Für den Raben und den Fuchs
Spoilergrund
Wegen Gewaltdarstellung mal im Spoiler
Geschichte
Der Koloss hatte Einzug gehalten in diese Stadt, die niemals schlief. Es war Herbst geworden und die kalten Winde brachten immer öfter dunkle Regenwolken mit sich, die das Licht der Sonne verschluckten und Nächte hervor riefen, die es gar nicht hätte geben dürfen. Schon seit einigen Wochen sanken die Temperaturen am Ende des Tages unter den Nullpunkt. Das Wasser, am Tag aus dem Himmel gefallen, gefror in der Nacht und zauberte hunderte von Spiegeln auf die Wege und Straßen der Viertel, die sich kreisrund um das Zentrum der Stadt angeordnet sahen. Schwer und tief hing der stinkende Rauch der Kaminfeuer über den Gassen, weil es nach oben hin nichts gab, wohin er hätte ziehen können. Mürrische und verhärmte Gesichter drängten sich dicht an dicht beieinander, um den Klauen der unerbitterlichen Jahreszeit zu entfliehen. Sie dachten nicht an das Morgen, denn im Heute waren ihre Sorgen längst zu groß geworden. Scheu flohen sie vor den Blicken der Soldaten in die Schatten, die mit klappernden Rüstungen stetig ihre Runden zogen. Patrouillen dazu gedacht den Frieden innerhalb der hohen, kalten Mauern zu wahren.
Victor starrte gegen die Wand seiner Zelle. Der Mörtel zwischen den grob gehauenen Granitblöcken bröckelte an mehr als einer Stelle. Es war trotzdem sinnlos an Flucht zu denken. Zu schwer der Stein, zu gewaltig die Mauer, zu kurz die eigenen Nägel, die sich längst am Putz abgerieben hatten.
Der pelzige Geschmack auf seiner Zunge störte ihn immer mehr. In jeder Stunde, die er hier verbringen musste, wollte er ihn sich mit Bürste und Minzpaste aus dem Maul schrubben. Brackig und matt fühlte der Belag auf seinen Zähnen sich an, wann immer der Iorga es wagte mit der Zungenspitze darüber zu fahren. Er ächzte und der faulige Geruch, der dabei aus seinem Mund drang, entlockte seiner Brust ein missmutiges Knurren.
Es gab kein Fenster, aus dem er hätte schauen können. Gab keine Gittertüre, mit einem dahinter liegenden Gang, der ihn hätte ablenken können. Es gab nichts in dieser Kammer, die gerade groß genug war, dass er sich darinnen flach auf den Boden legen konnte, ohne die Knie anziehen zu müssen. Er vermochte es sich in ihr zu drehen, allerdings nur im Stand und wollte er seine Notdurft verrichten, musste er darum betteln den entsprechenden Eimer zu bekommen. Betteln...Ein Victor Iorga bettelte nicht.
Es war kein Ausdruck, der ihm schmeichelte, als er die schmalen, spröden Lippen zu einem haarfeinen Lächeln verzog und eine dunkle Blutblase, gerade so groß wie der Kopf einer Stecknadel, sich genau mittig seines Amorbogens aus der Haut quetschte. Das hatte ja mal wieder -ganz -ausgezeichnet funktioniert. Victor schnaubte wie der Bulle, dessen Nacken er sich als Vorbild für den eigenen genommen hatte und zog mit den Fingern Furchen in sein fettiges, blondes Haar. Es fiel ihm in die Stirn, als sein Kopf, schwer geworden durch die eigenen Gedanken, nach vorne sackte und er lachte. Roh und ätzend, wie das Rasierwasser, das er so gerne auf den Wangen trug.
Drei Wochen, hatten sie gesagt. Drei verfluchte Wochen sollte er in diesem Loch verrotten. Drei Wochen dafür, dass er dem Aufseher die Nase mit der eigenen Stirn ins Hirn gedrückt hatte. Drei Wochen...Das einzige, das er in dieser Zelle hörte, die diese Bezeichnung gar nicht verdient hatte, war der eigene Atem, das Rumoren des Darmes, der sich nach Nahrung sehnte und das Knurren seines Magens, der immer mehr und mehr verkrampfte, während der Iorga an all die köstlichen Speisen dachte, die es in wenigen Wochen zum Wintertagsfest geben würde. Einundzwanzig beschissene Gänge...Und er durfte sich über ein paar Mehlwürmer im schimmelpelzigen Brot freuen. Ein kleines Schmankerl zwischen den Tagen.
Er hatte versucht die Tage zu zählen, die Stunden, die Minuten, aber er hatte meisterlich darinnen versagt. Am fünften Tag, etwa zur Mittagszeit, waren die Aufseher gekommen und hatten ihn aus seinem Verschlag gerissen. Ein kleiner Gruß aus Zellenblock C, hatten sie gelacht und ihn an die Wand gestellt. Sie konnten nicht wissen, dass sie ihm damit einen Gefallen taten. Eine Abwechslung boten zu dem Geruch der eigenen Scheiße, die er für sie fein säuberlich in einer Ecke sammelte. Er war sich sehr sicher, dass sie wieder kamen. Und dann würde auch er eine kleine Morgengruß für sie parat haben.
Das bitterkalte Wasser, hoch gepumpt aus dem Brunnen, der mitten auf dem Appellplatz stand, ließ ihn all die Sekunden, die er gezählt hatte, vergessen. Es wusch ihm die schmutzigen Gedanken aus dem Schädel und riss ihn nieder, egal wie oft er dagegen aufbegehrte. Unbändig schreiend, wie das Tier, das sie in ihm sahen, rollte er sich über den Schotter, der beißend und stechend in sein Fleisch drückte und ihm die Haut zerriss.
Er hatte geglaubt zu sterben. Hatte gedacht ertrinken zu müssen unter der Wucht, mit der das Wasser gegen und in ihn schlug. Er hatte sich abwenden wollen und es nicht gekonnt. Hatte fort laufen, sich vergraben wollen und keine Möglichkeit dazu gefunden. Er hatte es bekämpfen wollen, so unsinnig dieser Wunsch gewesen war und letztendlich kam nichts von alledem in Frage.
Drei Wochen...Victor grunzte. Es gab ein einziges Licht in dieser Kammer. Weit, hoch oben über seinen Schultern, hing es als kleine Gasflamme an der Decke und tauchte die Zelle in ein drüges Dämmerlicht. Er wusste, dass das schwarz unter seinen Nägeln allumfassend war, aber er sah es nicht. Er sah nur den Mörtel. Den bröckelnden, alten Mörtel, der ihn verlachte, in jeder Minute, die verstrich, während er darauf starrte. Unwillkürlich stieg ihm der Geruch von Ozon in die Nase. Unangenehm und schlecht bekömmlich. Reizend wie Pfeffer, den man sich pur auf die Schleimhäute träufelte. Ein dumpfes Lächeln wölbte den schmallippigen Mund, über den der Iorga sich fahrig mit dem Handrücken fuhr und das im stocken begriffene Blut verschmierte.
Drei Wochen.
Und als der Schließmechanismus der Zellentüre beim nächsten Mal klickte, wurden sie bereits erwartet.
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