Schlagwörter
Tod, Blut, Gewalt
Die Geschichte
Es kitzelt ein Lichtstrahl an der Nasenspitze. Er ist jenen gleich die sie damals in ihrem Bett im eigenen Zimmer in der Rurikstadt erwachen ließen, weil am Abend die Finger den Vorhang nicht dicht schlossen. Müde von einem Abend mit Freunden oder vom Dienst fiel sie in die weichen Federn und wollte sich nicht dem Aufenthalt darin weiter entziehen in dem sie ordentlich und mit Zeit den Stoff vor das Glas zog. Vivienne schlief schon immer gern auf dem Bauch, die Arme unter der Wange verschränkt und das lange Haar wild um den Kopf liegend. Nur selten fand man sie auf der Seite, noch seltener auf dem Rücken. Sie knirschte ab und an mit den Zähnen, eine Unart wie es ihre Mutter nannte, eine Nerven raubende Eigenart schimpften ihre Geschwister, so sie auf Reisen mit ihr ein Zimmer teilten. Sie selbst lachte darüber, scherzte es selbst nie gehört zu haben und so wäre daran nichts. Ganz gleich jenen Menschen, die laut anderen schnarchen und es verneinten, weil sie sich selbst eben - wie Vivienne mit ihrem Geknirsche - nie hörten. Meist entstand daraus ein Wettstreit, wer nun Recht hatte. Die, die knirschte und es nicht hörte, oder jene, die sich mit ihr Mutter und Vater teilten und darauf bestanden, dass dem so wäre. Ein ganzes Frühstück konnte vergehen über die Debatte, die keine Front verlieren wollte und die am Ende doch jedes Gemüt - so hitzig es gewesen ist – lachen ließen. Wie oft saßen sie zusammen, führten Grundsatzdiskussionen und lachten am Ende miteinander. Vater, Mutter, Finja, Sina, Roland und sie selbst. Überhaupt, diese Familie war das wandelnde Klischee der Verbundenheit, ganz gleich wie schlimm man miteinander stritt, man ging nie mit Wut aufeinander ins Bett. Ein Schwur, den man von klein auf von den Eltern mitbekam und an den man sich auch im Erwachsenenalter hielt.
Ob sie heute knirschte, weiß sie nicht, es wird ihr auch niemand sagen. Denn der Lichtstrahl kämpft sich nicht durch Bahnen von Stoff und Glas, sondern durch einen herab gerissenen Ast von einem Baum, den ein Geschoss in der Mitte gespalten hatte als wäre der Blitz hineingefahren. Und man war auch nicht mit gelöstem Streit ins Bett gegangen, man ist danieder gestreckt worden und eigentlich glaubte sie das nächste Blinzeln in den Nebeln zu vollführen. Aber soweit diese Gedanken zu fassen ist sie nicht, zunächst ist da nur dieser Lichstrahl, der sie an der Nase kitzelte und als sie den rechten Arm heben will sich dort zu kratzen, gehorcht er in seiner Schwere nicht. Ein Murren entkommt der Kehle, etwas liegt schwer auf ihren Beinen als wöge die Schlafdecke Tonnen und sei aus Stahl statt Federn. Ein Atemzug, die Lunge brennt, zu viel Branntwein am Abend? Noch einmal der Versuch den Arm zu heben und sich an der Wange zu kratzen, die Augen noch geschlossen, weil so die Sonne nicht quälte. Hinter ihrer Schläfe hämmerte es, da nach und nach der Schmerz zurückkam und sie sich immer mehr aus dem Ohnmachtsschlaf löste. Wieder will der Arm nicht „Verdammt!“ keucht sie und hört ihre Stimme so rau und fern als gehöre sie einer anderen Person. Ein erster Versuch die Augen zu öffnen, offenbart von Salz und Dreck verklebte Wimpern und Lider, sie muss geweint haben, so fühlte es sich zumindest an. Mit dem zweiten Versuch schlägt sie die Lider auf und blinzelt in die Umgebung, verbrannte Erde, zersplitterte Bäume, Rabenkrähen flatterten um am Boden liegende Gestalten? Tote? Sie sah wie die Schnäbel piekten, Hautfetzen heraus zogen und sie verschlangen. Irgendwo in der Ferne ein Poltern wie ein Donnerschlag, aber im geübten Ohr als Kanone zu erkennen.
