Silent Melody

"Es ist ein Mädchen!"


Die Hebamme hob das Kind hoch. Suzanne lächelte verzückt als sie nach der schweren Geburt erschöpft auf das Kind blickte. Für den Moment, als sie die großen, braunen Augen in dem kleinen Gesicht sah, waren die 9 Monate Tortur, die Sorgen um Geld und Heim und all die anderen Probleme die bis zu jenem Tag in ihrem Kopf herumspukten, vergessen.
Der Vater des Kindes war schon lange fort, er hatte Suzanne, die junge hübsch Bäckerin die sein Herz mit ihren Augen und ihrem Zitronenkuchen erobert hatte, an dem Tag sitzen lassen als sie die drei magischen Worte gesagt hatte. "Ich bin schwanger."
Erst hatte sie ihn verflucht. Dann sich selbst für ihre Dummheit. Sie war noch so jung, war sie überhaupt bereit für ein Kind? Wie sollte sie es von ihrem Bäckerinnengehalt, das gerade einmal für sie selbst reichte, ernähren? Vor allem da sie wohl kaum gleichzeitig in der Bäckerei arbeiten und ein Kind großziehen konnte. Doch das alles war in dem Moment nicht wichtig, denn diese Augen... es waren die Augen des Vaters, in die sie sich so verliebt hatte. Rehbraun und voller Wärme.


Etwas stimmte jedoch nicht. Die Hebamme hätte ihr das Kind doch längst geben müssen? Stattdessen sah sie zu wie die Hebamme erschüttert zu ihrer jungen Assistentin schaute, sich mit dem Kind von Suzanne wegdrehte und leise mit ihr tuschelte. Sie hörte nicht was sie redeten. Sie hörte auch das Kind nicht. Hatte sie die Anstrengung der Geburt taub werden lassen? ... nein sie hörte Vögel draußen. Aber warum hörte sie das Kind nicht? War es etwa...
"Helga?" fragte sie vorsichtig, nach der Hebamme rufend. "Was ist los? Was ist mit meinem Kind?"
Verstohlene Blicke der Hebammen über die Schulter. Und keine Antwort. Das "Alles in Ordnung" der Assistentin klang nicht sehr überzeugend. Suzanne versuchte sich aufzurichten, doch die Schmerzen in ihrem Leib waren noch zu groß um sich wirklich zu bewegen. Sie reckte den Hals und versuchte etwas zu erkennen. Sie konnte das Ärmchen ihres Kindes zucken sehen. Zumindest bewegte es sich noch. Die Sorge um ihr Kind schnürte ihr die Kehle zu.


Nach Momenten, die sich wie grausame Jahre anfühlten, drehte sich die Hebamme Helga um und kam mit dem Kind, welches in ein Tuch gewickelt war, zu Suzanne herüber.
"Suzi... deine Tochter ist soweit gesund... aber..."
"Aber? Das ist ein Wort das ich gar nicht hören will." entgegnete sie. "Was ist mit ihr? Sie schreit nicht. Wieso schreit sie nicht? Sollten Kinder nach der Geburt nicht schreien?"
"... genau das ist es ja." erklärte Helga. "Das Mädchen hat keine Stimme. Irgendwas ist mit ihren Stimmbändern oder ihrer Kehle nicht... sie atmet normal und sie verzieht das Gesicht als würde sie schreien, aber es kommt kein Klang... das.. ist selten, aber kann vorkommen..."
Suzanne biss sich auf die Unterlippe während Helga ihr das Kind in die Arme legte. Sie betrachtete das kleine Geschöpf mit dem hochroten Kopf, welches das Gesicht verzog und zu schreien schien, wie man es von Kindern kannte... doch es gab kein Geräusch, bis auf das leise zischelnde Entweichen der Luft aus den kleinen Lungen.
"Das sollte sich ein Arzt genauer ansehen." meinte Helga leise, bevor sie die Mutter erstmal mit dem Kind alleine ließ um die Laken und Tücher zu säubern.


Suzanne blickte in die rehbraunen Augen des Kindes. Während sie es sacht im Arm wog schien es sich zu beruhigen und sie mit seinen großen Augen zu betrachten. Doch in ihrem Kopf rasten die Gedanken. Ein behindertes Kind? Sie war doch viel zu unerfahren und unsicher ob sie überhaupt ein Kind würde großziehen können. Aber wie sollte sie mit einer stummen Tochter ein Gespräch führen können? Wenn sie überhaupt alt genug werden würde. Wenn sie nicht schrie musste sie umso mehr auf die kleine aufpassen, wie sollte sie sonst merken wenn sie Hunger oder volle Windeln hatte, wenn sich das Kind nicht bemerkbar machen konnte?
Ihr kamen die Tränen. Wie sollte sie das nur alles schaffen? Sie war hoffnungslos überfordert.


~


Es war ein lauer Herbsttag als Priesterin Evanna die Türen öffnete. "Jimmy, leg sofort die Zwille weg sonst landet sie im Schreibtisch der Direktorin!" rief sie hinein und stolperte dabei fast über etwas, das jemand vor die Türen des Waisenhauses gelegt hatte. "Oh,nanu?"
Sie blickte auf das Körbchen, in dem ein dick eingewickeltes Bündel lag. Hatte da jemand etwa die Güte ein paar frische Äpfel abzuliefern? Doch dann sah sie wie sich das Bündel bewegte. "Bei Kormir" rief sie erschrocken und holte das Bündel schnell herein. Als Matrone des Waisenhauses musste sie nicht lange raten was sich darin befand. Noch ein hungriges Mäulchen zu stopfen. Doch normalerweise hörte man diese Art von Bündel noch bevor man über sie stolpern konnte.
Sie wickelte das Kind aus und blickte in große rehbraune Augen. Ein Zettel an der Brust des Mädchens gab Aufschluss über die wunderliche Stille des Kindes.
"Sie ist stumm. Kann mich leider nicht um sie kümmern. Anbei ist alles was ich erübrigen kann. Bitte kümmert Euch gut um sie." stand darauf.
Eine neutral gehaltene Nachricht ohne Unterschrift. Die Handschrift ist zittrig, daran erkannte Evanna dass es der Mutter schwer gefallen sein muss, das zu schreiben. Ein kleiner Umschlag mit etwas mehr als 2 Silberstücken war auch dabei. Für jemanden aus ärmlichen Verhältnissen ein kleines Vermögen. Evanna seufzte schwer. "Na, wenigstens muss ich mir keine Sorgen machen, dass du Lärm machst, mh?"


Nachdem das Kind erstmal versorgt war trug Evanna es ins Register ein. Bei so vielen Findelkindern hatten sie im Waisenhaus mittlerweile ein System für die Namensvergebung. Es ging nach dem Alphabet, eins für Mädchen, eins für Jungen. Bei den Jungen waren sie mittlerweile bei J angelangt, das nächste Kind würde also Jonathan oder Joseph heißen. Bei den Mädchen hieß das letzte Celia. Also war D an der Reihe.
Sie schrieb "Diana" in das Feld für Name. Der Nachname blieb frei. Vielleicht hatte das Kind ja Glück und würde adoptiert werden. Allerdings standen die Chancen für eine Stumme da schlecht.


The one who puts the "laughter" in "slaughter"
And the "fun" in "funeral"!


Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Nationalismus keine Alternative, sondern eine Katastrophe ist.