Das letzte Stück Erde fiel auf das einsame Grab, dass sie ausgegraben hatten. Razvan legte auf das obere Ende des Grabes einen Stein, dann neigte er den Kopf etwas und begann zu beten.
„Razvan, was machst du da ?“, die Frage kam es vom blondhaarigen Jungen an seiner Seite. Razvan antwortete nicht gleich, sondern ließ einige Augenblicke des Schweigens verstreichen, ehe er die Hände wieder auseinander faltete und sich dem Jungen widmete. Adrian Iorga war gerade frisch 14 Jahre alt geworden und hatte erst vor kurzem mitansehen dürfen, wie sein Onkel einen fremden Mann getötet hatte. Andere bekamen zu ihrem Geburtstag ein vielleicht anderes Geschenk als die Beiwohnung eines Mordes, aber die Familie Iorga war ja nun mal alles andere als eine gewöhnliche Familie. Und außerdem war dies kein Geschenk sondern eine Bestrafung. Der Junge musste ja auch den Zorn seines Vaters wecken.
Und wenn Nicolae Iorga etwas befahl wurde es ausgeführt. Da gab es kein aber. Auch wenn Raz alles in seiner Macht stehende versucht hatte um das hier dem Jungen zu ersparen. Manchmal kam es ihm so vor als würde er mit einem Block Stein sprechen, so stur konnte Nicolae manchmal sein und das war nicht das Erste mal, dass er so dachte.
Er hätte ihm liebsten eine gehauen, aber sich am Ende doch dagegen entschieden. Es hätte eh nichts gebracht und er wollte keinen Streit mit seiner Frau anfangen. Benjin hätte es auch missbilligt, dass er seinen Sohn schlug, den alten Mann wollte er ebenfalls nicht vergrämen. Und so standen jetzt Onkel und Neffe vor dem Grab eines armen Mannes, der sterben musste, weil Adrian den Fehler getan hatte diverse Messer seines Vaters zu stehlen, um sie gewinnbringend zu verkaufen.
Ihm tat der Mann leid, der unbewusst in die Mühlen des Todes reingeraten war, er hatte es auch wahrlich mit netten Worten versucht, aber manchmal halfen nichtmal die wohlgesinntesten Worte. Außerdem war es besser, wenn er es tat. Wenn Nicolae davon Wind bekommen hätte, dass er die Messer nicht an sich hatte bringen können, dann wäre es dem Mann bedeutend schlechter ergangen. Schließlich sagte man einem Iorga nur einmal „Nein“.
„Man sollte die Toten ehren, Adrian. Erst recht die, für deren Tod man selber verantwortlich ist.“ , bekam Adrian als Antwort auf seine Frage. Der Junge warf darauf einen langen, nachdenklichen Blick auf das Grab, das sie ausgehoben hatten, ehe er sich von diesem abwandte. „Lass uns aber gehen, du weißt ja, dein Vater wartet nicht gern.“, fügte Razvan, die Schaufel dabei schulternd, und ließ diesen trostlosen Ort hinter sich.
Die Reise zurück zum iorgaischen Anwesen gestaltete sich konversationsarm. Immerhin war das nicht zu verübeln, die beiden Männer hatten mit ihren eignen Gedanken zu kämpfen. Die Schaufel hatten die beiden mittlerweile entsorgt, hätte zuviel Aufmerksamkeit auf sie gelenkt.
„Onkel, war es Nicolaes Idee, dass ich mitkomme?“, brach irgendwann Adrian diese unbehagliche Stille. „Ja“, gab Razvan in einem Wort seine ungeteilten Missmut darüber Auskunft. „Du scheinst nicht begeistert darüber zu sein.“ „Es kommt nicht darauf an ob davon begeistert bin oder nicht.“ „Du weichst aus, Onkel“ „Schau mal...“, Razvan hielt an um sich zu seinen Neffen umzuwenden. „Manchmal muss man Dinge ausführen, die einem nicht gefallen, weil jemand einen Fehler gemacht hat.“ Adrian zog darauf eine Miene. „Damit meine ich nicht explizit dich, Adrian. Aber in solchen Momenten müssen wir oft Dinge machen, die uns nicht gefallen.
Im Sinne der Familie. Ich hoffe du verstehst das. In solchen Tagen müssen wir unser eigenes Befinden für das Wohl der Familie zurückfahren, auch wenn es schwerfällt. Wenn es darum geht, die Familie und sei es auch der dicke Vetter Oskar, der sich auf den Festen immer vollfrisst und dann die armen Bediensteten angräbt, dann wirst du für diese einstehen, egal auf welche Art.“ Auch wenn er mit den letzten Worten kein Lächeln von dem Jungen entlocken konnte, so zumindest ein amüsiertes Schmunzeln. Was immerhin auch ein kleiner Erfolg war.
