Tagebuch eines Söldners - Buch XII, 49. Eintrag

Wie schon unzählige Male in den letzten Jahren war es wieder an der Zeit für den Soldmann die Feder zu schwingen. Mit Tinte, Federkiel, Buch und Kerze bewaffnet, wurde der Schreibtisch an der Wand in Beschlag genommen, die kostbare Ruhe, die er gerade hatte, ausnutzend.



Wir schreiben den 3. Tag im Jahre 1328 NE, Zeit des Phönix und dies ist mein 49. Eintrag in diesem Buch. Wieder einmal finde ich mich in Götterfels wieder. Wieder einmal auf der Suche nach einem potentiellen Dienstherren. Und wieder einmal wird für einen Feldzug geworben, dieses Mal jedoch Richtung Westen. Es erweckt den Anschein, dass sich alles wiederholt.


Wie immer über den Winter werden die meisten Offensiven im Hinterland, vor allem aber die größeren, eingestellt. Niemand bei klarem Verstand führt einen aggressiven Krieg im Winter, alleine schon aus Gründen des Nachschubs, Truppenmoral und Ausrüstung. Daher war der Vertrag, den ich mit der Seraphenkommandantur geschlossen hatte, auch auf ein Jahr befristet. So hatten die Männer Zeit ihre Familien über das Winterfest aufzusuchen und sich zumindest für eine kurze Weile an dem Gold, dass sie verdient haben, zu erfreuen. Ich selbst fand mich nach einem Tag der Ruhe bei einer Predigt im Schrein der Sechs wieder. Oder sollte ich Schrein der Götter Balthasar und Grenth schreiben? Immerhin schien es inzwischen eine einzige Bühne für diese beiden Gottheiten zu sein und niemand sonst.


Das ist das besondere an Götterfels. Es hat sich verändert und dennoch ist es gleich geblieben. Trotz all meiner Abwesenheit aber ist es immer noch Balthasar-Priester Dronon, der seine Wutpredigt vor den Bürgern hält, ignorierend, dass das Winterfest eine gänzlich andere Bedeutung hat. Oder gerade deswegen, wahrscheinlich. Man solle sich auf den Verlust von Fort Salma besinnen, auf die Soldaten und freien Kämpfer an der Front und sich nicht in der Verschwendung von Gold, Material und Zeit hingeben. Ich verstehe die Mahnung, kann sie in gewissen Kreisen sogar teilweise unterstützen, nicht jedoch in dem Grundtenor, den der Priester angeschlagen hat. Es war nicht die Mahnung, die es hätte sein sollen, sondern ein Anprangern eines Jeden, der es wagte sich in irgendeiner Form am Winterfest zu erfreuen, unabhängig davon welchem Leben er nachging. Alles, was sich nicht an der Front befand und kämpfte, war faul, dekadent und nutzlos in seinen Augen. Selbst als ich versuchte ihn darauf aufmerksam zu machen im nachfolgenden Gespräch, wurde ich von ihm im Handumdrehen zum Zweifler an den Göttern deklariert. Im Nachhinein betrachtet ist es wohl eher bedauerlich, dass dieser Mann lediglich von Hass, Zorn und Kampfeslust angetrieben wird, könnte er doch Großes erreichen für die Priesterschaft.


Seine Ehrwürden Dronon war aber nicht das einzige bekannte Gesicht bei der Predigt. Ayven Schnee habe ich dort ebenfalls getroffen, wobei ihr Name jetzt ‚Ayven von Nebelstein‘ lautet. Das ist, im Grunde, keine Überraschung, gab es damals doch nur das Hindernis des Geschwisterpaares. Ich war jedoch dezent überrascht zu erfahren, dass sie ohne Kinad nach Götterfels gekommen ist, ging ich doch davon aus, dass die beiden unzertrennlich sein würden. So wie meine Schwester und dieser Bast.. Jedenfalls stellte sich dieses Zusammentreffen als glückliche Fügung heraus, haben die Gasthäuser mir bisher zu verstehen gegeben, dass ich höchsten mit Scheunen oder ähnlichem Vorlieb nehmen könne, immerhin sei das Winterfest im vollen Gange. Ayven bot mir jedoch, zumindest für einige Tage, eine Unterkunft an bis sich etwas anderes finden ließe. Es war interessant zu hören womit sie sich die ganze Zeit über beschäftigt hatte und weshalb sie wieder in Götterfels war. Daher kann ich auch hier schreiben; Ayven war trotz aller Veränderungen immer noch Ayven. Vielleicht war sie wie manch anderer einfach zu stur, um sich grundlegend ändern, egal, wie sehr die äußeren Begebenheiten auf einen einwirken. Aber ich sollte dahingehend keine Urteile fällen, vor allem, wenn man bedenkt, was sie mir gestern erst erzählt hat. So sehr ich mir auch wünsche, dass das alles eine Lüge ist, ein fein gesponnenes Netz aus Intrige, um das Messer nur noch tiefer in mein Fleisch zu stoßen, so sehr fühle ich mich in meinem Verdacht immer mehr bestätigt. Es erklärt Worte, Gesten und Handlungen, die im Gegensatz zu anderen Lippenbekenntnissen standen. Ich hoffe, dass Calliope es nie erfahren wird.


