Noblesse Obligé - Menschlichkeit

Noblesse Obligé - Menschlichkeit


Gekonnt balancierte Sebastian das Tablett auf den Händen, als er vor Emilies Zimmertür stand. Er klopfte leis, eher er sich noch einmal vergewisserte, dass alles so war wie es sein sollte: Der Tee war frisch aufgebrüht und dampfte noch, mit Blütenhonig gesüßt, ein paar Bisquits lagen auf dem Unterteller. Daneben stand die kleine Schale Mousse au Chocolat, luftig-fluffig und aus dunkler Schokolade zubereitet, mit einem gehäuften Sahnehäubchen und einer Cocktailkirsche. Der Silberlöffel lag daneben bereit. Als das leise "Herein" ertönte konnte Sebastian bereits heraushören, dass dieses Tablett äußerst nötig war. Er öffnete die Tür und trat herein.


Emilie saß auf ihrem Bett, in leicht zusammengesunkener Haltung und tupfte sich das Gesicht mit einem Taschentuch in der linken Hand, während die rechte Hand durch das Fell Aylas kraulte. Die junge Beagle-Dame hatte es sich auf den Seidenlaken gemütlich gemacht und den Kopf trostvoll auf Emilies Oberschenkel gelegt.
Langsam blickte sie auf - Emilie, nicht Ayla, die Hündin ließ sich kraulen und konnte durch nichts in der Welt dazu gebracht werden sich vom Fleck zu rühren - und sah Sebastian an. Der Anblick des Tabletts und der Mousse rang ihr ein kurzes, wenn auch trauriges Lächeln ab.


Stumm stellte Sebastian das Tablett auf dem kleinen Beistelltisch ab und stellte sich bereit, falls die junge Dame noch einen Wunsch äußern sollte.
Zögerlich griff Emilie nach der Mousse. Sehr zu Aylas Leidwesen, denn die kraulende Hand wanderte fort. Doch es war noch immer viel zu gemütlich um sich zu bewegen. Emilie löffelte die Mousse langsam und schwieg.
Sebastian sah ihr dabei zu und wartete. Emilie kannte diese Prozedur schon, und auch Sebastian. Sobald sie aufgegessen hatte würde sie sich ein wenig besser fühlen und Sebastian würde sie fragen was los wäre. Und dann würde sie ihm ihr Herz ausschütten. Und er würde ihre Sorgen mit ein paar Weisheiten zerstreuen. Es war so simpel und dennoch so tief. Emilie wusste, auf Sebastian konnte sie sich verlassen, egal wie es um sie stand, er würde zu ihr stehen. Die Loyalität dieses Mannes ging weit über das eines einfachen Dieners hinaus.


"Sebastian..." kam Emilie seiner Frage dieses Mal zuvor, als sie die leere Schale beiseite stellte und mit beiden Händen nach der Teetasse griff. "Was würde ich nur ohne dich tun... du bist der einzige, der immer für mich da ist."


"Nun, das ist nicht weiter verwunderlich Milady, wir wohnen im selben Haus." entgegnete der weißhaarige Mann trocken. Das entlockte Emilie ein leichtes Kichern.


"Hihi... nein. Das meine ich nicht. Ich meine du bist der einzige auf den ich mich verlassen kann."


Sebastian runzelte die Stirn. "Nun, Milady, das schmeichelt mir, doch ich fürchte da muss ich widersprechen."


"Widersprechen? Nach meinen jüngsten Eskapaden? Ich habe alle vergrault... wer will jetzt noch was mit mir zu tun haben..."


"Nun, ich wüsste da ein paar Beispiele." begann Sebastian und trat näher an seine Herrin heran, die ihn aus ihren blauen Augen beobachtete und am Tee nippte.
"Eine junge Gastwirtin zum Beispiel, die trotz Eurer abweisenden Art zu Euch stand und Mitgefühl hatte, als alle anderen sich scheinbar gegen Euch wanden. Eine Seefahrerin, der Ihr übel mitgespielt habt, die Ihr schlimmste Schmerzen habt spüren lassen und die dennoch zu Euch steht und Euch Freundin nennt. Zwei adlige denen Ihr mehr über Euch erzählt habt als sonst irgendwem, die aber dennoch nur gut von Euch reden. Oder die junge Dame die neulich hier war, über die Ihr Euch konstanterweise mockiert habt, die Euch ein blaues Auge verdankte und die dennoch bei Euch war, Euch gestützt hat als Ihr betrunken wart und Euch sicher nach Hause geleitet hat."


"Scheiße." platzte es Emilie heraus. Gekonnt übersah Sebastian diesen verbalen Ausbruch.
"Das klingt ja toll... ich habe so viele Leute verletzt, gedemütigt und schlecht behandelt. Und sie wollen trotzdem mit mir befreundet sein. Tolle Sache! Was sagt das wohl über mich aus?" mit einem zynischen Gesichtsausdruck starrte sie in ihren Tee.


"Nun, dass eine Menge guter Leute in Euch etwas sehen, das Ihr selbst nicht sehen wollt."


"Und was wäre das?" Emilie sah zu Sebastian auf.


"Eine junge Dame mit einem guten Herzen. Einem Herzen, das es wert ist, all diese Unpässlichkeiten zu ertragen für die Momente, in denen Ihr Euer inneres offenbart."


Emilie starrte Sebastian ungläubig an. Dann schossen ihr erneut Tränen in die Augen und sie kämpfte mit ihrem Taschentuch dagegen an.
Schniefend wischte sie sich die Nässe von den Wangen. "Naja... aber mit Yarissa und Leaja hab ichs mir jetzt für immer verscherzt... und mit Helena auch..."