Auf dem Anwesen wurden sie schon erwartet. Xenia und Nicolae warteten schon beim Eingang auf sie. Razvan hatte damit nicht gerechnet und an Adrians Mimik zu urteilen, jener auch nicht. Xenia stand ein wenig hinter ihrem Ehemann und ihr Gesicht machte den Eindruck einer emotionslosen Maske. Doch in ihren Augen konnte Raz den Schmerz ablesen. Sie machte den Eindruck auf einem Marterpfahl zu leiden. Sie und er wussten, dass sie nichts machen konnten, nichts in jenem Moment. Nicolaes Wille hatte gewonnen und er kostete ihn aus. Er stand wie ein König gleich, dabei auf seinen Sohn hinüberschauend, wie in einer scheinbar gütigen Geste, mit der er den entlaufenen Vasall wieder in seine Reihe schloss, nur um später über ihn zu richten. Raz und Adrian kamen einige Schritte vor den beiden zu Halt. Der Sohn blickte zum Vater auf, auch in jenem Moment trotzte der Vasall dem König entgegen auch wenn er wusste, dass die Schlacht verloren war. Nicolae ließ es unbeeindruckt, für ihn war das kindliches Aufbegehren, er stand darüber,wie er immer über allem stand. „Ich denke, du hast wohl nichts nützliches aus deinem kleinen Ausflug mitgenommen, Junge.“ Das Blickduell zwischen Vater und Sohn währte einen kleinen weiteren Moment weiter, ehe Nicolae dessen überdrüssig zu werden schien.
„Aber jetzt geh rein und mach nicht so ein Gesicht, Bursche. Was soll die liebe Familie über das Geburtstagkind denken ?“, Raz fand es schon immer wieder faszinierend wie Nicolae vom Despoten zum gütigen Familienvater umschalten konnte. Einmal erinnerte sich daran, wie ihm Benjin lachend davon erzählt hatte, dass sein Sohn auch eine großartige Karriere beim Theater hätte einschlagen können. Bei solchen Momenten, konnte er dem alten Mann nur beipflichten.
„Jetzt geh rein und zieh dich um und mach nicht mehr so ein Gesicht, Junge.“ Mit diesen Worten war Adrian nun entlassen und ihm war nichts lieber als von der Präsenz seines Vaters zu entkommen. Razvan's Blick weilte noch auf dem Jungen, ehe er sich auf den nun näher kommenden Nicolae konzentrierte. Razvan reichte ihm ohne viel Worte die Messer in seine Hand, die in einem Bündel gewickelt waren. Nicolae nahm eines der Messer aus dem Bündel und zog sie aus der Scheide und hielt sie zum Horizont empor um sie zu betrachten. Für Nicolae waren die Messer vollkommen egal gewesen, er hätte sich tausende davon machen können. Es ging ums Prinzip, niemand bestahl ihn, nichtmal sein Sohn. Obwohl Adrian sagen konnte, dass er immenses Glück hatte, dass er sein Sohn war, denn sonst wär es um einiges unschöner für ihn ausgegangen. „Ich weiß nicht, warum du so immer nachgiebig gegenüber dem Jungen bist.“, meinte Nicolae, nachdem er die Klinge wieder in die Scheide gesteckt hatte. „Einer muss sich ja um den Jungen kümmern, wenn es andere nicht machen wollen.“ Es war nicht nett, dass er diese Worte gesagt hatte, aber es war ihm im Moment egal. Er bemerkte, wie sich für einen kurzen Moment der Blick Nicolaes änderte und er spürte für einen Augenblick die gesamte Last seines Zorns auf ihm lasten, aber es war ihm egal. Was ihm einzig leid tat war Xenia, die ein kurzes Schluchzen von sich ließ, er wollte sie nicht beledigen. Sie war trotz allem eine gute Mutter und er musste sich bei einem richtigen Anlass bei ihr entschuldigen. Bevor einer der beiden etwas noch hinzufügen konnte, schritt Raz ins Haus hinein, diese Bühne welches ihm wie ein eigenwilliges Theaterstück vorkam hinter sich lassend.
Es dauerte nicht sehr lange, bis er sich im Garten wiederfand, welcher genauso gewaltig bemessen war, wie das Haus an sich. Er erblickte zahlreiche blonde Köpfe, es glich als wär die gesamte Familie angereist für Adrians Geburtstagsfeier und es würde ihn nicht wundern, wenn es tatsächlich der Fall war. Er erblickte auch seine Ehefrau, die ihn zeitgleich sah und mit einem strahlenden Lächeln zu sich rüberwinkte. Ihr Lächeln besaß schon immer diese magische Eigenschaft seine Laune zu steigern und düstere Gedanken zu vertreiben. Manchmal fragte er sich schon, wie er es geschafft hatte, diese bezaubernde Frau für sich zu
gewinnen. Wie so vieles in seinem Leben seitdem er Teil dieser Familie war.
Er schaute kurz zum Himmel hoch, ein wunderschöner Sommertag kündigte sich an.
Nichts konnte die Gedanken trüben, fast nichts.
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