwungen hatte, war Rata Sum stark beschädigt worden, der riesige Würfel war bis auf den Dschungelboden hinabgesunken.
Die Schaufler, eigentlich Verbündete durch den Völkerpakt gegen die Drachen, nutzten die Gelegenheit, um sich mit ihren Maschinen Zugang nach Rata Sum zu verschaffen. Die starken Erschütterungen wie auch die Angriffe der Schaufler forderten viele Opfer auf Seiten der geschwächten Asura. Doch sie trieben die Schaufler zurück. Als klar wurde, dass Rata Sum nicht mehr zu retten war, warf man die Schaufler aus dem Völkerpakt. Das Vertrauen war nachhaltig erschüttert. Heute ist Rata Sum ein Mahnmal, bewachsen von Pflanzen und umringt von Kralkatorriks zerfetzten, scherbenartigen Überresten.
Doch die Lösung der Asura heisst, wie wir alle wissen, Rata Sum II.
Dennoch, das Gespräch zwischen Nizpi und dem Schaufler schien überraschend gut verlaufen zu sein, auch wenn sich keiner der beiden zum Inhalt äußern will.