Tagebuch eines Söldners - Buch XII, 53. Eintrag

Mit einem Seufzen, dass sowohl Missbilligung als auch Resignation zu gleichen Teilen ausdrückt, nimmt der Soldmann seinen Mantel zur Hand, um damit die schlafende Frau auf dem Sofa zu seiner Rechten zu zudecken. Sie haben bis tief in die Nacht geredet und man hört bereits die ersten Vögel, die zwitschernd den baldigen Sonnenaufgang ankündigen. Wie immer hat sie ihn mit Fragen gelöchert, hat jedoch gleichzeitig aufmerksam zugehört. Und wie immer hat sie versucht bis zum Morgengrauen durchzuhalten, mit ihm zusammen. Aber wie immer ist sie vorher eingeschlafen, mit einer weiteren Frage auf den Lippen.


Wir schreiben den 51. Tag im Jahre 1328 NE, Zeit des Phönix und dies ist mein 53. Eintrag in diesem Buch. Vor nicht ganz fünf Tagen haben wir der Westfront verfrüht den Rücken gekehrt und sind seit dem heutigen Tage wieder in Götterfels. Ich komme nicht umhin zu sagen, dass dieser Feldzug keineswegs ein größeres Desaster hätte sein können.


Unsere erste Schlacht mit dem neuen Feind hatten wir am 37. Tag in der Zeit des Phönix, einen Tag nach meinem letzten Eintrag in diesem Buch. Auch wenn die Schlacht am Ende gewonnen wurde, so erfolgte dieser Sieg erst nach dem Rückzug unserer Truppen. Noch bevor die Wachsamen die Lücken füllen konnten, die wir hinterlassen haben. Von Anfang an war es die falsche Taktik gewesen hinter dem Tor Stellung zu beziehen, hätte es uns kostbare Minuten zum Neugruppieren geben können, wäre ein Kampf vor den Mauern nicht nach unseren Vorstellungen verlaufen. Aber die Befehle lauteten anders und der Feind ließ keine Zeit verstreichen, die man benötigt hätte, um den befehlshabenden Offizier umzustimmen. So also brandete der Feind gegen die Mauer, schickte seine eigene Ausführung von Plänkern auf unsere Geschützplattform um uns daran zu hindern eben jenes Geschütz von der riesigen Ranke zu befreien, die unseren größten Vorteil ausgeschaltet hatte. Ein Schildwall, bestehend aus den schweren Infanteristen hatte direkt hinter der Mauer Stellung bezogen, verstärkt durch die leichte Infanterie direkt dahinter sowie Bogenschützen am hintersten Ende. Es war eine solide Formation, stark, durchdacht und vor allem erprobt gegen andere Feinde. Aber hier lag das Problem, dieser Feind war nicht wie andere; Er war nicht wie die Zentauren; Er war nicht wie die Inquestur; Er war nicht wie die Banditen und Separatisten.


Dieser Feind scherte sich nicht um Verluste, nicht um Taktik oder Strategie. Das, was ich in dieser Schlacht mitbekommen konnte, war eine erschreckend einfache Methode, die nicht nur verlustreich für uns – seinen Feind – war, sondern auch die Moral am meisten schädigte. Trotz aller Vorteile, die das Lager der Standhaftigkeit hatte, überrannten die Mordrem unsere Verteidigungsanlagen, als wären sie aus simplen Sand gebaut wurden. Für diese Art Kampf gibt es im Hinterland eine Bezeichnung; „Angst und Schrecken“ - Ziel ist es den Feind mit einem überwältigen Angriff zu brechen, jedweden Widerstand auszulöschen und somit eine Schockstarre zu verursachen. Eine höchst brutale aber einfache Strategie, die sich oftmals bewährt hat, auch im Kampf gegen die sonst so furchtlosen Zentauren. Doch dieses Mal, an der Westfront, war nicht ich derjenige, der ein Teil des ersten, überwältigen Angriffes war, sondern derjenige, der ihn abwehren musste. Es dauerte nicht lange, dass das Tor gefallen und die ersten Feinde den Schildwall durchbrachen, um Tod sowie Verderben unter die leichten Infanteristen zu bringen. Die Mauerbrecher selbst kümmerten sich um die Frontlinie der Seraphen, nach dem zwei Teragreifen durchgebrochen waren. Ich selbst versuchte mit drei anderen die Geschützplattform zu sichern, was uns sogar gelang aber um das Geschütz von der Ranke zu befreien, reichte unser Einsatz nicht mehr. Auch, als wir uns in die Schlacht, die auf dem Vorplatz hinter dem Tor tobte, stürzten, konnten wir nur bedingt etwas ausrichten, zumal wenige Augenblicke später einer der Offiziere der Seraphen zum Rückzug rief.


