Es war eine laue Vollmondnacht im Sommer des Jahres 1307n.E. In einer recht heruntergekommenen kleinen Hütte irgendwo im Königintal saßen ein Mann mittleren Alters mit gebeugten Schultern und großen schwieligen Händen und eine deutlich jüngere und sehr blasse Frau am schmucklosen Holztisch. Der Mann roch nach Schweiß und Sägespäne und war fast kahl auf dem großen Kopf. Die Frau hatte tiefrote Ränder unter den blauen Augen und fahle eingefallene Wangen. Sie war mit Sicherheit schwindsüchtig so wie sie aussah. Sie schluchzte leise und der Kerl fuhr sie grob an: "Flenn nich, Louise. Das Balg muss weg. Werd'n selber nich satt und jetz fängt die auch noch mitter Feuerfunzelei an." Er rieb sich mit der schweren Hand durch das müde und grobschlächtige Gesicht. Die Härte seiner Worte traf die Frau mit den dunklen verfilzten Haaren unvermittelt und ließ sie aufheulen. Der Holzfäller seufzte leise, stand auf und umrundete den einfachen Tisch. Er legte seiner Frau die Hände auf die Schultern und so verharrten sie eine kleine Ewigkeit, bis die Frau von einem Hustenkrampf geschüttelt wurde, der in Bluthusten überging. Martin Schwartz wusste, er würde sie auch bald verlieren und dann... das Mädchen war hübsch und lieb. Es würde sie sicher jemand aufnehmen. Ganz bestimmt. Dann würde sie es besser haben. Er konnte unmöglich ein magiebegabtes Kind allein durchbringen.
Das etwa fünfjährige zierliche Mädchen lag auf dem einfachen Strohlager und schlief. So unschuldig sah sie aus und Louise Schwartz brach es fast das schwache Herz. Sie hatte ihre Tochter mit einem Sud aus der Moorwindenwurzel und dem Geisterpilz in einen tiefen Schlaf gebracht. Ein Schlaf aus dem sie erwachen würde und vergessen hatte. Tapfer hatte das Mädchen das Gebräu getrunken. Es schmeckte bitter und widerlich. Doch die Kleine wollte es der Mama recht tun und so trank sie es bis zum letzten Tropfen leer. Sie hatte ja keine Ahnung wieso sie diese Medizin trinken sollte. Die großen blauen Augen sahen lobheischend zur Mutter auf und diese strich dem Kind liebevoll über die dunklen Locken. Weil die Mama so traurig aussah, war das Mädchen überzeugt davon das sie krank war und diese Medizin sie gesund machte. Es dauerte nicht lange und das Lockenköpfchen sank auf dem Stuhl in einen tiefen Schlaf. Louise trug das Mädchen auf das Strohlager und wartete neben ihr sitzend auf die Rückkehr des Vaters. Wieso musste ihre Tochter nun auch noch diese magische Begabung in sich entdecken? Sie erinnerte sich an den Tag an dem die Kleine freudestrahlend die kleine Flamme auf der Handfläche tanzen ließ und Louises verquollene Augen wollten bei dieser Erinnerung nicht aufhören zu weinen. Sie hatten nicht genug zu essen, gerade einmal dieses wackelige Dach über dem Kopf und konnten es sich nicht leisten das Mädchen auch noch zu einem Lehrer zu schicken. Es würde besser sein, das redete sich die todkranke Frau immer wieder ein, während sie die dunklen Locken der Tochter mit zitternder Hand berührte.
Martin wickelte das bewusstlose Kind in eine Decke, küsste seiner kranken Frau die schweißige Stirn und im Schutz der Nacht brachte er seine Tochter fort. Sein Weg führte ihn in die Stadt und vor dem ersten Hahnenschrei würde er nicht zurück sein. Der Melandruschrein war sein Ziel, denn er hoffte sein Kind würde von einem der Priester dort entdeckt und aufgenommen. Martin legte das kleine Mädchen, das er im Grunde seines Herzens so sehr liebte, ein wenig geschützt unter einem Baum am Schrein ab. Verstohlen sah er sich um, ehe er sich im Schutz der Dunkelheit wieder davonstahl.
Es dauerte eine ganze Weile, ehe sich das Kind unter dem Baum am Schrein rührte. Verwirrt blickten die blauen Augen umher und ein leises und ängstliches "Mama?" hallte durch die Stille der Nacht. Dabei war der Kleinen nicht mal klar, wie ihre Mutter aussah oder wer ihre Mutter war. "Die is' nich' da. Die hat dich allein gelass'n, Kleine." ertönte eine klare Jungenstimme und das Lockenköpfchen erschrak und setzte sich abrupt auf. Voller Angst waren die großen Augen, die den verschmutzten Knaben von etwa zwölf Jahren der vor ihr stand anblickten. Strohblondes wirres Haar umrahmten ein schmales und sommersprossiges Gesicht mit ungewöhnlich hellen wasserblauen Augen. "Hab' kein' Schimmer wie so'n kleines Blag wie du überleben sollst, wa? Wenn ich nich' wär, wärste bald tot. Mausetot!" sprach er sehr überzeugend. Zumindest in den Ohren eines gerade fünf Jahre alten Mädchens klang es überzeugend. Die Kleine fing an zu weinen und der Junge grinste schon ziemlich gemein. "Heul nich'! Ich kümmer mich jetz um dich. Vetsproch'n. Komme oft her und heute haste auf einmal hier rumgelegen, wa? Is dein Glück, daß ich dich gefunden hab. Wie heißte? Ich bin Finn!" Der Junge streckte die schmutzige Hand aus und das Mädchen hob die Schulten. "Ich weiß es nicht." erklang ihr dünnes Stimmchen. Das zauberte Verblüffung in die Züge des Burschen und der vorlaute Mund mit der Zahnlücke klaffte einfach nur erstaunt auf. Das hielt jedoch nicht lange an. "Ey, pass auf. Wennde nich' weißt wie du heißt, geb ich dir nen Namen, wa?" Die Kleine nickte schüchtern. Sie war verwirrt. Sie wusste nicht, wie sie hieß oder woher sie kam. Sie erinnerte sich weder an ihr Zuhause, noch an ihre Eltern. Auch nicht, wo sie war. Vertrauensvoll griff sie die ausgestreckte Hand des Jungen, der sie auf die Füße zog und die Hand nicht wieder los ließ."Ich bring dich ma weg. Kommste nu mit zu mir in meinen Unterschlupf. Du heißt jetz Arlassia."
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