Erfreulicher war jedoch der Winterball, zu welchem ich mir eine Einladung besorgen konnte. Trotz aller Vorhaben meinerseits lief es schlussendlich auf mehrere kurze Gespräche und zwei Tänze hinaus. Die Dame mit der ich beide Tänze teilte, hatte nicht wenig Schneid, wie sie bereits mit ihrem ersten Satz den sie an Flanagan – inzwischen Balthasar-Novize – und mich zeigte. Die üblichen Floskeln schienen nichts für sie zu sein, wurden wir doch von ihr direkt aufgefordert, in subtiler Art, uns um eine gewisse Dame Samantha Allington zu kümmern, immerhin sei es ihr erster Ball und sie habe ja noch keinen Tanzpartner. Das wirklich interessante jedoch war, dass sie eine Zurechtweisung nicht nur anerkannte, nein, sondern auch mit einem schneidigen Kommentar bedacht. Flanagan zumindest hatte sie insofern überzeugt, dass er den Anfang machte und die anwesende Dwayna-Priesterin zum Tanz aufforderte. Und das trotz, dass der Mann noch nie getanzt hatte. Dahingehend muss man ihm Respekt zollen auch wenn ich mit seiner Tanzpartnerin nicht tauschen wollen würde. Bevor ich jedoch der Aufforderung der dreisten Dame nachkommen konnte, wurde Ihre Hochgeboren Allington bereits von jemand anderem zum Tanz aufgefordert. Rückblickend betrachtet war dieses Versäumnis kein schlechtes, entschied ich mich kurzer Hand deswegen die Dame mit dem übermäßigen Schneid zu bitten, was eine amüsante Reaktion hervor rief. Erst Recht, als ich sie zu einem zweiten Tanz bat aber das hatte wiederum andere Hintergründe.

Der erste Eindruck, den ich auf dem Winterball gewonnen hatte, wurde in unseren weiteren Treffen, vor allem aber am gestrigen Tag, nur bestätigt. Die junge Dame, ihr Name Edith Chiltenham, war in der Tat eine Frau, die nebst Mut, Witz und Intelligenz auch eine scharfe Zunge aufweisen konnte. Seine Hochgeboren Wolsey, Gastgeber der Rurikhalle gestern, stellte die Veranstaltung unter das Licht von Grenth und forderte seine Gäste auf grün zu tragen. Weder war angegeben wie viel Grün zu tragen sei, noch waren die Ministerialwachen darüber informiert. Während Miss Chiltenham tatsächlich beinahe komplett in grüne Farben gehüllt war, beließ ich es bei einem schlichten, geliehenen Hemd, was, wie sich später herausstellte, nicht genug war. Nachdem Seine Hochgeboren nicht nur ein Kormir-Priester raus komplementiert hatte, enthielt auch mein Hemd nicht genügend Grün für den Mann. Entschädigt durch das unhöfliche, wenn nicht gar respektlose Verhalten des Barons wurde ich durch die Reaktion und Worte von Miss Chiltenham, welche sich nicht nur für meine Wenigkeit aufregte, sondern auch darauf verzichtete an der Veranstaltung weiter teilzunehmen. Doch trotz dieses ‚Rauswurfs‘ war der Abend nicht gänzlich verloren, dank geistreicher Unterhaltung und dem Sandplatz.


Wie es scheint, Schwester, bleibt Dein Bruder vorerst in Götterfels.


Die Sechs mit Dir, Calliope, und Deinem Sohn.


"I disapprove of what you say, but I will defend to the death your right to say it."
Evelyn Beatrice Hall; The Friends of Voltaire (1906)


"Oh mein Gott, er schluckt ihn ja wieder runter!"
Kay beim ersten Mal. (2016)

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