„Victor!“
Die Bürotür fiel hinter dem Luden ins Schloss, und Ghabriel prallte hart gegen das Holz, einen Sekundenbruchteil zu spät, um zu verhindern, dass Riegel und Zarge ineinander griffen. „Verdammt!“
„Er sieht ganz schön wütend aus.“ Tevin atmete durch. Er betrachtete voller Zweifel die im Licht flackernde Oberfläche der kleinen, flachen Wasserschale, die auf dem abgehalfterten Tisch in der nur sperrlich eingerichteten Kammer stand. Missmutig walgte er mit mit den Finger den luftig lockeren Stoff seines Morgenmantels, während nur ein paar Zimmer weiter Bücher und Regale, Stühle und Lampenhalter in ihre Einzelteile zerlegt wurden. „Ich bin mir nicht sicher ob das die richtige Entscheidung gewesen ist.“ Mit der Zungenspitze befeuchtete der Magier sich seine Unterlippe. Ihm war unwohl der unerkannte und doch identifizierte Zuschauer dieses Aktes zu sein, der in keinem Skript vorgeschrieben stand. Mit wenig Begeisterung in den braunen Augen beobachtete er Ghabriel und dessen Misere mit wachsender Sorge, die sich als tiefe Falte auf seiner Stirn niederschlug. Er wollte gar nicht erst damit anfangen sich auszumalen was der Mann, der deutlich größer und breiter war als er selber, mit ihm anstellen würde, bekäme er ihn jemals in seine Finger. Es gelang ihm nicht sich der Vorstellung zu erwehren und als er vor seinem inneren Auge dabei zu sah, wie die eigenen Knochen splitternd brachen und die Nase nach einem Prankenschlag auf dem Hinterkopf wieder aus der Rinde trat, schluckte er schwer.
„Tevin!“, brüllte er voller Zorn, die schweren Stiefel gegen die Tür tretend, bis er das Knirschen seiner eigenen Knochen spüren konnte. „Lass mich raus, verdammt! Ich reiße dir deine verfluchten Eier ab! Tevin!!“
Victor traf ein Blick voller Zweifel und noch unausgesprochener Kritik. Es war der bittere Geschmack von Gallensaft, der dem Magier die Kehle hinauf kroch, während er sie mit der Linken schützend umfasste. Unruhe begann von dem Mann Besitz zu ergreifen, der es sich längst nicht mehr wagte in das magisch gewobene Fenster auf dem kleinen Tisch zu sehen. „Er wird mich umbringen.“ Ernüchterung intonierte seine Stimme völlig falsch und während die träge im Rachen liegende Zunge noch die ein oder andere Schwierigkeit mit den erst jüngst verschluckten Lauten hatte und ein Knoten sich an ihrer Wurzel zu bilden begann, wandte er sich ab. Er hatte bereits begriffen, dass er die letzten Stunden vor seinem bedauernswerten und plötzlichen Ableben auch an der Bar verbringen konnte. Bevor er die Kammer verließ und den Weg zu seinem Henkersmahl bestehend aus Whisky, Kartoffelschnaps und süßem Erdbeerlikör antrat, warf er ein letztes Mal einen Blick auf den deliranten Ghabriel.
"VICTOR!"
Der Name des Iorgas wurde von den Mauern zu Ghabriel zurückgeworfen und hallte ihm laut und erniedrigend verzweifelt in den eigenen Ohren wieder.
"VICTOR!"
Starr und unbewegt lehnte der Lude, vielfach gerufen und verdammt, auf seinem Gehstock und beobachtete die fortschreitende Eskalation innerhalb seines Arbeitszimmers mit unbewegter Miene. Das schmale Lächeln auf seinen Lippen wirkte manieriert. Es war ungewöhnlich für den Mann, dessen zweigefärbten Augen schon vor einer ungezählten Ewigkeit in die Wasserschale auf dem grobschlächtigen Tisch getaucht waren. Unter dem Leder seiner Handschuhe traten die Fingerknöchel als weiße Abzeichen durch die sowieso sehr blasse Haut hindurch. Stille war eingekehrt und während das Geräusch von Tevins nackten Sohlen, die über Holzdielen liefen, langsam aber sicher von den Untiefen des Elysiums verschluckt wurde und verklang, intensivierte sich die Verarmung der iorgaschen Züge.
„Scheiße… Victor…“
Schmale Lippen formten lautlos ein einziges Wort. Eines nur, ehe Ghabriel alleine zurück blieb.
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