Tagebuch eines Söldners - Buch XII, 50. Eintrag

Wie auch schon beim letzten Eintrag ist das Zimmer beinahe leer, in dem sich der Söldner befindet. Mehr als nur spartanisch eingerichtet fehlt jegliche persönliche Note, um nicht zu sagen, dass sie nie vorhanden waren. Aber vielleicht mag es auch daran liegen, dass die Mietklinge erneut auszieht, aus der Taverne, weshalb auch immer.


Wir schreiben den 21. Tag im Jahre 1328 NE, Zeit des Phönix und dies ist mein 50. Eintrag in diesem Buch. Dein Bruder, Calliope, hat offenbar ein Talent entwickelt, stets in prekäre Situationen zu kommen. Vor allem, wenn es um Deinesgleichen geht.


Es ist anderen flüchtigen Bekanntschaften nicht verborgen geblieben, dass ich mich häufiger mit Miss Chiltenham getroffen habe. Dabei scheint es niemanden zu interessieren, dass diese Treffen meist eher zufälliger Natur waren und ich sie tatsächlich erst zwei Mal aufgesucht habe. Was aber eine gewisse Dame interessiert, ist mein Interesse an Miss Chiltenham. Ob es ernsthafter Natur sei und ich darauf Acht geben sollte, die junge Frau nicht zu verletzen. Besagte Dame ist die Schwester Seiner Gnaden Di Saverio. Davon abgesehen, dass das Treffen mit Ihrer Hochwohlgeboren am späten Abend war, auf dem Platz der Kormir, frage ich mich inzwischen, was Andere mir ständig diese oder andere Fragen stellen lässt. Ist das Söldnertum in den vergangenen Jahren zu neu gewonnenem Glanz, Ehre und Rechtschaffenheit gekommen? Andernfalls kann ich es mir schlicht nicht erklären weshalb das Interesse an meiner Person über den gelegentlichen Vertrag hinaus geht.


Wie dem auch sei; Ich zerstreute die Annahmen – oder sollte ich Hoffnungen schreiben? - Ihrer Hochwohlgeboren Di Saverio und machte Ihr deutlich, dass ich meinen Platz kenne. Mehrmals, wie ich betonen möchte. Aber die Dame war nicht die Einzige, die offenbar Probleme damit hatte diese Einstellung von vorne herein zu verstehen, geschweige denn es zu verstehen, wenn man es in Worte fasst. Miss Chiltenham nennt diese 'Eigenschaft' ebenso ihr Eigen, wenngleich ich zu ihrer Verteidigung schreiben muss, dass es sich dort um einen gänzlich anderen Hintergrund handelt, als bei Ihrer Hochwohlgeboren Di Saverio. Es war mein erster, gezielter Besuch bei der jungen Dame Chiltenham, um ihr ein kleineres Geschenk zu überreichen. Immerhin hat sie sich meiner angenommen und mir notwendige Informationen sowie Zugänge beschafft wobei das eher nebensächlich war. Jedenfalls lief auch dieses Gespräch in dieselbe Richtung bis hin zu meiner, inzwischen zum vierten Mal wiederholten, Aussage, dass ich meinen Platz kenne. Ich gebe zu, dass es dieses Mal nicht gänzlich ohne mein Zutun an diesem Punkt anbelangt ist, noch dass das Nachfolgende vollkommen außerhalb meiner Verantwortung lag. Aber bei allen Sechs und ihren Tugenden – habe ich denn nicht gelernt? Schwester, wahrscheinlich würdest Du Mutter in ihren Taten und Worten ähneln, wüsstest Du davon und würde sie noch leben.


Aber um meine eigene Frage zu beantworten; Nein, ich habe keineswegs gelernt. Im Gegenteil sogar, ich nahm einen Auftrag nebst dem Feldzug an. Habe ich denn alle Regeln über Bord geworfen? Nur ein Auftrag zur selben Zeit. Niemals zwei oder mehr. Da hilft es auch nicht, wenn die junge Dame und ich kein Papier dahingehend aufgesetzt haben. Es ist ein Auftrag. Und keiner leichter, denn wenngleich es um einen offenbar mehr als nur ersetzbaren Leutnant an der Front geht, so ist er immer noch Teil der Armee Ihrer Majestät und kann daher schlecht einfach die ihm zugeteilte Einheit sowie Front verlassen. Davon abgesehen, dass dieser Mann, ihr Cousin, schlicht und ergreifend genau zu der Sorte Offizier gehört, die lieber Soldat spielen, als ihre verdammte Arbeit zu erledigen. Soweit ich es verstanden habe hat dieser Grünling sein Offizierspatent mit Gold gekauft, statt durch harte Ausbildung, Erfahrung und Verdienste. Die Art Offizier, die die Männer und Frauen unter ihrem Kommando schlechter behandeln, als die Bettler in den Straßen Götterfels und sie schlussendlich in den Tod führen. Aber diese Argumentation kann ich schlecht vorbringen, vor allem nicht gegenüber besagtem Leutnant, denn ich bezweifle, dass dieser dann mehr geneigt ist nach Hause zurückzukehren.


Das ist jedoch nicht mein einziges Problem, ist besagte Miss nicht nur mit genügend Schneid und Intelligenz gekrönt, sondern auch mit einer beinahe ungesunden Neugier sowie Gewitztheit. Statt sich mit der bloßen Gabe zufrieden zu geben, hat sie in der Bibliothek Nachforschungen angestellt. Es ist wohl einer glücklichen Fügung der Sechs zu verdanken, dass ich sie eben genau dort antraf und mit meinen Worten wieder mehr Schaden anrichtete, als Nutzen aber zumindest ihrer Nachforschungen gewahr wurde. Wie kann ein Mensch nur so neugierig und gleichzeitig so offenbar ignorant der Gefahren über sein? Ist es die Jugend, die dort einer gesunden Entscheidung im Wege steht? Ich weiß es nicht. So oder so habe ich ihr heute die Gefahren dargelegt, die ihr Handeln mit sich trägt und hoffe, dass das genug war um sie von weiteren Ideen und Plänen abzuhalten. Aber so, wie ich sie allmählich kenne, war das lediglich Ansporn weiteres herauszufinden und dementsprechend zu handeln. Es bringt aber nichts weiter darüber zu grübeln, vor allem weil morgen der Feldzug gen Westen marschieren wird. Wie hieß es noch gleich? Es hilft nichts um das bereits bratende Moa-Ei zu trauern.


Ich sollte mich jetzt zu Ruhe begeben. Morgen wird ein anstrengender Tag.


Die Sechs mit Dir, Calliope, und Deinem Sohn.


"I disapprove of what you say, but I will defend to the death your right to say it."
Evelyn Beatrice Hall; The Friends of Voltaire (1906)


"Oh mein Gott, er schluckt ihn ja wieder runter!"
Kay beim ersten Mal. (2016)