Noblesse Obligé - Maskeradebruch

Noblesse Obligé - Maskeradebruch


Sebastian hatte gerade den Frühstückstisch abgeräumt und gesäubert und damit die letzten Spuren des nächtlichen Gastes entfernt, als Emilie schlurfend aus ihrem Zimmer kam. Das Haar war noch immer völlig zerzaust und sie trug nicht viel mehr als lax übergeworfene Unterwäsche, ihren Morgenmantel und Hausschuhe als sie sich in der Küche in den Stuhl sinken ließ. Ihre Stirn küsste sogleich die Tischkante und sie murmelte mit rauer Stimme nur ein Wort:
"Kaffee."
Sebastian hob resigniert eine Augenbraue.
"Milady, Ihr wisst ich mische mich normalerweise nicht in Eure nächtlichen Umtriebe ein, aber ich fürchte dieser war sehr unüberlegt. Und - mit Verlaub - sehr laut. Die Nachbarn haben Euch auf jeden Fall gehört, ich kann Euch nur raten..."
Grollend hob Emilie den Kopf und unterbrach Sebastian damit.
"Sebastian, hör mir jetzt genau zu, das ist jetzt äußerst wichtig und ich werde mich nicht wiederholen: ", raunte sie ihm zu.


"Kaffee."


Ihre Stimme war noch immer kratzig.
Sebastian schaute sie einen Moment an. Dann seufzte er und ging zur Anrichte. "Sehr wohl, Milady."
Emilie ließ den Schädel wieder auf den Tisch sinken. Sebastian bereitete stillschweigend den Kaffee zu. Als er fertig war trat er an sie heran und stellte die dampfende Tasse neben Emilies Gesicht, welches sich daraufhin anhob um nach der Tasse zu greifen.


"Was ist nur geschehen Mi..." begann Sebastian, doch Emilie brachte ihn erneut mit einer barschen Handbewegung zum Schweigen.


"Erst. Kaffee." brachte sie hervor, ehe sie die ersten vorsichtigen Schlucke aus der Tasse nahm.


Geduldig wartete Sebastian ab und betrachtete seine junge Herrin nachdenklich.
Die Schminke war zerlaufen, beziehungsweise nahezu weggewischt, nur ein paar Reste Lidschatten zeichneten müde Ringe um die tiefblauen Augen, die irgendwie traurig wirkten.
Aus der zornigen jungen Dame, die sich mitten in der Nacht einen fremden Mann ins Haus geholt hat, war nun ein völlig übernächtigter Teenager geworden. Ein Anblick der wohl auch den jungen Mann erschrocken hatte, der nach dem Frühstück, welches er dankend annahm, schweigend das Haus verließ.


Ein paar Schlucke später blickte Emilie schließlich zu Sebastian auf, als Zeichen, dass sie nun bereit war, aufzunehmen, was immer er zu sagen gedachte.
"Milady, ich weiß es geht mich eigentlich nichts an, aber was ist geschehen? Für gewöhnlich ladet Ihr die Leute erst als Gast ein und führt eine angeregte Unterhaltung, bevor sie sich aus dem Haus schleichen und ich Euch am nächsten Morgen Frühstück mache. Muss ich mir nun Sorgen machen? Mir schien der Herr wäre sicher gern noch geblieben..."
Emilie wunk ab. "Ich hab ihn weggeschickt." murrte sie leise.
"Oh." bemerkte Sebastian daraufhin. "Nun, das ist... neu. Gibt es dafür einen Grund? Enttäuscht hat er Euch ja scheinbar nicht... wenn mir die Bemerkung erlaubt ist."
"Hat er nicht. Aber ich mich..."
Emilie sah in die Tasse und nahm noch einen Schluck.
"Verstehe. Nun, sollen wir ihm vielleicht eine Karte übersenden, oder... " sinnierte Sebastian, doch Emilie schüttelte den Kopf, die Schultern hebend.
"Kenn ja nichtmal seinen Namen."


