Götter und Skritt

„Du bist ein Gott, Nikolaj Iorga!“
Diese Worte und genau diese gehen ihm durch den Kopf als er sich auf die Knie kämpft, Dreck in den Haaren und im Gesicht, Schneematsch im Mund. Sein Herz pumpt so stark, dass es in den Schläfen pocht und sein Atem rasselt derart schwer, dass ihm trotz Adrenalin einen Moment lang schwindelt. 'Durchatmen. Atme durch. Dann steh auf. Ist noch nicht vorbei', sagt eine Stimme in seinem Kopf, die nichts anderes ist als der rationale Teil von ihm, der gegen das Gefühl aufsteigender, überwältigender Euphorie ankämpft. Aber es ist vorbei. Kolja weiß, dass er ihn erwischt hat. Tödlich. Er hat gewonnen.
Röchelnder Atem in seinem Rücken lässt ihn zusammenzucken und holt ihn jäh in die Wirklichkeit zurück, aber der anfängliche Schrecken sich vielleicht getäuscht zu haben, legt sich schnell, als er den Körper da liegen sieht. Der Jotun atmet noch, aber seine Bewegungen sind bloß ein ungelenkes Zucken, begleitet von Gurgeln und Blut das den Schnee rot färbt.
Koljas Muskeln beginnen zu brennen, als er sich näher schleppt. Eigentlich brennen sie schon die ganze Zeit, aber das Adrenalin hat es ihn vergessen lassen. Bald wird ihn die Erschöpfung mit voller Wucht treffen, aber noch nicht sofort. Dieser kurze Moment gehört ihm und seinem Triumph. „Du bist ein Gott, Nikolaj Iorga. Jotunschlächter... . Das soll dein Name sein. Jotunschlächter. Ein Gott unter Menschen.“
Ein Teil von ihm, der rationale wieder, zischelt leise Warnungen, aber der kalte Wind der Zittergipfel weht sie davon, als er dem Wesen beim Sterben zu sieht. Es liegt komisch verdreht im Schnee, die Kehle geöffnet. Kolja blickt auf das Schwert in seiner Hand. Die zittert mittlerweile schwer. Die Anspannung fällt ab. Er weiß es ja, aber der Moment... dieser Moment. „Ein Gott unter Menschen.“ Vor seinem geistigen Auge sieht er sich, wie er abwartete, länger als ein Mann, ein Mann bei Verstand, hätte warten sollen, wenn ein wütender Jotun auf ihn zustürmt. Er sieht wie er den Hieb erwartet hatte, erst im letzten Moment mit dem Oberkörper zurück gezuckt war. Es war knapp gewesen, oh so knapp. Drei Zentimeter zwischen unrühmlichem Tod und unsterblichem Ruhm. Er hatte den Luftzug spüren können und das Pfeifen in den Ohren gehört. Dann war es vorbei, die brutale Keule hatte ihn verfehlt. Er war ausgewichen und eine Drehung um die eigene Achse später war das Langschwert herab gefahren. Blut hatte spritzt und ihn im Gesicht getroffen. Der Jotun war weiter getaumelt und krachend im Schnee gelandet, er selbst hatte sich ungelenk weiter gedreht und war schließlich entkräftet ebenso in den Dreck gefallen. Im Jetzt langt Kolja sich mit heftig zitternder Hand ins Gesicht, wo er das klebrige Jotunblut verschmiert. „Du bist ein Gott. Ein Gott unter Menschen.“
Seine Kameraden kommen über den kleinen Hügel heran gestürmt, Ehrfurcht und Unglauben im Gesicht. Sie sehen einen Mann, Kolja, mit wirrem Grinsen im Gesicht und grenzenloser Überheblichkeit im Blick. Er ist Siebzehn, sieht aus als wäre eine Horde Dolyaks über ihn getrampelt, weiß vermutlich gar nicht was für eine Dummheit seine Heldentat gerade war und fühlt sich doch ganz und gar unbesiegbar. Auch noch, als sein Knie nachgeben und Dunkelheit ihn umfängt. „Du bist ein Gott... .“



