Der Flug zur Sonne - Eintrag 40-42

[Sonne-Playlist]



Eintrag 40, Tag 42


Doktor Pynzos hatte seine Stoppuhr aufgezogen, die seit dem Abkoppeln unaufhörlich vor sich hin tickte. Wir waren genau 231 Sekunden unterwegs, als unser Gefährt die Sonnenoberfläche berührte.
Bei unserem ersten Kontakt mit der fremden Welt vernahmen wir zunächst ein Knacken, das wir unter uns spürten, ähnlich Ästen oder kratzenden Steinen. Als liefe ein Schiff an einem Strand aus Gestrüpp auf. Pynzos lief alamiert ans Fenster, denn er hatte mit einem Aufsetzen in Lava gerechnet. Was hatte da geknackt, der Würfel oder die Sonne? Die Sonne sollte laut seinen Schätzungen nicht knacken. Nur wenige Sekunden nach der Landung neigte sich der Würfel in eine schiefe Lage, wir mussten uns festhalten, als das Gefährt noch ein kleines Stück weit den 'Hang', oder was auch immer dort unter uns sein mochte, hinunterrutschte.
Dann blieb es in der Sonne stecken.
Still warteten wir zunächst ab, ob noch etwas passierte. Kein Knirschen mehr, unsere Lage schien stabil. Als auch wir uns beruhigt hatten, versuchte Pynzos sich dem Fenster zu nähern – man musste dazu nun den Boden des schiefen Würfels 'hochlaufen', Pynzos errechnete eine Steigung von 42,4°. Da Asura bekanntlich kurze Beine haben, Pynzos nicht mehr der jüngste ist und sich gerne mit Golems fortbewegt, stellte ihn die Steigung vor eine große Herausforderung. Er bat mich also, das für ihn zu übernehmen.
„Erkennt Ihr was?“, fragte er, als ich oben war, die anderen schauten gespannt zu mir auf.
Ich musste sie leider enttäuschen.
„Nur grelles Leuchten.“, berichtete ich.
„Hm. Unerwartet. Natürlich, die Sonne ist für ihre Strahlkraft recht bekannt. Doch die Konsistenz widerspricht unseren Erwartungen. Ich werde die Kraftfeldfilter neu einstellen müssen, damit Ihr was erkennen könnt. Dazu müsste ich aber an die Kontrollen...“
Es gefiel ihm nicht, wenn er etwas wichtiges nicht selbst tun konnte. Er zögerte einen Moment, ehe er wieder zu mir sprach. „Seht Ihr...das purpur leuchtende Rad neben euch, in der Mitte des Fensters?“
Es war nicht zu übersehen, ich nickte ihm zu.
„Gut. Dreht an den kleinen Hebelchen links daneben, ganz vorsichtig. Gegen den Uhrzeigersinn. Das ist die Richtung, wenn die Uhr...“
„Ich weiss das schon.“, unterbrach ich ihn und tat wie geheissen...


Rollo, der noch in seinem Anzug in der Kammer steckte, klopfte an die Türe nach innen. Dumpf hallte seine Stimme in den Würfel. „...was ist los, wann kann ich denn raus?“
„Einen Moment noch!“, blaffte Pynzos ungeduldig, während er mir die verschiedenen Schritte erklärte, die ich zum Einstellen der Kraftfeldfilter durchführen musste. Wir probierten einige Kombinationen aus und hofftne, dass sich etwas tat, dass man sehen konnte, was dort hinter dem grellen Licht war.
Stellt Euch Wolken am hellichten Tag vor, wenn die Sonne sie überstrahlt und fast komplett weiss erscheinen lässt. Setzt man nun Sonnengläser auf, sieht man mit einem mal die vielen feinen Abstufungen der Wolken viel deutlicher. So ähnlich war das mit den Sonnenfiltern hier, nur funktionierten die viel besser. Und waren magisch.
„Stop!“, rief ich plötzlich aus, obwohl ich selbst es war, die an dem Hebel drehte. Etwas wie eine Landschaft war zu erkennen.
„Ja?? Ja, was seht Ihr, Exploratorin??“
Ich musste mir einen Moment Zeit nehmen, um das gesehene in Worten zu beschreiben. Die Farben waren durch das Dunkelglas und die Kraftfelder sicher verfälscht...aber wenn man sie gänzlich unverfälscht sehen wollte, würde es wohl auch das letzte sein, was man jemals sah.


Ich blickte aus dem Fenster über ein weite Ebene aus orangenem und goldenem Kristall, Spitzen und Splitter, die dicht an dicht in etwas gleicher Höhe wucherten. Es erinnerte mich an ein Korallenriff oder einen ausgetrockneten Salzsee. Oder an ein Weizenfeld, in dem Kristalle anstatt der Weizen wuchsen. Das Feld mochte Meilenweit reichen, es stieg sanft zu einem Hügel auf, bis es mit einem orangeroten Horizont verschwomm. Aber dann fiel mir ein, dass wir ja schief auf der Sonne lagen, in einem Winkel von 42,4°, laut Pynzos. Also war das keine Ebene.
Wir lagen wohl auf einem Hügel oder Hang...
Während meiner Ausführungen war der Hylek zu mir hochgesprungen, um seine Gottheit ins Augen zu fassen. Wieder klebte er mit dem Gesicht an der Scheibe, um alle Eindrücke aufzunehmen.