Sebastian sah sie an und hob die Brauen.
"Hm. Ich schätze das ist ein neuer Tiefpunkt, Milady."
"Wem sagst du das..." entgegnete sie trocken.
"Dann ist es wohl Zeit für eine Mousse au chocolat..." bot er an.
Doch Emilie schüttelte erneut den Kopf.
"Nein, keine Lust auf Schokolade..."
Dann trank sie die Tasse leer und stand auf, aus der Küche schlurfend.
"Milady? Wo geht Ihr hin?" Sebastian sah ihr nach.
"Ins Bett."
"Aber... da kommt Ihr doch gerade her..."
Das würdigte Emilie nichtmal einer Antwort. Sie winkte nur schlaff über die Schulter, bevor sie in ihrem Zimmer verschwand und die Tür schloss.


Sebastian starrte die Tür noch eine Weile ratlos an.
Nicht einmal die übliche Mousse au chocolat konnte sie aufheitern? Das war wirklich ein neuer Tiefpunkt.
Mit besorgtem Blick nahm er die Tasse und ging zur Spüle. Blieb nur zu hoffen dass der geplante Abend mit Freundinnen Besserung brachte.


Emilie verbrachte den halben Tag im Bett. Ihr Leib brannte innerlich und sie fühlte sich schmutziger als irgendeine Seife der Welt je würde abwaschen können. Doch war es nicht allein wegen der wilden Nacht, nach der ihr Bettzeug noch immer roch.
Sie schlief nicht. Sie konnte nicht. Sie wollte nicht. Sie lag nur im Bett und starrte grüblerisch auf ihr Ebenbild, das ihr aus dem Schminkspiegel an der Kommode entgegenblickte.
Der gestrige Abend ging ihr durch den Kopf.
Sie hatte eine ziemliche Szene gemacht.
Sie hatte Leaja und Yarissa sogar angeschrien.
Sie hatte Helena verärgert und vergrault.
Und Priesterin Dynmor beleidigt.
Und Lyssa allein wusste was nun Cyraine von ihr dachte.
Einziger Wermutstropfen war, dass Gwennis davon nichts mitbekommen hatte, die nach ihrer Massage wohl schon gegangen war.
Aber das würde vermutlich nicht lange so bleiben.
Zum Einen weil der Palas ein Haufen Klatschweiber war. Irgendjemand würde Gwennis vermutlich erzählen wie unausstehlich Emilie gewesen ist.
Zum Anderen hatte Gwennis' junger Diener sehr genau mitgekriegt, wie sie den rothaarigen Masseur zu sich eingeladen hatte und so wie Emilie ihn behandelt hatte würde er das seiner Herrin sicher bei erster Gelegenheit unterbreiten.
Vermutlich wusste es bald die ganze Stadt.
Womöglich hatte sie sich nun endgültig den Ruf versaut. Und wenn erst die di Saverios davon erfuhren. Eine infantile junge Dame ohne Sitte und Anstand, die rumkeift, Priesterinnen beleidigt und sich Fremde mit nach Hause nimmt? Oh, sowas war für die Rurik-Halle nicht tragbar.
Oh, dafür würde man sie sicher aus dem Rurik-Palas ausschließen. Den sie mitbegründet hatte. Das war schon irgendwie ironisch.