„Du bist kein Gott, Nikolaj Iorga.“
Der Mann, er ist drahtig, nicht sonderlich groß und von fortgeschrittenem Alter, Anfang Vierzig vielleicht. „Du bist kein Gott, Nikolaj, hör auf wie einer kämpfen zu wollen.“
Sehnige Arme mit kräftigen Handgelenken hat er und eine sonore Stimme. Sein Name ist Mazzarani. Alessandro Mazzarani, genannt 'der Aal', seines Zeichens Löwensteiner Schwertmeister. Und als er das sagt, liegt Kolja im Staub des Duellvierecks und kämpft mit Tränen der Scham. Ihm brennen die Arme, die Beine und die Rippen, wo ihn der letzte Schlag getroffen hat. Kurz gesagt, ihm tut alles weh und Euphorie und Adrenalin haben längst die Segel gestrichen. So ging es jedem, der mit dem Mann in den Ring stieg. Der Aal... . Er bewegt sich auch wie einer. Steht nie da wo er stehen sollte.
Um sie herum stehen Schaulustige und andere Duellanten, Schüler und Gesellen gleichermaßen und schauen Kolja dabei zu, wie er nach Strich und Faden vertrimmt wird. Das Schlimmste aber ist, dass Sie auch zu sieht. Francesca. Francesca Mazzarani, des Aals Tochter. Das ist eigentlich irgendwie wirklich das Schlimmste. Die löwensteiner Sonne brennt hell und heiß.
„Steh auf, Jotunschlächter", scherzt der Mann mit offener Häme, "Männer und Frauen des Schwertes sind keine Jotuns, Ettins oder Oger. Sie lassen sich nicht durch Rumgehampel beeindrucken und sind nicht langsam und tumb wie Vieh. Sie sehen und wissen. Antizipieren! Das gilt für euch alle. Vorhersehung. Ihr müsst wissen was euer Gegner tun wird, nicht reagieren auf das was er tut. Merkt euch das endlich. Alle. - Und du, Jotunschlächter, hopp, steh auf... nochmal. Wir zwei sind noch nicht fertig.“
Jotunschlächter... . Die Geschichte vom halbwüchsigen Menschenjungen der einen Jotun erschlagen hatte, hatte die Runde gemacht unter den Norn der südlichen Zittergipfel. Es hatte ihm geschmeichelt ihre Gesichter zu sehen und den Respekt darin. Auf Bier und Met eingeladen zu werden. Geschätzt zu werden.
Gerade wünscht er sich, die Geschichte wäre nie passiert. Mazzarani hatte sich nicht beeindruckt gezeigt von Titeln. In Löwenstein hat jeder einen, wenn nicht gar fünf, pflegte er zu scherzen und benutzte Koljas nur, wenn er ihn an seine Unzulänglichkeiten erinnern wollte. Sonst nannte er ihn Kolja und Kolja gäbe in diesem Moment viel dafür einfach nur Kolja genannt zu werden.
„Steh auf, hopp, hopp... .“ Alles nur weil er einem Mitschüler gegenüber hochmütig gekämpft und, naja, diesen vorgeführt hatte. 'Geschieht dir recht', sagt eine Stimme in seinem Kopf und er weiß, dass es stimmt. Aber er mag nicht mehr, will liegenbleiben. Ist nicht länger Kolja, oh so talentierter Schüler und Schlächter von Bestien, sondern bloß der kleine, dicke Nikolaj, dessen Vater kein gutes Haar an ihm lässt. Er will losheulen, aber der rationale Teil seines Selbst hört nicht auf durch die wabernde Wolke aus Selbstmitleid zu ihm zu sprechen. 'Durchatmen. Atme durch. Es ist noch nicht vorbei. Du kannst aufstehen, wenn du nur willst. Es ist erst vorbei wenn du dich nicht mehr rühren kannst. Erst dann, nicht früher. Jetzt zeigs ihm. Und zeigs Francesca, du weißt, dass sie zusieht. Jeder geht mal zu Boden, aber du bleibst nicht liegen, Nikolaj Iorga.' Er nickt, wenn auch nur unmerklich, nur innerlich, und die Stimme macht weiter 'Dein Vater ist das Weichei, nicht du. Und wehe du heulst.'
„Schau an, schau an, wer sich erhoben hat... ja, will er noch ein Tänzchen wagen? Hehe. Gut so, Junge... los, Applaus für unseren Jotunschlächter, der sich offenbar genug ausgeruht hat um mich mit seiner Aufmerksamkeit zu bedenken. Bereit, Junge? Dann Aufstellung und pass diesmal auf deinen linken Fuß auf.“
Bereit? Kein Stück... . Der geschundene Kolja muss unweigerlich grinsen. Bereit verprügelt zu werden vielleicht. Aber Mazzaranis Spott – und es war nichts anderes als das gewesen – trifft ihn nicht mehr so sehr. Ein paar vereinzelte Stimmen rufen gar anfeuernd seinen Namen und Francesca, die da hinten in typischer Manier auf dem Eckpfeiler hockt, die angezogenen Beine gegen das Holz gepresst, ihr Rapier auf dem Schoß, die Fechterweste offen, die Bluse locker geknöpft verzieht in spöttischer Anerkennung die Lippen.
Was kann ihm schon passieren? Er kann, nein, er wird fürchterlich verprügelt und vorgeführt werden. Aber das wurde er unter den Augen seines von Ehrgeiz zerfressenen Vaters auch schon. Was kann ihm also passieren? Nichts. Genau Garnichts. Schweiß rinnt ihm übers Gesicht und er schnauft wie ein Dolyak. „Du bist kein Gott, Kolja...“, da muss er lachen.


Und als er später nicht mehr kann, wirklich nicht mehr kann und der Alte ihm mit den Worten „war in Ordnung, Kolja, das war in Ordnung“ aufhilft, als er sich – und alles tut ihm weh – zum Haus schleppt und Francesca sich unter seinen Arm schiebt um ihn zu stützen und ihn ein stures Skritthirn nennt, weiß er, dass er heute nichts verloren hat.
Er ist Achtzehn, sieht aus als wäre eine Horde Dolyaks über ihn getrampelt, hat keine Ahnung was diese Prügel für seine Zukunft bedeuten werden, aber es kommt ihm der Gedanke, dass er lieber ein stures Skritthirn sein mag, als ein Gott.

Kommentare 1

  • Schön =)


    Schön geschrieben.
    Aber dir wird gewiss nicht gefallen, dass es mich an GoT erinnert.