Von Stand, Kapitel 5: Veränderungen

Gendarran, 1327. Ein Gut südlich von Nebo.


Luciana Borlotti war eine hervorragende Haushälterin. In ihren fähigen Händen liefen alle Stränge des emsigen Haushaltes zusammen. Und für ein Anwesen der Größe und Güte des Stammsitzes Ährenstolz hieß das schon etwas - vor allem eine ganze Menge Verantwortung. Es war sie, die das Personal auswählte und drillte, einteilte und streng auf Kurs hielt. Von der kleinsten Spülmagd bis hinauf zum Kammerdiener seiner Hochgeboren stand alles unter den scharfen Augen und klaren Regeln der Signora in Habachtstellung. Es war sie, die dafür sorgte, dass alles saubergehalten wurde, dass frische Laken auf den Betten, flackerndes Feuer in den Kaminen und eine angemessene Speisenfolge auf dem Esstisch auftauchte. Sie entschied, welche Chaisen neu bezogen wurden, welche Rosen in diesem Jahr im alten Glashaus der Contessa gepflanzt wurden, welche Kandelaber bei welchem Anlass die Freitreppen erleuchteten. Nichts von alledem tat sie für sich und nichts von alledem durfte sie ihr Werk und Eigentum nennen. Und dennoch war "die Signora" Luciana Borlotti in jeder Hinsicht die unbestrittene Herrin von Ährenstolz. So war es, seit es keine Gräfin mehr auf Ährenstolz gab und so würde es auch bleiben, bis der neunte Graf, "Conte Florean", wie sie ihn immer noch nannte, eine Braut heimführte. Die brave Haushälterin versah ihre Pflichten mit Freude und Verantwortungsbewusstsein und ging gänzlich in ihrem tagesfüllenden Posten auf.


Bis heute. Überwiegend mit einem resoluten, aber ausgeglichenen Gemüt gesegnet, war heute an der aparten Mittfünfzigerin etwas...anders. Schon beim Betreten des Teezimmers im Dienstbotentrakt raschelte die schwarze Seide ihres strengen Gewandes lauter als sonst, klirrte der vollbesetzte Schlüsselbund, Insignie und Notwendigkeit ihres Amtes an ihrem Gürtel echauffierter als üblich. Barnaby Travers, zu dieser Tagesstunde wann immer abkömmlich getreuer Teegeselle der Signora, hob die Brauen, als die Haushälterin so hereinrauschte; hob sie noch ein mehr, als die Frau beim Einschenken heftig mit dem Porzellan klirrte und noch ein wenig höher, als sogar ein wenig Tee danebenging. Eindeutig, da war unterdrückter Zorn am Werk und wie jeder geduldige Mann zog er innerlich den Kopf ein und wartete auf den Ausbruch. Er hatte die Zeichen der Missbilligung schon die ganze Woche über an der langjährigen Weggefährtin bemerkt. Da eine kleine Falte im attraktiven, gebräunten Gesicht, dort eine schwarz-silberne Locke, die aufgeregt aus dem sonst korrekten Dutt ragte. Er wusste, woher es rührte und trotz seiner Beschwichtigungen über die Tage war es nun offenbar so weit. Und tatsächlich. "Er will die Ahnengalerie abgehangen haben." ging das Donnerwetter auch schon zähneknirschend los. "Die Ahnengalerie, Barnaby." Besagter zuckerte der Signora den Tee, konterte mit einem ruhigen: "Du kennst seine Gründe, Luciana. Kannst du es ihm verübeln?" Kurzes Schweigen mit schmalem Strichmund auf der Gegenseite. Ein gemeinsam getrunkener Schluck, dann hob die Haushälterin erneut an. "Außerdem will er das Herrenzimmer umdekorieren. Komplett, Barnaby, sogar die Wandbehänge. Kannst du dir vorstellen, wie aufwendig sie restauriert wurden? Ich habe mir solche Mühe gegeben, alles so zu erhalten, wie es seit den Tagen des dritten Grafen..." Barnaby Travers seufzte, stellte seine Teetasse ab, um nach der Hand der Signora zu greifen. "Luciana, Liebste, ich bin sicher, er weiß diese Arbeit zu schätzen. Aber du weißt, wie der Alte zu ihm war. Würdest du im Bettvorhang eines verhassten Mannes ruhen, an dessen Schreibtisch sitzen wollen?" Tief atmete die attraktive Frau ein, trank einen beruhigenden Schluck Tee. Die langen, dunklen Wimpern beschatteten ihre fast schwarzen Augen, als sie schließlich seufzte, einen leisen, traurigen Laut, der den Kammerdiener dazu brachte, ihre Finger fester zu umfassen. "Und was ist das für eine Idee, DORT leben zu wollen. In Götterfels. In einem eigenen Haushalt, Barnaby! Ist ihm das hier denn nicht genug? Was habe ich...was haben wir falsch gemacht, dass er uns jetzt so im Stich lässt?" Tränen standen nun in den Augen der Frau, während der Mann mit der dunklen Livree ihre Finger warm an seine Lippen zog und leise sagte "Er lässt uns nicht im Stich, Luciana. Er fängt endlich an zu leben. Ist das nicht Lohn genug für unsere Mühen?"


Luciana Borlotti war eine hervorragende Haushälterin. Es war sie, die für den Unterschied zwischen einem verstaubten Kasten voller Kram und einem eleganten, belebten Anwesen sorgte. Und unter all den Tränen, die sie nun vergoss, wusste sie, dass sie ihren kleinen Conte Florean nun endlich loslassen musste. Nur er selbst konnte dieses Haus zum Einzigen formen, dessen sie mit all ihrer Mühe nicht imstande war: Zu einem richtigen Heim.