Ein kleiner Teil von ihr krümmte sich innerlich zusammen und wünschte sich die Macht das alles rückgängig zu machen.
Aber ein immer größer werdender, brodelnder Teil von ihr sagte: Du bekommst genau das, was du verdienst.
Das war auch der Teil, der sich entschlossen hatte, den jungen Mann einzuladen und dann jegliche Scham und Anstand zu vergessen.
Es war keinerlei Liebe in dem, was sie letzte Nacht getan hatte.
Sie hatte sich erst eingeredet, dass sie sich nur danach gesehnt hatte, begehrt zu werden. Aber dann hätte sie sich mehr von ihm umgarnen lassen. Der Mann war galant und hätte ihr sicher sogar den Hof gemacht wenn sie das gewollt hätte.
Aber nein. Kaum dass er zur Tür herein war brachte sie ihn zum Schweigen und riss ihm die Kleider vom Leib.
Sowas tut man nicht wenn man sich nach Zuneigung sehnt. Sie sehnte sich eher nach Zerstörung. Danach, wie das Stück Dreck behandelt zu werden, als das sie sich fühlte.
Doch es hatte ihre Situation und ihr Gefühl um keinen Deut gebessert. Im Gegenteil.
Sie hasste sich nun nur noch mehr.


Was hatte sie sich nur dabei gedacht?
Helena war eine gute Freundin. Sie hatte ihr erst noch gesagt wie sehr sie sich über das Buch gefreut hatte.
Miss Rawson indes schien recht nett. Und auch eine gute Freundin, so wie sie sich um Helena gekümmert hatte.
Sie hatte keinen Grund gehabt, gemein zu den beiden zu sein. Warum also war sie es?
Leaja und Yarissa waren besorgt um sie. Sie wollten ihr helfen, sie aufmuntern.
Warum also brachte sie das so auf die Palme?


Noch vorgestern hatte sie gesagt sie hätte sich als Freundin gebessert. Sie wäre auf einem aufsteigenden Ast.
Doch dann wieder hatte sie einem jüngeren Mädchen ein blaues Auge gehauen - wenn auch aus Versehen - und das nur wegen Albernheiten.
Sie verstand es nicht. Hatte sie sich am Ende gar selbst belogen?
War sie gar kein besserer Mensch geworden?
Sondern nur besser darin, sich anzupassen?
Ihr Spiegelbild wusste darauf keine Antwort.



"Was in aller Welt läuft nur falsch bei dir?!" hörte Sebastian Emilies Stimme gegen Nachmittag aus deren Zimmer erschallen.
Es klang wütend und verzweifelt. Dann folgte ein krachendes Geräusch. Und ein lautes Klirren.
Sofort eilte er in die Richtung ihres Zimmers, nur um kurz darauf eine völlig aufgelöste Emilie aufzufangen die aus ihrem Zimmer stolperte.
Das Gesicht verheult, die Hand leicht blutig.


Als er sie hielt schrie sie ihm stumm gegen die Schulter und verharrte so zuckend eine Weile, bevor sie sich wieder fasste.
Leise sagte sie dann schließlich:


"Ich brauche einen Verband... und Sebastian... mach einen Termin mit der Manufaktur... "
Sie blickte noch einmal zurück in ihr Zimmer, auf den Scherbenhaufen.


"Ich brauche einen neuen Spiegel..."


The one who puts the "laughter" in "slaughter"
And the "fun" in "funeral"!


Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Nationalismus keine Alternative, sondern eine Katastrophe ist.

Kommentare 5

  • Sebastian ist toll.

  • War ja klar *g*
    Und das alles nur weil Emilie nicht damit umgehen kann, wenn jemand etwas, das sie toll findet, nicht mag :D
    Na bin mal gespannt was da noch kommt!

  • Hm die Schweigepflicht des Personals im Hause Weißenstein gilt nur von Innen nach Außen. Nicht anders herum. Sie wird sicher etwas von Magnus erfahren. Ich bin sehr gespannt :)

  • War halt ein waschechter Katzenstreit :3
    Aber ja es hat was von "Ich bin viel netter als früher. Und ich verprügle jeden der was andres behauptet!" :D

  • "Noch vorgestern hatte sie gesagt sie hätte sich als Freundin gebessert. Sie wäre auf einem aufsteigenden Ast.
    Doch dann wieder hatte sie einem jüngeren Mädchen ein blaues Auge gehauen"


    Hahahaha =D