Tagebuch eines Söldners - Buch XII, 52. Eintrag

Langsam hob sich die rechte, raue Soldatenpranke zum Kopf des Söldners und fuhr über die neue Narbe, die seine Stirn seit dem Duell zierte. Blass ist sie, kaum von den normalen Furchen zu unterscheiden, wenn er die Stirn runzelte. Aber dennoch sichtbar und eine Kerbe im Kantholz. Mit einem dezenten Murren ließ der Mann die Hand sinken, kurz an dem rechten Ohr reibend, bevor man schließlich den Federkiel zur Hand nahm und auf die leere Seite zum Schreiben ansetzte.


Wir schreiben den 36. Tag im Jahre 1328 NE, Zeit des Phönix und dies ist mein 52. Eintrag in diesem Buch. Ich muss den Zorn aller sechs Götter auf mich gezogen haben, denn anders kann ich mir nicht erklären weshalb ich erneut auf jemanden treffe, der Terix und Kastella so ähnlich ist. Gleich diesen beiden Männern treibt mich dieser Baron in die schiere Verzweiflung. Wenn diese Art Männer die Zukunft Krytas sind, bete ich zu den Göttern, dass der Zeitpunkt wo ich das Schwert niederlegen muss, noch fern ist.

Ich hatte gehofft, dass der Ausrutscher während des Kampfes mit den Zentauren der einzige bleiben würde, doch leider erwies sich Weißenstein als zu hartnäckig in dieser Hinsicht. Ausschlaggebend für den Anfang war das Gespräch nach der Lehrstunde der Abtei Durmand, über die Gegnervariationen, die diesem Altdrachen hörig sind. Es war ein guter Vortrag, wenngleich mir der taktische sowie strategische Aspekt fehlte, bestätigte es zum Einen einige meiner Beobachtung, die ich bei der Erkundung erlangen konnte, und zum Anderen verschaffte es mir weitere, tiefere Einblicke in die Möglichkeiten, wie man diese Monstren unschädlich machen könnte. Jedenfalls ereignete sich die ‚Meinungsverschiedenheit‘ mit diesem Baron im Nachhinein, als er sich zu einer Besprechung zwischen Seiner Hochwürden Dronon und mir dazu gesellte. Statt sich an der taktischen Erläuterung des gehörten zu beteiligen, verhielt sich der Mann ruhig und hörte zu, was sich im Nachhinein eher als Ignoranz bis Arroganz heraus stellte, statt der von mir angenommenen Höflichkeit. Als Seine Hochwürden schließlich in seinem Zelt verschwand, fragte ich Weißenstein, ob er einen Schild habe, war ich doch bereits dabei mögliche Übungen und Manöver für die Söldner im Kopf durchzugehen, um es später in geschriebener Form Feldwebel Ahlefeldt zu präsentieren.

Weißenstein bejahte die Frage und reagierte gar abfällig auf mein Nachfragen weshalb er es nicht nutze. Er habe es nicht nötig sich hinter einem Schild zu verstecken, habe er doch seine Rüstung. Ich ignorierte den Kommentar, wenngleich es für den weiteren Verlauf des Gespräches nichts brachte, und stellte eine weitere Frage in Hinsicht auf die taktische Planung. Ob er leichtere Ausrüstung hätte, weniger Rüstung, keine Plattenpanzerung sondern nur Kettenhemd und Leder. Statt einer simplen, ernsten Antwort vor allem in Hinblick auf unsere Situation an der Front mit einem uns unbekannten Feind, schlug mir beißender Spott und Hohn entgegen. Es war exakt dieser Augenblick, der mir deutlich vor Augen führte, was für eine Art Mann ich vor mir hatte. Dieselbe Art Mann, wie damals, als ich Hauptmann der Wölfe war und Kastella oder Terix mir den letzten Nerv raubten. Dadurch, dass ich zu dem Zeitpunkt der geistigen Umnachtung von Weißenstein keinerlei Dienstherren außer mir selbst hatte, hielt ich meine ehrliche Meinung keineswegs zurück. Ich erzählte ihm, was ich von einem unerfahrenem Jungspund wie ihm hielt, von seiner angeblichen Befähigung als Leutnant, ganz zu schweigen von der Berechtigung seines Offizierspatents. Ich machte keinen Hehl aus meiner Abneigung ihm gegenüber, sah ich keinerlei Grund mehr dazu. Daher kam es wie es kommen musste und dieser Jüngling forderte mich zu einem Duell dessen Tragweite sowie Bedeutung er zu dem damaligen Zeitpunkt nicht ermessen konnte. Wobei er das bis heute wahrscheinlich nicht kann. Als Tag wurde der 31. in der Zeit des Phönix festgelegt, unmittelbar nach der anstehenden Feld-Predigt. Seine Hochwürden Dronon durch seine Berufung als Balthasar-Priester war in unser beider Augen die einzig mögliche Wahl für den Schiedsmann.

