Silent Melody III

Milodia hatte erst nicht verstanden, warum die Bäckerin, bei der die Kinder immer das alte Brot fürs Waisenhaus abholten, ausgerechnet bei ihr eine Ausnahme machte und ihr auch immer frisches Brot und ein paar Leckereien mitgab. Sie hatte befürchtet, es wäre weil sie stumm ist, und das gefiel ihr nicht. Sie wollte nicht anders behandelt werden. Doch mit der Zeit machte sich ein Verdacht bei ihr breit, denn die Bäckerin hatte ebenso langes, wallendes, kastanienbraunes Haar wie sie und solange Milodia sich in der Backstube aufhielt, hatte die Bäckerin ihre Augen immer nur auf ihr.


Als die Bäckerei schließlich zumachte und die Angestellten sich nach einer neuen Stelle umschauen mussten, hatte sie sie noch einmal getroffen und der Verdacht sollte sich bestätigen.
Die Bäckerin schloss Milodia in die Arme und gab ihr so viel Gebäck mit, wie sie nur konnte. Milodia war sich sicher, dass diese Frau ihre leibliche Mutter war.
Sie fühlte keinen Hass für sie, Milodia war generell die Art Mensch, die nicht wirklich hassen konnte, nein, sie war nur traurig dass sie nicht mehr Zeit mit ihr verbracht hatte.
"Es tut mir alles so furchtbar leid" sagte die Frau, die weder abstritt noch bestätigte, ihre Mutter zu sein. Aber das brauchte sie ihr auch nicht zu sagen. Sie las es an ihren Augen ab. "Es tut mir so leid. Ich wünschte, ich hätte mehr für dich tun können."


Das waren die letzten Worte, die die Frau je zu ihr gesagt hatte, denn dann drehte sie sich um und ging fort. Milodia sah sie nie wieder.
Als sie ging hätte Milodia sie gerne aufgehalten. Ihr gesagt, dass es ihr egal ist, dass sie nichts von ihr verlangt, kein Geld, keine Unterkunft, kein Essen oder sonst irgendwelche Dinge. Alles was sie wollte, war Zeit. Zeit mit ihr. Bei ihr sein, einfach nur in ihrer Nähe. Doch wie sollte sie ihr das begreiflich machen? Sie scheiterte ja schon daran, "Warte!" zu rufen. Sie streckte stumm ihre Arme aus, versuchte sie festzuhalten, doch sie entzog sich ihr. Und Milodia umklammerte die Papiertüten mit den Backwaren und blieb eine Weile allein auf der Straße stehen.


Milodia war aber nicht die einzige, die diese bevorzugte Behandlung durch die Bäckerin nicht verstand. Kassa und Lona verstanden es auch nicht. Kassa war ein hageres Mädchen, hübsch im Gesicht zwar, aber grässlich vom Charakter. Lona dagegen war fett. Sie nannte es "schweren Knochenbau" und aß nicht mehr als alle anderen Waisenkinder, wog aber so viel wie drei von ihnen. Die beiden waren die selbsternannten "Cheffinnen" unter den Mädchen des Waisenhauses, Kassa war das Hirn, Lona der Muskel. Zusammen hatten sie mit ihrer Zeit nichts besseres zu tun als die anderen Mädchen zu schikanieren, wo sie nur konnten. Und dass das stumme Gör mehr Leckereien bekam passte ihnen so ganz und gar nicht.
Als Milodia zurück ins Haus kam, warteten die beiden schon auf sie und verstellten ihr den Weg.
"Awww, na wen haben wir denn da?" fragte Kassa schnippisch.
Milodia indes, die sich nicht auf diese Schikane-Spielchen einlassen wollte, lächelte ihr nur freundlich entgegen.
"Unsere kleine Melo-Dia. Na, was hast du denn da hm? Hat dir die Bäckerin wieder Extra-Brötchen eingesteckt?
Milodia nickte zur Antwort, griff in die Papiertüte und hielt den beiden jeweils eine Zimtschnecke hin. Sie konnte sowieso nicht alle essen und sie teilte gerne, und wenn die beiden neidisch waren war es besser ihnen gleich etwas zu geben. So ließ sich vielleicht Ärger vermeiden. Für gewöhnlich klappte das auch. Aber diesmal nicht. Lona grinste und wollte schon zugreifen, doch Kassa schlug Milodia die Backwaren aus der Hand.
"Denkste ich will deine Almosen, Stummerchen?!" fuhr Kassa sie an. Stummerchen. Kassas eigene Wortkreation aus "Stumm" und "Dummerchen". Vermutlich war sie überaus stolz auf so viel Einfallsreichtum.
"Ich hab die Schnauze voll davon dass dich alle immer verhätscheln, bloß weil du nich reden willst." fuhr Kassa fort und schubbste Milodia leicht.
Oh wie gern würde Milodia ihr beipflichten. Ihr sagen, dass sie auch genug davon hatte, anders behandelt zu werden. Aber es war nicht so, dass sie nicht reden wollte. Sie konnte nicht.
"Weißt du was ich denke?" Kassa brachte ihr Gesicht ganz nah an Milodias, so dass Milodia ein Stück zurückwich, ehe sie den Kopf schüttelte. "Ich glaube du tust nur so, bist zu faul oder zu dumm was zu sagen und tust so als wärst du stumm damit die Leute dir alles nachtragen."
Milodia warf ihr einen entnervten Blick zu. Oh, wie gerne hätte sie, dass es so simpel war.
"Aber ich bring dich schon zum reden." Sie gab Lona ein Zeichen. Diese nickte, boxte Milodia in den Bauch, so dass sie Sterne vor Augen sah. Dann verschwamm alles, sie merkte nur wie sie hochgehoben und getragen wurde.


