Gehört doch irgendwie in Spoiler
Der Sohn eines Spoilers
Der Mann war buchstäblich an die Decke gegangen, kaum, dass das Gespräch, wenn man es denn überhaupt als solches bezeichnen wollte, begonnen hatte. Und irgendwie hatte es nicht den Anschein als wolle er in absehbarer Zeit aufhören dort oben seine wuterfüllten Kreise zu ziehen. Ein bodenlose Frechheit wäre es; ein Affront; oder so ähnlich, nur die Jüngste, aus einer ganzen Reihe an Anstandslosigkeiten, denen er, Lord Albert Wimsey der Ältere sich aus den Rängen von Emporkömmlingen wie ihnen, den Iorgas, ausgesetzt sah. So ging es ununterbrochen. Wobei Kolja sich doch ernstlich wunderte, wo genau jetzt die Anstandslosigkeit war.
Sie hatten ihn bloß höflich an einen erklecklichen Berg an Schulden erinnert, und auf eine bestimmte Abstimmung aufmerksam gemacht, bei der er vielleicht sein Abstimmungsverhalten überdenken könnte. Und immerhin hatten sie sich terminlich völlig nach dem alternden Lord gerichtet, sich ohne Protest auf eine halbe Tagesreise bis zur Jagdhütte im Königinwald eingelassen, hatten nach seinen Regeln von höfischem Anstand gespielt, und das obwohl sie nicht einmal im teuersten Zimmer des Hauses saßen und er gerade mal einen Wächter und einen Pagen als Hofstaat mitgebracht hatte. Und sie wahrten auch jetzt vor der zeternden Gestalt die Contenance. Zumindest würde Adrian es wohl so nennen, gute Miene zu bösem Spiel machen und auf den rechten Augenblick für eine passende Antwort warten; dabei die eigene Wut weg lächelnd. Da Kolja aber nicht Adya war, hatte er schon nach dem dritten Satz auf Durchzug geschaltet und wusste folglich auch nicht so recht warum genau der Lord sich so echauffierte. Was er nicht hörte, konnte ihn immerhin nicht aufregen, hatte er sich gesagt, sich aufs Beobachten verlegt und war wichtigeren Überlegungen nachgegangen. Zum Beispiel, wie den versenkten Apfelkuchen, den er im Schankraum erspäht hatte, in Gänze und unversehrt nach Götterfels schaffen konnte.
Neben ihm saß mit angestrengter Miene Antonia Godart, welche die Umstände wesentlich weniger leicht nahm; und wartete schon seit einer Ewigkeit auf den passenden Moment dem lieben Lord Albert ins Wort zu fallen. Sie hatte dazu sanft die Hand erhoben, nickte mit kleinen, bedächtigen Kopfbewegungen jede einzelne Schimpftirade mehrfach ab und war ein paar mal wirklich kurz davor so was wie 'Eure Lordschaftlichkeit, wenn ich erklären dürfte... ', zu sagen, oder mit welcher Floskel auch immer sie ihren Einwand zu beginnen hoffte. Kolja war sich nicht sicher, ob er es je erfahren würde. Vielmehr sah es so aus, als würde sie sich eher den Kopf vom Hals genickt haben, als zu Wort zu kommen. Und das nicht nur, weil Lord Albert ein notorischer Frauenhasser war.
Dabei hätte es eigentlich ganz anders laufen sollen, und hatte vor allem einfacher geklungen, als Helena ihm bei einer Tasse Tee in der heimischen Küche erklärte, dass sie einen für ihn etwas ungewöhnlichen Auftrag hatte. Einen bei dem es um Reden und Zuhören ging.
„Ist 'reden' jetzt das neue Passwort für 'verprügeln', Lenchen“, hatte er gescherzt, sich einen Apfel gegriffen und kauend Helenas Erklärung gelauscht. „Nein, ich meine das schon so. Drum wird Antonia dich begleiten. Das habe ich bereits mit Adya geklärt. Das ist ein wichtiger Auftrag, Kolja. Eigentlich müsste ich selbst gehen, aber mir ist etwas noch Wichtigeres dazwischen gekommen. Keine Sorge, du kannst Toni den Großteil des Redens überlassen, sie weiß bereits was sie sagen muss. Aber Lord Albert gibt nicht viel auf Frauenmeinungen, darum ist es wichtig, dass du dabei bist, und, dass es so wirkt als würde sie nur sagen was du ihr aufgetragen hast. Schau einfach bisschen so, als wärst du nicht ganz da. Das kannst du doch so gut. Heheha.“
Da hatte Kolja noch gelacht. Irgendwie hatte er schon als sie die Aufgabe weiter reichte vermutet, dass Helena sich die lange Reise sparen wollte, oder vielleicht auch einfach nur keinen Reiz an einer Unterredung mit einem Alten Sack wie Lord Wimsey fand. Doch niemals wäre ihm in den Sinn gekommen, dass es ganz konkret Lord Albert und seinem Gebaren geschuldet sein könnte, dass jetzt er und Toni hier an Helenas Statt saßen.
