Die Stunden des Wachdienstes vergingen zäh. Dunkle Wolken hingen schwer und schmierig am Himmel über Mutters Blattwerk, wie Teerpfützen, welche an ihrem Glanz zu kratzen schienen. Und doch strahlten die großen Blätter hell, waren stark und dick in ihrem Wuchs. Das erste Mal, seit vielen Monaten, hatte Glyzavo das Gefühl Mutter ganz nah zu sein und ihr Erholen nicht nur duch das Stimmgemurmel der Geschwister zu hören, sondern auch wirklich zu sehen. Der Hain hatte einige Blätter verloren, Kratzer abbekommen und Verluste erlitten die tief in den Wurzeln des Mutterbaumes verankert waren und alle nachfolgenden Generationen beeinflussen würde.
Doch sein Volk war stark. Ihr Geist war stark und ihr Willen ungebrochen.Tief in sich fühlte der Hüter Zinderhangs die Reiselust und den Drang danach die eigenen Fasern an neuen, unbekannten Landen zu härten. Und noch nie hatte er sich, vor einem Aufbruch, so sicher gefühlt.
Denn er ging nicht alleine.
Aber noch war man im Hain, hatte eine Ventaris Runde hinter sich gebracht und stand nun auf der obersten Ebene, mit Blick gen Himmel. Kühl breitete sich die Luft in den Lungengebilden des Hüters aus, als dieser tief und langgezogen einatmete.
„Denk nicht ich wüsste nicht wie du dich fühlst, nur weil der einzig dauerhafte Friede, der Friede in deiner Seele ist und du dich so still machst,
als hättest du diesen Frieden gefunden. Ich weiß es genau.“
Eucarulus Stimme drang, wie durch einen dicken Schleier, an sein linkes Ohr. Generell stellte sich der gelbe Hüter eher auf die linke Seite seines Truppführers. Ob aus Rücksicht auf die eigene geschundene rechte Seite und das fast nicht mehr vorhandene Ohr, oder aber weil er die linke Seite bevorzugte – wusste Glyzavo nicht. Dennoch ließen die Worte seines Bruders den eigenen linken Mundwinkel in einem Anflug von Amüsiertheit hinauf wandern.
„Ist das denn so? Das der Friede in einem selbst ist? Und wenn ja? Wie tief muss man suchen um sich selbst zu finden und dann noch den Grund seines Friedens zu erreichen.“
„Nein“, war die knappe Antwort des Gelben, der nun die nachtschwarzen Augen Zavos von den Weiten des Hains auf sich gelenkt hatte.
„Wie nein?“ Entgegnete Glyzavo fragend.
„Nein. Einfach nein. Du hattest eben die Runde und hast den Sprösslingen Fragen gestellt, um die ich sie wirklich nicht beneide.
Aber nein, mir stellst du keine deiner gefürchteten Fragen.“
„Wie geistreich du heute wieder bist, Bruder. Hast du etwa in meinen Büchern geblättert?“
Eucarulus schüttelte den Kopf, stockte in seiner Bewegung und schüttelte das Haupt dann noch kräftiger, eh er den kleinen Finger der linken Hand zum eigenen Ohr hob und kurz darin puhlte. Es dauerte ein weiteres Kopfschütteln lang und eine winzige Motte trat im Taumelflug die Flucht, aus ihrer neuen Behausung, an.
„Sie mögen sie einfach. Das weißt du.“
Zavo konnte seiner tiefen Stimme nicht den amüsierten Klang nehmen, auch wenn er sich wahrlich darum bemühte.
Euca hingegen schwieg, legte die Hand auf den Griff seines Schwertes welches sofort, unter der Berührung aufglimmte.
„Eure Verbindung ist stark. Sie ist eine treue Gefährtin geworden mein Freund und ich bin wirklich stolz darauf, dass die Lehren in den Bahnen deiner
Fasern zu fühlen sind.“ Die Hand des gelben Hüters griff fester um die Klinge herum und sogleich stellten sich die feinen Blätter am pflanzlichen Körper auf,
als würde sie eine Spur Unbehagen in ihrem Herren fühlen und auch Zavo merkt die leichte Welle der Unruhe, von Euca zu ihm, hinüber schwappen.
„Dir missfiel das Thema vorhin hmm?“
„Ich denke nicht gerne daran zurück, dass du weg warst und wir dich fanden“, antwortete Euca ohne Umschweife, als wäre er froh endlich mit diesen Worten herausrücken zu können. Glyzavo wandte sich seinem Bruder zu und noch während die Lider sich über nachtschwarze Augen schlossen, öffnete sich der Vorhang seiner empathischen Stille. Es gab nicht viele Momente in denen man die Beherrschung, die Selbstsicherheit und die Willenskraft aufgeben konnte, um eben mal die andere Seite zu zeigen, die auch in einem war. Euca schnaubte leise. Die Linke des Gelben legte sich flach auf die Brust seines Truppführers. Es war keine Geste des Trostes, denn der gelbe Hüter wusste genau, das Trost hier nicht gebraucht wurde. Trost hatte es genug gegeben, in all den Monaten. Es war genug Zeit vergangen um Dinge begreifen zu lernen und selbst wenn man es nicht konnte, sie vielleicht doch nicht verstand, einen Weg zu finden damit umzugehen.
„Wohin du gehst, da folge ich. Dort wo du wandelst, da geh ich mit. Wo du kämpfst, steh ich dir bei.“
Klar war die Wortwahl des Bruders, dessen Blick fest auf seinem Gegenüber ruhte und als Zavo die Augen öffnete blickte er in ein Augenpaar,
das Wissen und Sicherheit widerspiegelte.
„Du bist wahrlich kein Spross mehr Bruder. Du bist sehr gereift in den letzten Jahren und deine Fasern sind stark geworden, vom steinigen Boden geformt,
über den du wegen mir gegangen bist.“
Glyzavo schüttelte sacht das Haupt, bei der Erinnerung an all die Wege die sein Trupp und seine Freunde mit ihm gegangen waren. Nicht nur sein Umfeld war in all der Zeit gereift, auch er hatte an weiteren Jahresläufen zugenommen und hoffte, dass noch viele weitere folgen würden.
„Jederzeit wieder. Das weißt du“, entgegnete Euca fest und als Zavo seine Stirn an die des Bruder legte, woben sich neue, festigende Fasern um das Band der Treue und Freundschaft.
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