Noblesse Obligé - Neue Masken

"Nein, das klingt nicht gut."
Emilie zerknüllte den Zettel und warf ihn zu den anderen. Dann nahm sie einen neuen und begann wieder damit, Buchstaben zu sortieren.
"EMILIE LABLANCHE" schrieb sie nieder, bevor sie wieder begann, die Buchstaben umzudrehen. Anagramme zu bilden.


"Versuch doch mal, dich weniger hübsch zu machen. Schau, wie die Leute dann reagieren."
Diese Worte, die Leaja beim Rurik-Palas zu ihr gesagt hatte, hatten Emilie nicht losgelassen. Vielleicht war es das, was Sebastian gemeint hatte, als er sagte sie solle versuchen "weniger zu strahlen"?
Doch sie konnte sich nicht durch Schminke und Mesmer-Illusionen einfach so weniger hübsch erscheinen lassen. Die Leute wussten bereits wie sie aussah, wer sie war. Sie davon zu überzeugen dass sie anders aussah würde schwierig werden, und sie konnte sich niemals sicher sein, dass die Leute ehrlich mit ihr umgingen.
Nein sie musste zu einer komplett anderen Person werden.
Eine Tarnung. Eine Schein-Identität. Und dazu brauchte sie zu aller erst einen neuen Namen. Ein Name der nichts mit ihr zu tun hatte, also auch in keiner Kartei auftauchte oder sonst irgendwie vermerkt war, aber auch ein Name, mit dem sie sich identifizieren konnte. Ein Anagramm zu bilden erschien ihr als die logischste Konsequenz. Und wenn sie jemand nach dem Namen fragte, so würde sie nur teilweise lügen, denn es waren ja immerhin dieselben Buchstaben.
"LEILANI LEMBACH" stand nun auf dem Zettel. Lembach hörte sich schon fast richtig an, aber eine Frau die "Leilani" hieß klang viel zu sehr nach einer exotischen Schönheit. Das passte so gar nicht. Sie strich den Namen durch und begann erneut.


Sie hatte schon ein Bild vor ihrem inneren Auge. Sie kannte zwar die Geschichte von Lyssa, die sich als alte, pockennarbige Frau ausgegeben hatte, damit die Leute die innere Schönheit erkennen mussten. Doch das war zu übertrieben. Sie wollte keine Gruselmaske anlegen um Leute zu erschrecken oder sie vor Ekel die Straßenseite wechseln lassen, das würde ihr nicht helfen. Leute verschrecken konnte sie auch ohne Maske sehr gut. Nein, sie wollte ja Leute für sich gewinnen, die über das Äußerliche hinwegsehen konnten. Also musste eine Maske her, die von den Leuten zwar nicht als "Hübsch" angesehen wurde, aber auch nicht so hässlich war dass die Leute sich nicht trauten sie anzusehen.


"MELANIE BEILLACH". Schöner Vorname. Aber der Nachname wirkte zu konstruiert. Und "Lachbeil", wenn man es umdrehte, klang schon fast nach Axtmörderin. Sie schüttelte den Kopf, strich durch, fuhr fort.
Der Körper sollte auch nicht zu weiblich sein, Leute - besonders Männer - sahen gern mal über ein nicht ganz so tolles Gesicht hinweg, wenn wenigstens große Brüste da waren. Allerdings war es schwer, Dinge kleiner erscheinen zu lassen als sie sind, denn das "echte" war ja nicht weg, nur nicht sichtbar, und wenn jemand ihr zu nahe käme... also musste die Figur ihres neuen Ichs das kaschieren. So gestaltete sie den Körper ihres Alter-Egos etwas rundlicher. Breitere Hüften, weite Taille, eine Figur die schon fast birnenförmig war. Emilie konnte sich gut darin "verstecken" ohne dass ihre neue Erscheinung zu viel Weiblichkeit zeigte.


"ELLAINE LEIMBACH"
Nein, nein, nein. Das war ja zu sehr an ihrem echten Namen dran. Sie strich den Namen erneut durch. Hm, vielleicht sollte sie aufhören C und H zusammen zu lassen, dann würde der Name noch fremdartiger sein. Der neue Name sollte vielleicht mit einem C beginnen, wie Celia oder...
Sie begann erneut zu schreiben.


Das Gesicht war etwas schwieriger. Als allererstes passte sie die Proportionen der rundlicheren Körperfülle an. Pausbäckchen kamen hinzu. Ihr langes, platinblondes Haar steckte sie sich hoch und verbarg es unter der Illusionen eines burschikos geschnittenen, gewöhnlich-braunen, glanzlosen Bob. Die Augenbrauen machte sie etwas dicker, weniger perfekt gezupft, den Mund breiter und weniger voll. Und die Nase... ohja. Eine dicke, breite, knollige Nase rundete das Bild ab. Die Augen wurde nicht mehr ganz so blau gestaltet und rückten im Schädel etwas nach hinten, umrandet von wulstigen Augenlidern, wie sie sie bei der kurzsichtigen Bibliothekarin im Stadtarchiv gesehen hatte. Ohja, das war gut. Aber irgendetwas fehlte noch. Sie griff in ihre Tasche und holte ihre Lesebrille hervor, setzte sie auf.
Perfekt.


Im Spiegel blickte sie ein pummeliges, hausbackenes Mauerblümchen an, das auf den zweiten Blick eindeutig "Bücherwurm" zu schreien schien.
In dieser Gestalt fing sie an zu üben. Einen weniger eleganten Gang. Weniger filigrane Handbewegungen. Alles musste passen und stimmen. Sie legte sich sogar ein grunzendes, nerviges Lachen zu das so gar nicht damenhaft wirkte. Sie hatte sich in die Art Mädchen gewandelt, die sie früher unablässig gehänselt hätte. Ironisch, wie sie fand.
Sie sah aus wie eine langweilige Aktenschubse, und damit hatte sie auch einen perfekten Tarnberuf. Wirtschaftsprüferin und Archivistin. Langweiliger ging es kaum. Also wenn sie in dieser Gestalt Freunde fand, musste sie diese gut behandeln, denn dann waren diese unersetzbar. Fehlte nur noch der Name. Sie lächelte als ihr die zündende Idee kam.


"CAMILLA EBENHEIL"


Der Name klang genauso gewöhnlich und glanzlos wie die neue Frau im Spiegel.
Es war perfekt. Jetzt musste sie nur noch ihre Stimme verstellen.


The one who puts the "laughter" in "slaughter"
And the "fun" in "funeral"!


Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Nationalismus keine Alternative, sondern eine Katastrophe ist.

Kommentare 2

  • Freut mich. Und ich bin gespannt wie viel Ärger sich Emilie damit noch aufhalsen wird x)

  • Ganz, ganz groß! Ich mag alles daran. Die Idee, den Schreibfluss, den Ausdruck, die Gedankengänge. Richtig super.