Bestimmt hätte sie ihm längst einen Holzspieß in den Hals gerammt. Das Lenchen; vielleicht war es gut, dass sie nicht hier war. Und als Boss war das auch schlicht ihr gutes Recht.
Bloß ausbaden durften das nun er und Antonia. Schon seit geraumer Weile saßen sie im zweitbesten Zimmer der Herberge, einem rustikal-gemütlichen Raum mit bunten Butzenglas Fenstern, auf ausgesessenen Holzstühlen an einem schweren Tisch aus Steineiche und wurden bei einem Glas des bestenfalls zweitbesten Weins des Hauses von dieser blaublütigen Vogelscheuche wortgewaltig an die eigene Minderwertigkeit erinnert. Beide hatten sie sich, den Umständen angebracht, ordentlich heraus geputzt; Antonia mit einem förmlichen Hosenanzug aus dunklem Samt, Kolja mit Gehrock und Weste. Und während er selbst längst die Beine auf dem mitgenommenen Bärenfell zu seinen Füßen lang machte, und versuchte nicht ein zunicken, so wahrte Toni für den Moment noch Haltung.
Der Leibwächter des Lords saß auf einem kleinen Schemel neben dem Bett und bestach vor allem durch Unauffälligkeit; war so ein soldatischer Typus, wie es sie zuhauf gab und hatte augenscheinlich auch gehörige Erfahrung im nicht hinhören. Ein Ex-Seraph vielleicht, die lernen das früh, ging es Kolja durch den Kopf.
Ihr Gastgeber aber, der sich unentwegt erbosende Albert, der noch immer durchs Zimmer geisterte, war ein Mann vom alten Schlag zumindest aber altertümlichen Ansichten. Er hatte seine besten Jahre um einige Jahrzehnte hinter sich gelassen, doch gesagt hatte ihm das wohl niemand. Früher vielleicht stattlich, hatte ihn das Alter krumm und mager werden lassen, doch die Kleidung, die ihm bei seinen ruckartigen Bewegungen wie ein brokatenes Leichentuch am Körper schlackerte, war noch immer für den Mann gedacht, der er einst mal gewesen sein musste. Schütteres Haar, von einem dunklen Band straff zurück gehalten, ließ es aussehen als hielt es gleichsam die Haut des verkniffenen Gesichts gestrafft und gab ihm etwas Halbtotes. Aus zu weiten Ärmeln ragten dünne Arme, die in zu großen Händen endeten, an deren Spinnenfingern absurd große Ringe saßen, und deren zackige Gesten nicht etwa kraftvoll wirkten, sondern gespenstisch. Als wäre der liebe Lord wahrlich ein Schrecken vergangener Tage. Eine Heimsuchung. Und so benahm er sich ja auch.
„...drum muss ich, in aller Entschiedenheit deklarieren, dass ich mir Einmischungen dieser Art, ja überhaupt irgendeiner Art, absolut verbitte! Allein der Gedanke, und das mag das Verstandesvermögen daher gelaufener Emporkömmlinge wie euresgleichen, Herr Iorga ja übersteigen, ist für ein Geschlecht so alt wie das Meine ein Affront für den ich in früherer Zeit bedingungslos Satisfaktion verlangt hätte. Aber; ich gestehe, das Alter hat mich milde werden lassen.“
Toni nutzte die Pause, die der Lord brauchte um Kolja missfallend anzustarren, für einen Einwurf.
„Milord, ihr verkennt die La-“
„Ich verkenne gar nichts! NICHTS! Dieses Haus reicht zurück bis zu Königin Salmas Zeiten. Es hat schlimmeres gesehen als ein paar lächerliche Kredite und niemals, NIEMALS hat es seine Ehre und Integrität verraten oder gar verkauft. Wenn das dem Ratsherrn und seiner Familie nicht passen sollte, dann sollen sie mir alle samt den Buckel runter rutschen, und er wegen mir an meiner Antwort ersticken! Sagt ihm das.“
„Milo-.“
„Schweigt, Weib. Wenn der Kuchen spricht, schweigen die Krümel“, unterbrach er sie barsch.