Es sollte ein kurzer Kampf werden. Durch mangelnde Aufmerksamkeit von Weißenstein, Seiner Hochwürden wie auch mir wurden von vorne herein keine klaren Regeln erwählt weshalb ein Sieg nur durch Aufgabe des anderen Kontrahenten möglich gewesen wäre. So oder so habe ich diesem unerfahrenen Burschen deutlich gemacht, dass leichtere Rüstung, ein Schild sowie eine einhändig geführte Waffe keineswegs die Wahl von Feiglingen ist. Es würde mich nicht wundern, wenn er immer noch den Treffer an seinem Bauch spürt, wenngleich er zur Zeit gänzlich andere Probleme hat. Seine Hochwürden unterbrach schließlich den Kampf bevor ich dem Jungen noch ernsthaftere Verletzungen zufügen konnte und nach einer kurzen Beratung im Nachhinein übertrug er mir die Entscheidung zwischen einem Rückkampf sowie einem Angebot des Barons zu wählen. Ich entschied mich für den Rückkampf. Es stellte sich später heraus, dass das Weißenstein gar nicht schmeckte, denn nur wenige Tage später bat mich Seine Hochwürden darum den Kampf vorzuverlegen, denn Seine Hochwohlgeboren könne sich nicht auf den eigentlichen Auftrag konzentrieren. Es war zum Lachen sowie zum Weinen. Nichts desto trotz stimmte ich zu und legte den 38. Tag in der Zeit des Phönix als nächsten Duell-Tag fest. Weißenstein zeigte sich, nachdem ich seinen kostbaren Schlaf gestört hatte, einverstanden.

Aber es sollte wohl nicht sein, denn ein Scharmützel mit Soldaten des Albtraumhofes beschädigte zum Einen meine Rüstung sowie mein Schild und gab dem Baron zum Anderen eine Ausrede wie er sich vor unserem Rückkampf drücken konnte. Das Fort Vandale war unter starkem Beschuss und die Soldaten auf der Wehr hatten ihre Mühe das Feuer zu erwidern. Daher entschieden sich drei Seraphen, Seine Hochwürden Dronon, der Baron Weißenstein und ich uns für einen Ausfall aus dem Fort, um die Höflinge nahe dem Tor niederzumachen. Aber schon beim Stürmen aus dem Fort und auf den Feind zu, vier an der Zahl, war klar, dass das kein leichtes Unterfangen werden würde. Die beiden Seraphen und Weißenstein bogen nach einem Befehl von Seiner Hochwürden direkt nach rechts ab, um diese pflanzen-artigen Geschütze auszuschalten, während der Rest sich weiter dem Feind näherte. Bedauerlicher Weise haben wir diese Höflinge unterschätzt, warf einer von ihnen eine Granate in unsere Richtung, die beinah unmittelbar neben unserer kleinen Truppe explodierte. Braga wurde durch metallene Splitter verletzt, während der Priester und ich Glück im Unglück hatten, wenn auch meine Rüstung teils sowie mein Schild in Gänze danach aussah wie ein Nadelkissen. Die beiden Seraphen bei Weißenstein schienen unverletzt obwohl der Mann selbst desorientiert bis verwirrt wirkte. So oder so klingelten uns allen die Ohren und so deutete ich für Albert schlicht mit meinem Schwert auf die sich zurück ziehenden Feinde. Wir hätten sie auch ohne Probleme erwischen können, hätte dieser verfluchte Seraph nicht seinen Brandsatz geworfen. Nur mit Mühe und Not konnte ich Weißenstein davor bewahren bei lebendigen Leibe zu verbrennen. Das gab den Höflingen die Gelegenheit zu fliehen und sie hätten es auch geschafft wären nicht die Bogenschützen Ihrer Majestät inzwischen auf den Wehrmauern gewesen. Pfeil um Pfeil haben sie auf die Vierer Gruppe niederregnen lassen bis schließlich auch der Letzte zu Boden ging. Sowohl Braga als auch Weißenstein wurden von den Männern und Frauen des Forts wieder hinein geschafft, um sie zu versorgen, während Priester Dronon, einer der zwei Seraphen und ich uns auf die Jagd nach dem überlebenden Höfling, der, trotz Pfeil in der Schulter, weiterhin versuchte zu fliehen. Die Ehre diesen Bastard zu erlegen ging aber weder an den Priester noch an mich, denn der Seraph war deutlich schneller sowie geschickter.

