Ritual, Skarifizierung, Norn
gerne sich das Lied dazu anhören.
https://youtu.be/QRg_8NNPTD8?t=275
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Draußen wehte der Wind frisch gefallene Flocken auf.
Es war einer dieser Tage im Eisklamm der dem Namen des Gebietes alle Ehre machte. Die Kälte stach in den Gliedern und das Amten fiel schwer. So war es nicht verwunderlich das in der kleinen Bergsiedlung kaum ein Norn außerhalb seine Hütte zu finden war. Einzig das Heulen des Windes schien von Leben in dieser Einöde zu erzählen. Wenn da nicht dieses beständige leise Klopfen wäre zu dem sich einzigst eine Stimme mischte. In der Hütte des Dorfältesten Kjerke versammelte sich der größte Teil der Gemeinschaft. Der Alte folgte dem Geist der Leopardin schon sein Leben lang und führte seine Sippe einst hoch hinauf, um die Grenzen des Seins für immer mit seiner Legende zu verbinden. Vor allem der Aspekt der Unabhängigkeit und die Finesse sich in diesem Gebiet zu behaupten trieben Kjerke einst an. Die Klammläufer vermochten den Verstand klar und rein zu halten, wobei die eisigen Weiten manch einem eben genau dies nahmen. Im Dorf erzählte man sich Geschichten von herbei gereisten Norn welche sich selbst finden wollten und sich dann doch verloren hatten. Denn der eisige Wind, gepaart mit dem alles bedeckendem Weiß, wehte Namen schneller davon als sie hätten ausgesprochen werden können. Die weiße Verdammnis vermag einen zu brechen oder einem Dinge von sich selbst zu offenbaren, die man nicht für möglich gehalten hatte. Es war nun schon viele Tagesläufe her, Monate gar als Havar sich auf den Weg gemacht hatte um Antworten zu finden. Einzig der graue Wolf war in dieser Zeit sein Begleiter und der Beschützer seiner Gedanken. Und auch jetzt war es Grimm der am anderen Ende der Hütte lag und dessen Blick wie eine Fessel seine Gedanken umschnürrte. Sie waren so weit gereist. Sie hatten sich von einander gelöst nur um noch enger zusammen zu finden.
Die Luft der Hütte war geschwängert vom Rauschkraut, welches süßlich jeden Sinn umnebelte und Empfindungen intensivierte. Gänsehaut und die Stimme der Skaldin vermochten Havar das Gefühl zu geben, als sei er auf dem Weg mitten in die Nebel hinein. Eine Gruppe von Weibern saß nah am Feuer und klopfte im gleichbleibenden Rhythmus auf die mit Lederhäuten bespannten Trommeln. Längst hatte sich sein Herzschlag ihrem Takt angepasst. Es gab nichts mehr zu denken. Es gab nichts mehr zu überlegen. Es gab nur noch diesen Moment und das was kommen würde. Und für genau diesen Moment war er doch hierher gekommen? Er wollte alles vergessen um Platz zu schaffen für neues Wissen. Die Stimme der Skaldin lockte Havar von seiner Position. Schritt für Schritt gelenkt von Mächten welche er nicht greifen konnte näherte er sich dem Weib und auch Grimm hatte sich von seinem Platz erhoben und suchte ihre Nähe auf. Ihre Stimme verklang und machte Platz für das Geräusch von Schritten. Die Skaldin trat bei Seite und ermöglichte so auf den Blick auf das Stammesoberhaupt, welches heran getreten war. Gleich einem Geist der Wildnis dessen Geleit und Schutz einem jungen Norn sicher waren legte Kjerke seine Rechte über das trübe gewordene Auge des Holzwolfes. Die Stimme des Mannes grollte wie eine Lawine durch die Hütte. Trotz seines hohen Alters hatte Kjerke nichts von seiner Kraft oder seiner Ausstrahlung verloren. Havar konnte nicht anders und schloss die Augen, als sei er als Wolf nicht würdig den alten Kater anzusehen während dieser sprach.
"Komm", war das einzige Worte was Kjerke dann schließlich selbst an Havar richtete.
Zu Beginn lag in der Schale noch ein kleiner Block Gletschereis. Dieser war inzwischen gänzlich zerschmolzen und das sonst so klare Wasser hatte sich rot gefärbt. Havar hatte die Arme nach vorne hinweg ausgestreckt und spannte so selbst die Haut am Rücken. Erneut durchfuhr ihn ein Zucken als Kjerke mit demSchnitzstein seine Haut aufriss. Der Holzwolf hob den Blick, inzwischen verklärt vom andauernden Schmerz und blickte in das hellblaue Augenpaar von Sverja, der Tochter des Dorfältesten. Ihr Blick ähnelte dem sie ständig umgebenden Eis. Von Mitgefühl war keine Spur zu sehen. Dafür gab es auch keinen Grund. Sie hatte die Handgelenke des Kerls gegriffen und hielt sie so gut es ging an Ort und Stelle. Der erste Schnitt war zu Beginn einfach nur ein Gefühl gewesen, begleitet vom Wissen das sich die Haut am Rücken mit einer neuen Verletzung schmückte. Inzwischen aber brannte die ganze Haut unerträglich, als würde Kjerke ihn mit dem Brandeisen zerteilen. Selbst der Hosenbund hatte sich schon mit dem eigenen Blut vollgesogen. "Pause", knurrte Havar, wollte erneut die Arme zurück ziehen und sich aufrichten. Doch Sverja hielt beständig die Arme da wo sie lagen. Der Wolf zuckte erneut als der Schnitzstein die Haut aufriss. "Im Kampf mit sich selbst gibt es keine Pause", kam es dumpf, gar ein wenig monoton hinter dem Rücken des Kerls hervor gegrollt. Havar schnaubte aus und legte die Stirn wieder ab. Kjerke hatte ihm gesagt was auf ihn zukommen würde. Der alte Kater sprach hin und wieder in Rätseln, aber nie in Geheimnissen.
Am anderen Ende der Hütte entzündeten die Weiber neues Rauschkraut während die Stimme der Skaldin sich ihren Weg erneut in den Kopf des Holzwolfes bahnte.
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