Und Kolja, vom Wort Kuchen aus den Gedanken gerissen, sah auf und musste feststellen, dass der Lord sich direkt vor ihm aufgebaut hatte, ihm den Spinnenfinger entgegen streckte und ihn starr von oben herab anstarrte.
„Ich?“
„Ihr?“
„Öh.“
„Kann ich davon ausgehen, dass meine Antwort in aller Form überbracht werden wird? Kann ich das? Oder wollt ihr mich weiter ratlos anglotzen, als wärt ihr ein Huftier? Seid ihr das, eine Familie von Paarhufern?“
„Ich... .“
Kolja spürte Tonis Fuß gegen den Seinen stupsen, sah sich aber außer Stande zu ihr zu sehen und wusste auch nicht was sie ihm da stumm mitteilen wollte.
„Ihr werdet ihnen sagen, dass ich, Albert Josua Willem Wimsey der Dritte, Lordprotector der Ashford Anhöhen nicht das Knie beugen werde vor; Bauern! Auch nicht wenn sie die Mäntel von Lords tragen und sich wie Zerrbilder einer Zeit gebären die sie nie verstehen können, weil ihre Linie bei den eigenen Großvätern endet. Wenn sich ein Schaf auch ein Geweih umbinden mag, bleibt es doch immer ein Schaf, wird niemals ein Hirsch!“
„Ich!“
„Ihr werdet das ausrichten? Solch klares Nein seid ihr nicht gewöhnt, was? Speichellecker. Sagt es! Sprecht! Antwortet! Antwortet mir, ihr LümmAAAARRRGH!“
Blut spritzte plötzlich dorther, wo gerade noch Lord Alberts Mund bösartige Worte gespien hatte, gefolgt von einem ekligen Knacklaut und einem Knirschen.
Grad noch hatte Toni versucht den überfordert starrenden Kolja mit subtilen Hinweisen dazu zu bringen irgendwie zu antworten; als der Lord im nächsten Moment schon mit blauem Blut um sich spritzte und gurgelnd nach hinten über kippte. Der eigene Gehstock steckte ihm mit der Silberspitze voran im Mund, und blieb dort auch noch stecken, als der Mann auf dem Boden aufschlug. Der überraschte Wächter war seinerseits aufgesprungen, von Kolja aber abgefangen und aufs Bett geworfen worden, wo beide derart angestrengt mit einander durch die Laken wühlten, dass sie jeder Fantasie von Baron Wolsey und Gespielen, die Toni je gehabt haben könnte alle Ehre machten. Bloß, dass es hier um Leben und Tod ging. Sie hatte nicht geschrien. Das hatte sie sich schon vor Jahren abgewöhnt, den Umständen ihres Aufwachsen geschuldet, doch hatte Nikolajs plötzliche Gewalttat sie einen Augenblick lang starr werden lassen.
„Hufff... Toni! Hhlf mhr... .“ Ächzte Kolja, der mit den Ringerarmen des Wächters zu kämpfen hatte, der ihn in einen Würgegriff bringen wollte, während er diesem seinerseits aufs Ohr haute und ihn am rufen hinderte. Es brauchte bloß einen Moment, dann übernahmen die Reflexe. Zornige Spiegelbilder schälten sich aus ihrem Geist und stürzten sich gemeinsam auf den Soldaten, griffen ihm mit ihren transparenten Fingern in die Haare und ins Gesicht, zerrten und zogen an ihm, lautlos kreischend und vibrierend, bevor sie in einer Kakophonie aus Scherben zerbarsten, und sich dem armen Kerl wie tausend und ein Messer in den Verstand bohrten, als die Mesmerei ihre ganze, schreckliche Kraft entfaltete. Der Mann fasste sich wie vom Blitz getroffen an den Kopf, riss den Mund auf und bestimmt hätte er geschrien, hätte nicht Kolja sich geistesgegenwärtig mit frischer Anstrengung auf ihn geworfen, ihm die Hände auf den Mund gepresst und wenig später das beendet, was Tonis Magie begonnen hatte.
Schnaufend tauchte er aus dem Berg aus Laken auf, das Haar verstrubbelt, der Anzug verrutscht. „Scheiße, gar nicht so unknapp“, meinte er überrascht. Am Boden gurgelte Albert Wimsey der Ältere und tastete ins Leere. Der Gehstock steckte ihm durch den Mund im Schädel, aber tot war er nicht. Alter Bastard.