Alles in allem gab es einige Verwundete zu beklagen, darunter ebenso auch ich, war offenbar mein Gehör durch die Explosion der Granate in Mitleidenschaft gezogen worden. Nach einer eher schlichten Versorgung durch einen der Sanitäter wurde mir mit einem Schrieb mitgeteilt mich am nächsten Tag wieder zu melden sollte es sich nicht bessern. Zu meinem eigenen Erschrecken und Leidwesen hörte ich auch am heutigen Morgen immer noch nichts und machte mich zum Lazarett auf. Ich muss zugeben, dass das Fehlen der Geräusche um einen herum einen Mann wahnsinnig machen kann. Ein Soldat ohne Gehör ist wie ein blinder Kutscher. Er kann seine Arbeit nicht verrichten, weshalb mir daran gelegen war diesen Umstand schnellstmöglich zu bereinigen. Denn selbst dieser kurze Weg zum Zelt der Heiler und Ärzte verschaffte mir das Gefühl, das ich nicht wirklich beschreiben kann. Anspannung, Gereiztheit, Wut und das ständige Gefühl etwas unmittelbar Wichtiges zu verpassen, weil ich es nicht hören konnte. Zu meinem Glück daher, jedenfalls dachte ich das am Anfang, befand sich ein Dwayna-Priester im Lazarett. Ich weiß nicht was die Ärztin Moyles ihm gesagt hat aber schließlich – und endlich – stimmte er wohl zu mich zu heilen. Das war zumindest meine Annahme, konnte das Endergebnis dem nicht ferner liegen. Das Heilen dieses Mal jedoch war gänzlich anderer Natur, als ich es gewohnt bin, denn es fühlte sich beinahe so an, als wollte der Rotbart mit seinen Händen in meinem Kopf eindringen. Es kostete daher beinah all meine Selbstbeherrschung auf dem Tisch liegen zu bleiben und dieses magische Ritual oder wie man es schimpfen will über mich ergehen zu lassen. Immerhin war ich guter Hoffnung danach wieder hören zu können und somit meinen Dienst zu versehen. Das Ergebnis jedoch war, dass mein Gehör offenbar dem eines alten, weißhaarigen Mannes entsprach. Ich verstand nicht warum, war das doch nicht wirklich eine Verbesserung gegenüber dem eigentlichen Zustand. Es war nichts Halbes und nichts Ganzes, drangen doch nun zwar Geräusche durch aber zu leise, um ihren Ursprung und ihre Art auszumachen. Es war beinahe schlimmer als zuvor. Dennoch bedankte ich mich daher schlicht und verließ auf schnellstem Wege das Zelt, denn ich wollte nicht in Versuchung gelangen diesem Priester zu verdeutlichen wo wir uns befanden.

Nichts desto trotz war ich gewillt den Rückkampf auszufechten, hatte ich doch mein Wort gegeben. Aber auch hier hatte ich die Rechnung ohne Weißenstein gemacht. Man sollte der Meinung sein, dass ein Baron, obendrein ein Leutnant der berüchtigten Ebon-Vorhut, genügend Ehre und Standhaftigkeit im Leib hat, um ebenso zu seinem Wort zu stehen. Stattdessen musste ich mit ansehen, wie er vortäuschte seinen Verstand verloren zu haben. Es war schlicht und ergreifend widerwärtig, eine Schande für seinen Stand, seiner Herkunft sowie seinen ehemaligen Rang. Ich werde morgen mit Seiner Hochwürden daher sprechen müssen, lasse ich mir mein Recht nicht durch schlechte Schausteller-Leistung nehmen. Und wenn der unwahrscheinliche Umstand eintritt, dass Weißenstein wirklich den Verstand verloren hat, so muss ich auch mit Seiner Hochwürden sprechen damit er das Duell für ungültig erklärt. Immerhin kann es keine Fehde mit einem Mann geben, der offensichtlich nicht seine Sinne beisammen hat. Abwarten. Ja, Abwarten, das klingt nach einer guten Entscheidung diesbezüglich.

Davon abgesehen fehlt von dem Cousin und seiner Truppe offenbar jede Spur. Ich hoffe, dass es nicht das heißt, was mir mein Gefühl zuflüstert.


Die Sechs mit Dir, Calliope, und mit Deinem Sohn.


"I disapprove of what you say, but I will defend to the death your right to say it."
Evelyn Beatrice Hall; The Friends of Voltaire (1906)


"Oh mein Gott, er schluckt ihn ja wieder runter!"
Kay beim ersten Mal. (2016)