Das Resultat dieser Schlacht, welche nicht mal ein ganzes Stundenglas währte, war erschreckend. Die Verluste unter den Seraphen waren weitreichend, um nicht zu sagen, dass sie dem Feldzug das Genick gebrochen haben. Seine Hochwürden Dronon wurde schwer verletzt ebenso wie einer der Söldner, der offenbar von einer unmittelbaren Explosion erfasst worden war. Ich selbst zog mir eine tiefere Fleischwunde an der rechten Seite zu, die, zu meinem Glück, gut verheilt und nur eine Narbe als Andenken hinterlassen wird. Die Tage nach der Schlacht waren von weiteren Toden, bangen um schwer Verletzte und die allgemeine Rat- wie Rastlosigkeit jener, die die Schlacht halbwegs unbeschadet überstanden haben. Einige der Freiwilligen verließen das Feldlager und somit den Feldzug verfrüht, um die Rückreise nach Götterfels oder wer weiß wohin anzutreten – darunter Seine Hochgeboren Wolsey sowie sein Sohn und der gesamte Söldnertrupp, der ihm gefolgt ist nebst Seine Hochgeboren Weißenstein, wenngleich es um diesen Bengel keineswegs schade war, dass er verfrüht aufgebrochen ist. So oder so aber schadete es der Moral, wenn sich Abteilungen beinahe eigenständig von der Haupttruppe los sagte um zu verschwinden. Es war daher nicht verwunderlich das nur wenige Tage später wir mit dem verbliebenen Rest an freien Soldaten sowie der Seraphenkompanie unseren eigenen Rückmarsch antraten, der, bis auf einen Zwischenfall mit Banditen, recht ruhig verlief. So ruhig, wie der Marsch durch Shaemoor und der Einmarsch in Götterfels. Keine jubelnden Massen, die am Straßenrand standen, um die heimkehrenden Helden zu feiern. Aber das war weniger verwunderlich, denn welche Armee möchte die eigenen Niederlagen selbst in die Nacht hinaus posaunen, sodass es jeder mitbekam – ob Freund oder Feind.


Alles in Allem kostete mich dieser Feldzug mehr, als dass der Sold mir einbrachte, denn dieser ging bereits für das neue Schild sowie die Reparatur des Schwertes vollends drauf. Das Einschmelzen und Neuschmieden meiner Rüstung musste ich aus eigener Tasche bezahlen – kurzum, es war nicht ertragreich gewesen. Eine Lehre für mich. Aber ich sollte nun schließen und Dich langsam ins Bett bringen, meinst Du nicht?


Die Sechs mit Dir, Calliope, und mit Deinem Sohn.


P.S.: Er ist wirklich dick, Schwester. Nicht, dass er noch kurzatmig wird ...


"I disapprove of what you say, but I will defend to the death your right to say it."
Evelyn Beatrice Hall; The Friends of Voltaire (1906)


"Oh mein Gott, er schluckt ihn ja wieder runter!"
Kay beim ersten Mal. (2016)

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