"Auch das bezweifle ich, Milady." widersprach Sebastian erneut. "Es ist so eine Sache mit der Freundschaft. Sie ist wie ein altes Gartentor. Manchmal klemmt es, quietscht und knarzt oder flattert im Wind. Aber es ist niemals verschlossen."


Da waren sie wieder, die Lebensweisheiten des alten Hausdieners. Kurz überlegte Emilie ob sie die nicht alle sammeln und ein Buch veröffentlichen sollte. Sie schüttelte leicht den Kopf. "Ich weiß nicht mehr, was ich noch sagen soll. Jedes "Tut mir leid" wirkt so verzweifelt und deplaziert...."


"Wie wäre es wenn Ihr einfach eingesteht, dass Ihr im Unrecht wart?" schlug Sebastian vor.


Das klang in Emilies Ohren so absurd und abwegig und doch war es wohl das richtige. Sie seufzte aus. "Ich weiß die beiden wollen mir nur Gutes.... aber.... aber warum macht mich das immer so wütend?"


"Weil ihr in jeder Hand die nach Euch ausgestreckt wird, um Euch aufzuhelfen, nur eine Erinnerung daran seht, dass Ihr hingefallen seid."


Emilie schnaubte verächtlich. "Ich falle ziemlich oft hin. Und es tut so schon genug weh..." murrte sie leise.
"Und wenn Yarissa mir meine Fehler auch noch vorhält wird es nicht besser."


"Daran merkt man, dass Ihr als Kind nie auf der Straße herumgetobt und Euch die Knie wundgeschlagen habt, Milady."


Auf Emilies fragenden Blick hin erklärte Sebastian weiter:
"Wenn man sich die Knie aufschlägt, tut es ein wenig weh. Damit sich die Wunde nicht entzündet, streicht man Jod auf die Wunde zum desinfizieren. Das brennt zuweilen weitaus schlimmer als die eigentliche Wunde, doch es ist nötig und hilft. So ähnlich ist es in diesem Fall auch. Es mag Euch schmerzen, doch manchmal ist ein wenig Schmerz nötig, damit es besser wird."


Resignierend atmete Emilie aus. Die Teetasse war mittlerweile leer und sie stellte sie auf dem Tablett ab. Dann legte sie sich auf dem Bett zurück und zu Aylas Zufriedenheit kraulte sie diese weiter.
"Und ich keife sie dann auch noch an... ich bin wirklich eine tolle Freundin..."


"Ihr seid wie eine verletzte Wölfin. Ihr fühlt Euch in dem Moment schwach und angreifbar und schnappt nach jeder Hand, auch wenn diese Euch helfen will."


".. ich fahr die Krallen aus..." sinnierte Emilie und dachte an Yarissas Worte. "Ich wünschte ich könnte damit aufhören..."


"Nun," begann Sebastian, "ein erster Schritt wäre vielleicht, dass Ihr akzeptiert, dass Ihr nicht perfekt seid. Ihr werdet noch öfter stolpern. Ihr werdet noch öfter hinfallen. So wie jeder andere Mensch auch. Doch es ist kein Weltuntergang. Gesteht Euch diese Fehler selbst zu. Lernt daraus."


"So was ähnliches hat Yarissa auch gesagt. Ich soll aus meinen Fehlern lernen. Und sie nicht wiederholen." Nachdenklich blickte Emilie hinauf zum Baldachin.


"Ihr müsst lernen, wieder aufzustehen. Und eine helfende Hand als solche anzunehmen, wenn sie Euch angeboten wird. Das ist der Grund, warum wir fallen, Milady."


Emilie warf ihrem treuen Diener einen vieldeutigen Blick zu.
"Ich dachte, wir fallen, weil wir nicht auf unsere Schritte achten."


"Das auch. Aber vor allen Dingen lernt ein Mensch aus Fehlern. Der Charakter eines Menschen wird nicht von der Länge des Weges geformt, die er zurücklegt, sondern von den Hindernissen die er auf diesem Weg überwindet. Wir wachsen an den Schwierigkeiten. Wenn Ihr anfangt, Eure Fehler als solche zu akzeptieren und aus ihnen zu lernen, könnt Ihr zu einer beeindruckenden jungen Frau heranwachsen, Milady. Und ich denke, das sehen auch all die anderen in Euch, die Euch trotz allem noch als Freundin ansehen. Sie geben Euch nicht auf. Ihr solltet das auch nicht tun, Milady."


"Wo nimmst du nur all diese Weisheiten her..." wollte Emilie nun wissen und schüttelte den Kopf.


"Nun, wie ich eben sagte. Man wächst an Schwierigkeiten..."
Mit diesen Worten blickte er Emilie eindringlich an.


Emilie blickte ihm entgegen und begriff. Schwierigkeiten hatte sie ihm beileibe genug bereitet.


Dann begann sie leise zu lachen.


The one who puts the "laughter" in "slaughter"
And the "fun" in "funeral"!


Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Nationalismus keine Alternative, sondern eine Katastrophe ist.

Kommentare 2

  • Die "Warum fallen wir, Mr. Wayne?" - Anspielung ist durchaus gewollt! *g*
    Und so wie Alfred bei Batman ist hier auch Sebastian der eigentliche Held der Geschichte *fg*

  • Warum habe ich gerade "Batman" im Kopf? Das mit dem Hinfallen und so... :)


    Schön geschrieben.