Wirrsal

Die an sie gerichtete Nachricht war schnell und lapidar ausgesprochen worden, bevor sie auch schon wieder hastig mit ihrem Gegenüber und der neuen Information allein gelassen wurde.


Hannah wusste weder, was sie von der Neuigkeit halten, noch, wie sie damit umgehen sollte.
In Gedanken wiederholte sie die eben noch aus einem fremden Mund gesprochenen Worte, während sie ihren Becher auf dem Tresen abstellte.


Und da kam es auch schon über sie.


Sie dauerte nur wenige Lidschläge an, die vage, leise Vorahnung auf das, was sie erwarten würde. Und es geschah, während ihr Geist noch an ganz anderer Stelle fest hing.
Weil ihr Geist an ganz anderer Stelle fest hing.


Sie spürte:


Mit dem kleinen Bogenhanf, den man ganz hinten links auf die letzte Fensterbank gestellt hatte, stimmte etwas nicht.
Hannah bemerkte, dass die von dem Gewächs ausgehende Energie lange nicht so kräftig und im Fluss war, wie sie hätte sein müssen.
Die Anstrengungen der dünnen, feinen Wurzeln Wasser zu finden waren regelrecht spürbar.

„Oh nein. Bleib stark.“ Dachte sie da. „Sie gießen hier wöchentlich, da wirst du nicht mehr lange durchhalten müssen.“


Ihre Laune sank rapide.

Dass ihr Gegenüber sie aufmerksam beobachtete, während sie scheinbar schweigend und verschlossen einfach so da stand und vor sich hin stierte, bemerkte sie nicht.


Die bunten Schnittblumen, welche man in kleine Sträußchen gebunden und auf den einzelnen Tischen drapiert hatte, drängten sich ihrem Geist als nächstes auf und verloren regelrecht im Minutentakt ein wenig von ihrer Kraft, obwohl sie noch in voller Blüte standen.Morgen schon würden sie ihre Köpfchen hängen lassen, und in zwei oder drei Tagen würde man die heute schon Totgeweihten zur letzten Ruhe betten – Indem man sie achtlos auf irgendeinen Haufen warf.


Hannah kräuselte unwillig die Nase und gab ein leises, hell klingendes Brummen von sich. „Ich bekomme schlechte Laune.“


„Wegen der Nachricht?“


Es fiel ihr mittlerweile schwer, sich nicht von den fremden Empfindungen und Signalen überwältigen zu lassen, welche so plötzlich in ansteigender Zahl und mit immer mehr Nachdruck auf ihren Geist einwirkten.
Da war Schmerz. So viel Schmerz. Verzweiflung, Tod.
Immer mehr Tod und Vergehen drängten sich ihr auf.
Dazwischen, völlig unbeirrt von der Umgebung, fröhliches Wachsen und Werden.


Hannahs Kopf fühlte sich schwer an und begann zu schmerzen.


„… Nein.“ Antwortete sie angestrengt murmelnd.


Ihr Gegenüber schaute zweifelnd und gleichzeitig fast ein wenig amüsiert.
Doch Hannah nahm den Blick des hochgewachsenen Glatzkopfes schon gar nicht mehr so wirklich wahr.
Vor ihrem inneren Auge sah sie sich umringt von vielen kleinen blumigen und krautigen Geschöpfen, die in ihrer Pein und ihrem Elend jämmerlich flehten: Um Erlösung. Um ein Ende ihrer Schmerzen. Um irgendeine Hilfe.
Hilfe, die sie ihnen nicht gewähren konnte, ohne noch verrückter und launischer auf ihre Mitmenschen zu wirken als sie es eh schon tat.


Ihr Herz tat es ihrem Kopf gleich und krampfte.


Sie musste weg, fort von hier, bevor sie die Fassung verlor und die Anwesenden beschimpfte, während sie mit Gießkanne und Pflanzenmesser bewaffnet täte, was zu tun war.


„ Ich geh heim.“ Ohne sich mit irgendwelchen weiteren Erklärungen gegenüber ihres Begleiters aufzuhalten strebte sie der Nachtluft entgegen.


Doch dem Gefühl des Krankens und Vergehens konnte sie an diesem Abend und in dieser Stadt nicht mehr entfliehen.

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