Toni schauderte und dann wurde sie bös.
„Du Arsch, was hast du Dir dabei gedacht“, zischte sie dem Jüngeren entgegen, die bebenden Hände in einander verkeilt. „Wo in Reden und Zuhören kommt Abstechen vor? Kannst du mir das mal verraten?“
Kolja glotzte, als wüsste er auch nicht so recht.
„Hast du Dir überlegt wie wir die Sauerei jetzt wegmachen? Wie wir das beheben? Und wer kommenden Freitag jetzt in Adyas Sinne abstimmt? - Nein, ich korrigiere... wie DU das wegmachst und wie DU das behebst!“
„Ich, öh. … Ach, Toni, ich wusste nicht was ich sagen sollte.“ Kolja kratzte sich die Wange und schaute betreten, ganz wie so ein Schulbub dessen jüngster Streich über die Stränge geschlagen hatte. Antonia schüttelte absurd das Haupt und durchmaß den Raum mit großen Schritten, sah hier hin und dort hin und war längst mit den Folgen beschäftigt.
„Hahaha... er wusste nicht was er sagen sollte. Ist denn das zu fassen. Echt jetzt? Wie wäre es mit mh, lass mich überlegen, irgendwas? Irgendwas vielleicht? Mehr vielleicht, als 'ich', 'öh' und wieder 'ich.'“
„Ja, tschuldige... tut mir Leid. Leni hat gesagt du redest und, und dann wusste ich auch nicht. Ich wusste nicht was der wollte, ich hab ja gar nicht zugehört. Ich wollte ja was sagen, aber das Erste was mir durch den Kopf ging war, 'Hallo, mein Name ist Nikolaj, mein Vater ist auch ein Bastard'. Das, das konnt ich doch schlecht sagen, oder?“
„Und dann hast du ihn einfach mal abgestochen. Toll. Toll gemacht. Meinetwegen sagst du beim nächsten Mal was zu zu Mittag hattest und welche Farbe dein Stuhl hat! Alles ist besser als einfach abstechen. Also wirklich. Wie sieht das denn aus? Manchmal bist du so hohl.“ Toni hatte sich gefangen, obwohl sie fluchte wie ein Rohrspatz; stand jetzt ruhig im Raum und bemaß die Szenerie mit sachlichem Blick. Schließlich nickte sie. „Der Alte lebt noch, ich kann nicht denken wenn er so gurgelt. Du hast angefangen, du bringst es zu Ende. Und dann hilf mir mit dem Wächter. Wir müssen einiges hier ändern. - Und ich hab was gut. Ich hab SO was von was gut bei Dir.“
Kolja grinste zaghaft, während er über seiner Lordschaft kniete und ihm endgültig den Garaus machte. „Dann verrätst du nichts?“
„Und ertrage Adyas schlechte Laune für drei Wochen, weil ich dich nicht abgehalten habe? Ja, bin ich des Wahnsinns. Das bleibt schön unter uns. Ich denk mir was aus. Vielleicht kriegen wir des Alten Sohn dazu für ihn in Abwesenheit abzustimmen. Ich weiß es noch nicht, stör mich nicht, ich muss nachdenken.“
„Ich kann mich um den Pagen kümmern!“
„Nein, das mach ich. Sei still jetzt.“
„Danke, Toni, das vergess ich Dir nie!“
„Still!“
Als Kolja sich erhob und Toni mit dem zweiten Toten half war seine Überforderung einer irgendwie guten Laune gewichen. Toni hatte Erfahrung mit so etwas. Leichen verschwinden lassen, Morde fingieren und vertuschen, es hätte viel schlimmer kommen können. Wenn er mit Victor hier gewesen wäre, zum Beispiel. Man musste sowas positiv sehen. Der Alte war endlich still, er hatte etwas zu tun, nein, sie hatten beide endlich was zu tun, und mit etwas Glück würde er vielleicht sogar ein Stück von dem Apfelkuchen mitnehmen können.
Kolja blickte zu dem hängenden Kopf des Wächters hinab, der zwischen seinen Armen baumelte, seit er den Mann an den Schultern angehoben hatte. Tote Augen, in denen noch immer Überraschung zu lesen war, starrten ihm leblos entgegen.
„Ich bin Nikolaj, mein Vater ist ein Bastard“, erklärte er dem Toten ernst.
Und je öfter er es sagte, umso besser klang es in seinen Ohren.
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