Als sie wieder zu sich kam waren ihre Hände und Füße mit Gürteln gefesselt. Sie kannte den Raum, die Abstellkammer des Waisenhauses. Lona stand über ihr und passte auf, dass sie sich nicht zu viel bewegte. Wann immer sie versuchte sich aufzurichten oder an den Fesseln zu rütteln drückte Lona sie auf den Boden.
Kassa hockte vor ihr, eine Zigarette im Mundwinkel. Milodia lag auf der Seite, der Oberkörper war frei bis auf ihren BH, und die Art wie sie gefesselt war und wie Lona sie festhielt, ließ ihre ganze Seite und Flanke schutzlos.
"So du Miststück. Dein Spiel ist aus." meinte Kassa dunkel, nahm einen Zug von ihrer Zigarette... und drückte sie unvermittelt an Milodias nackter Seite aus. Sie tat es sehr langsam, so dass die Glut Zeit hatte, sich in die Haut zu brennen. Es zischte und roch verbrannt, Milodia riss den Mund auf und weinte bittere Tränen, doch kein Laut kam über ihre Lippen.
"Vielleicht... ist sie wirklich..." meinte Lona.
"Ach so ein Unsinn" entgegnete Kassa und zündete sich die Zigarette mit einem neuen Streichholz an. "Die tut nur so. Aber sie ist verdammt gut darin."
Kassa wartete bis Milodia sich einigermaßen beruhigt hatte. Dann drückte sie die Zigarette erneut aus, diesmal etwas höher. Milodia riss den Mund erneut zu einem stummen Schrei auf und wand sich so stark, dass Lona Probleme hatte, sie festzuhalten.
"Kassa, das reicht jetzt, sie ist..." begann Lona, doch Kassa unterbrach sie. "...sie ist Willensstark, das ist alles."
Kassa blickte Milodia direkt an. "Es kann ganz schnell vorbei sein, hörst du? Du musst nur schreien..."
Milodia weinte nur zur Antwort, während Kassa die Zigarette wieder entzündete. Lona indes machte etwas, das Kassa gar nicht gefiel: Sie streichelte sacht über Milodias Kopf, versuchte sie zu beruhigen. Missbilligend blickte Kassa zu ihr herunter.
"Siehst du was du anrichtest, Stummerchen? Sogar Lona kriegst du rum mit deiner Mitleidsnummer."
Sie nahm noch einen Zug von der Zigarette. "Aber nicht mich!" grollte sie und drückte die Zigarette wieder aus, diesmal knapp unter der Achsel. Milodia drückte den Rücken durch und krampfte, der Schmerz nahm ihr fast die Besinnung, und sie schrie, sie schrie sich die Kehle aus dem Leib. Allerdings war davon nichts weiter zu hören als das pfeifen ihrer Lungen, die Luft hinauspressten.
Kassa war sichtlich unzufrieden. Sie blickte zu Lona während sie ihre Zigarette ein weiteres Mal anzündete.
"Sie hält ganz schön durch. Vielleicht müssen wirs an einer Stelle machen die wirklich wehtut. Los, zieh ihr die Hosen aus."
Bei diesen Worten wurde Milodia bleich und begann wie wild an ihren Fesseln zu zerren, so dass die Gürtel sich in ihre Haut schnitten. Aber auch Lona wurde blass.
"Nein, Kassa.... nein... nein das geht zu weit." Sie verschränkte die Arme und weigerte sich offenbar, Milodia weiter zu quälen.
Kassa sah sie mit zusammengekniffenen Augen an. Doch sie merkte, wie ihr die Kontrolle entglitt.
"Also schön" keifte sie, und brachte ihr Gesicht wieder nah an Milodias. "Aber sollte ich irgendwann rausfinden dass das alles nur gespielt ist, ich schwöre, dann mach ich dich kalt."


Milodia schloss die Augen und hörte zu wie die beiden gingen. Wenigstens über diesen Punkt musste Milodia sich keine Sorgen mehr machen.


Erst kurz vorm Abendessen fand ein anderes Mädchen sie in der Speisekammer - und bei den Göttern, die konnte schreien!


The one who puts the "laughter" in "slaughter"
And the "fun" in "funeral"!


Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Nationalismus keine Alternative, sondern eine Katastrophe ist.