Mit dem ersten Geräusch dieser Art kommt alles zurück, so unvermittelt wie ein Schlag in den Nacken und weitaus schmerzender als dieser. Immer noch sind ihre Beine ungewohnt schwer, Rüstung allein konnte es nicht sein, ihr Arm ist verdreht und deshalb nicht zur von den Nerven und Willen aufgegeben Regung fähig. Vivienne erinnerte, sie sah den Soldaten, den sie zuletzt versorgt hatte und hob den Blick zum unweit sitzenden, Kadaver über den auch bereits die Krähen und Ratten hergefallen waren. Tiere die das Aas gern und dankbar annahmen, denen gleich war ob es menschlicher oder tierischer Abstammung war und dem geübten Feldscher drehte es den Magen um. Sie übergab sich noch immer auf dem Bauch liegend und spürte wie die Brühe ihre Wange, wie auch tiefer die Haut benetzte zwischen sich und dem Boden. Ihr Hals, der brannte noch ein wenig mehr und die am Boden liegende Seraphin versuchte irgendwie eine andere Lage einzunehmen, betäubt vom Schmerz und getrieben vom Überlebenswillen in der eigenen Brust. Das rechte Bein konnte sie als erstes etwas anwinkeln und mit dem Fuß schob sie das Gewicht auf ihrem Leib von sich herunter. Ein Gewicht. Gerade war es nur ein Gewicht was sie loswerden musste und als es klirrend zur Seite fiel, was auch immer da war, konnte sie sich umwenden. Die linke Hand brachte den Ast über ihrem Oberkörper zur Seite, mehr Licht fiel auf sie und näher als sie es erwartet hatte, fuhren schwarze Vögel unter boshaftem Geschrei in den Wind und herauf in die Wipfel der nahen Bäume.
Noch immer verbunden mit dem 'Etwas' was auf ihr war zuvor, wirft sie einen Blick zur Seite und die Augen weiten sich unter heißen Tränen auf den Wangen die Erbrochenes herab wischten. „Verflucht.. Kiara..“ unter die Rückenplatte ihrer Rüstung hatte benannte Gestalt ihre Hand geschoben und ihr damit das Leben gerettet. Wer war Kiara? Sie gehörte zu den Magiern der Kronenwacht, defensive Kraft und geübt in der elementaren Wassermagie. Kiara war eine schöne Frau gewesen, langes rotes Haar in Wellen gelegt, wenn sie offen waren und mit grün-grauen Augen, wie Vivienne noch niemals zuvor ein Paar sah. Kiara war eine ruhige Person, aber wenn sie scherzte, lachten alle, weil sie den Sinn für Situationskomik hatte. Eine wichtige Persönlichkeit unter den Frauen und Männern, dabei einfache Soldatin ohne hohen Rang und Titel. Nun war Kiara tot, Kiara Meredith Tzeik, Seraphin und Magierin der Seraphen-Kompanie 'Kronenwacht', Freundin, Vertraute und Lebensretterin, wie sie es hasste, wenn man sie Meredith nannte. Vivienne drückte die linke Hand auf den Mund um nicht laut zu schluchzen, aber sie weinte, weinte vor Schmerz am Leib und Trauer um die Verstorbene. Es brauchte Minuten bis sie es wagte die Hand mit den teilweise gebrochenen Fingern unter dem Eisenkleid hervor zu ziehen. Aber erst dann konnte sie sich vollständig umdrehen, saß auf einem Hintern, der sich anfühlte wie wundes Fleisch, den ebenso schmerzenden Rücken lehnte sie an den zerborstenen Baumstumpf und so saß sie einfach eine kleine Weile da und zwang sich zurück zu denken.