Pynzos tat das alles mit einem Nicken ab, seine Aufregung war schnell wieder verflogen. Er war ja wieder informiert. Jetzt musste geplant werden. Er gab Rollo die Einstellungen für den Filter durch, die er benötigte, um auf der Sonne sehen zu können. Ich beschrieb ihm, was er da draußen erwarten konnte. Dann machte er sich auf den Weg.
Die Pforte zur Sonne öffnete sich und er trat in das grelle Licht, als das erste Wesen unserer Welt.


Eintrag 41, Tag 42


Wir hatten vereinbart, dass Rollo zum Fenster kommen sollte. Dort erschien er auch bald und klopfte an die Scheibe. Der Charr im Golem deutete in Richtungen, die wir von unserem Fenster aus nicht sehen konnten, dann machte er sich zum 'Hügel' auf, damit er in Sichtweite blieb, wie vereinbart. Die Kette entfernte er, da sie sich in den Kristallen verfing.
Als er nach einer halben Stunde zurückkehrte, schilderte er uns folgendes:
„Es gibt eine Erklärung für die schiefe Lage – nein, es ist kein Hügel auf dem wir liegen! Wir sind in einem großen Krater, einem Trichter, er ist rund, riesig, meilenweit, gleichmäßig! In der Mitte läuft alles zusammen. Dort ist eine Art See, ein leuchtender See, aus leuchtender Flüssigkeit, bestimmt Lava. Manchmal schwappt sie hoch, wie bei einem Geysir. Das Gehen auf der Sonne im Golem ist möglich, die Kristalle zerbrechen, wenn man darauftritt, aber man kommt stetig voran. Der Boden des Trichters ist von unserem Würfel viel weiter entfernt als der Rand des Kraters! Als nächstes sollten wir zusammen dort hochsteigen, nachsehen, was sich dahinter befindet. Wir sind lediglich in einem Krater oder einem Vulkan auf der Sonne, dort draußen, hinter dem Rand, da muss noch mehr sein als das hier!“


Pynzos war mit dem Vorschlag einverstanden, also machten wir uns bereit.


Eintrag 42, Tag 42


Vooli kleidete uns übrige drei in die Golemanzüge, zunächst Qecatl, dann mich, dann würde Pynzos dran sein.
Wobei kleiden nicht das richtige Wort ist. Es fühlt sich an, wie eine schwere Rüstung angelegt zu bekommen und damit in einen Metallsarg gelegt zu werden. Das klingt unangenehm, aber vielen wäre das lieber, als in einer Golemhülle die Sonne zu betreten.
Gerade wurde mir der 'Helm' befestigt, da gab es einen erneuten Ruck im Würfel. Wir spürten wieder das Knirschen der Kristalle. Wir rutschten wohl den Abhang entlang, Richtung Trichter! Und wir stoppten. Dann ein erneuter Ruck. Pynzos gab den Befehl, dass die Anzugträger sofort den Würfel verlassen sollten, um dessen Lage zu festigen. Er würde versuchen an die Kontrollen zu gelangen, um in die Schwebe zu gehen.


Obwohl die Lage hektisch schien, konnten wir uns in unseren Anzügen nur gemächlich fortbewegen, Rollo verließ die Pforte als erster, danach Qecatl. Der Charr fing den kleineren Hylekgolem auf, als er zu stürzen drohte.
„Vorsichtig, nicht zu weit vornüber lehnen!“, tönte es dumpf aus dem Helm.
Als ich dann die Sonne betrat, fühlte ich nur das Knirschen. Ich hatte irgendwie mit einem Pieksen an den Fußsohlen gerechnet, aber das war natürlich Unsinn, eingehüllt in eine massive Schicht aus Aanicarium. Auch wärmer wurde es nicht. Ein gutes Zeichen, der Anzug hielt also.
Ich hatte kaum Zeit mir einen Überblick zu verschaffen, Rollo stakste direkt an die Hinterseite des Würfels, an der sich ein kleiner Damm aus abgebrochenen Kristallen angehäuft hatte. Der Hylek hielt die eine, ich die andere Hinterkante des Würfels, Rollo stemmte sich direkt an die Rückseite. Es gelang uns, den Würfel in eine waagrechte Lage zu versetzen. So hielten wir ihn eine Weile, in der Hoffnung, Pynzos würde alle Einstellungen tätigen und den Würfel schweben lassen. Und das geschah auch bald.


Ein Wohnwürfel allein hat zwar die Möglichkeit zu schweben, allerdings mit sehr geringem Tempo. Das Heruntersinken auf die Sonne ging schnell, das Aufsteigen hingegen ist weitaus zeitaufwändiger. Das Geradeausschweben ist noch langsamer. Und unser Würfel schwebte nun sowohl geradeaus als auch nach oben, da er den Trichterhang überwinden musste.
Wir in den Golemanzügen schritten neben dem Würfel her. Die Golems hatten am Bauch und an den Hüften kleine Klappen, in denen man Proben lagern konnte, also sammelten wir mehrere der abgesplitterten Kristallbrocken ein. Dann sahen wir uns die Spur an, die der Würfel hinterlassen hatte. Sie unterschied sich kaum von der übrigen Umgebung, nur war sie niedriger. Das Kristallgeflecht schien sich weit in den Sonnenboden fortzusetzen, doch das war natürlich nur unser erster Eindruck.
Hinter dem Fenster des Wohnwürfels konnten wir die beiden Asura ausmachen. Als wir stehen blieben, um zu Pynzos zu sehen, wies er nur mit einer Geste nach vorne, zum Rande des Hügels, Kraters, oder wo auch immer wir gelandet waren...


Das war also die Sonne. Würde es so weitergehen, Ebenen voller Kristalle? Lebte hier nichts? Was würden wir hinter dem Krater entdecken?