Aber so sehr sie es versuchte, Vivienne blieb fern was geschehen war. Sie erinnerte sich nicht an den Ruf der Freundin und Kameradin, weil sie bereits weggetreten war. Niemals würde sie wissen, was in diesen letzten Lebensminuten von Kiara geschehen war. Die Magierin, die zu Boden ging durch einen glatten Hieb eines Großschwertes, welcher ihr Sehnen und Muskeln im Bein trennte und sie nur noch kriechen ließ. Aber aus dem Augenwinkel sah die Rothaarige ihre Freundin brennend über den Boden rollen und auch wenn sie selbst vor Schmerzen die Tränen nicht aufhalten konnte, so zog sie sich über den Boden zu ihr. Einmal packte eine starke Mantlerhand unter feixenden, geifernden Worten nach ihrem gesunden Bein, zog sie etwas zurück, verlängerte ihren Weg, wurde dann selbst von einem Geschoss aus eigener Reihe verwundet und geschlagen. Kiara kämpfte mit dem klaren Verstand, erreichte den Korporal aber erst als diese sich nicht mehr rührte. Die Hand drückte sich in blanker Verzweiflung unter die Rückenplatte, es brachen zwei Finger, aber sie wusste ihr Leben war ohnehin verwirkt und so blieb die Hoffnung eines zu bewahren. Der Zauber von den Lippen war das letzte Wort, was Kiara Tzeik von sich brachte, während die andere Hand einen Ast zu sich riss um Vivienne zu verbergen darunter. Dann schlugen zwei Splitter unweit der beiden bald toten Frauen ein. Einer teilte den Baum an dem sie nun lehnte, deren Leben von der Magierin gerettet worden war, einer schlug nah der Magierin ein und zerfetzte ihr den Unterleib, die Beine, ließ sie leblos auf die sonst zum Sterben verdammte Vivienne fallen. Kiara war die Last, die sie spürte im Erwachen, aber sie war es auch, die sie gelöscht haben musste und um so bitterer war der Anblick auf die Gestalt mit dem vom Tod gezeichneten Gesichtszügen. Doch in all dem Leid bildete sie sich ein, die Lippen unter weit aufgerissenen, trüben Augen würden lächeln im Wissen im Sterben ein Leben gerettet zu haben. Ihr Leben.
Wie lange sie dort saß und den Leib ihrer Retterin betrachtete, sie weiß es nicht mehr, aber der an ihrem Geist nagende Schmerz pochte immer bestimmter hinter den Schläfen und an jeder Stelle ihres Leibes und Rettung? Der Blick fällt über das Schlachtfeld ohne menschliches Leben darauf. Sie sah Rüstungen, die ihrer glichen, sie sah weiß-rot-gold zwischen diesen liegen. Heute und hier waren Verluste auf beiden Seiten zu bezeichnen und wer weiß, wann jemand herkam um die Toten zu finden, ihnen die letzte Ruhe zu schenken. Ein weiterer Kanonenschlag ließ sie zusammenzucken, irgendwo wurde noch gekämpft, irgendwo starben weitere und manche jubelten über einen Sieg. Konnte sie laufen? Oh, sie versuchte es, nachdem sie sich die Handschuhe genommen hatte und die blutige Hand mit blasig roter Haut durch das Feuer krallte in den Baumstumpf, zog sie ein wenig herauf. Aber mehr als einmal fast auf die Knie kam sie nicht, der rechte Arm ausgekugelt an der Schulter, die Verbrennungen in einem Ausmaß unter ihrer Kleidung, welches sie nicht bemessen konnte. Letztlich kroch Korporal Vivienne Madeleine Camille Carthaigh auf dem Bauch über den Boden, musste immer wieder inne halten und fand vielleicht zwanzig, dreißig Schritt fern vom Schlachtfeld eine kleine Erdhöhle unter einer aufgestellten Wurzel eines Baumes, den die Erde nicht mehr halten konnte. Dorthin verkroch sie sich, weil der Feind sie auf dem Schlachtfeld vielleicht vor den eigenen Leuten gefunden und getötet hätte, weil dann jedes Opfer anderer umsonst gewesen wäre. Erschöpft, vollkommen entkräftet, rollte sie sich in den Resten ihrer Rüstung ein, bildete sich ein rotes Fell unweit ihrer zu sehen und fiel abermals in Schlaf. Nicht die vollkommene Schwärze wie zuvor. Nein, die quälende Ruhe, die sie träumen und mit geschlossenen Augen weinen ließ. Eine Schande für eine Soldatin, aber auch sie ist nur ein Mensch hinter Abzeichen, erlangtem Wissen und Werdegang.
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