Schnell genug

Wie war es damals noch gewesen? Es war ein… später Nachmittag in den Holz- und Sägewerken von ihm. Er hatte sich dort etwas abgelegen einen Schießstand bauen lassen. Warum auch nicht? Immerhin war er ein ehemaliger Soldat. Irgendwie habe ich nie gefragt warum er nicht mehr im Dienst ist. Es war eben so. Keine weiteren Fragen nötig.
Umso mehr brannte mir damals eine andere Frage auf der Zunge. Hätte ich sie nicht gefragt, wären die Zweifel dann überhaupt nicht aufgekommen? Wir hatten gerade eine Runde der Schießübungen beendet. Artan und ich. Zwar versicherte er mir damals immer wieder, er würde mich beschützen und ich müsse nicht das alles lernen, aber ich wollte es. Wenn man schon mit einem Ex-Ausbilder zusammen war, dann könnte man sich ja auch… ausbilden lassen, oder?
Wir ließen uns im leicht feuchten Gras nieder, die Gewehre neben uns gegen einen Stamm gelehnt. Wie schon so viele Tage zuvor. Ich wurde langsam besser. Zielsicherer und genauer, das sagte er mir auch so. Und mich freute es. Hatte ich mein Leben lang doch noch nie mit einer Schusswaffe herumhantiert, bis er es mir beibrachte. Ich kann seine Hände bis heute manchmal noch spüren. Wie sie mir zeigten, wo ich das Gewehr anfassen sollte, wie sie mit meinen den Abzug bis zum Druckpunkt drückten und den ersten Schuss abfeuerten. Wie stolz sein Blick war, als ich zum ersten Mal in die Mitte traf.


Einige Tage davor hatte ich von einer guten Freundin ein Geschenk bekommen. Ich hatte es an diesem Tag mit mir genommen, um es ihm zu zeigen und ihm endlich die Frage dazu zu stellen. Aber als ich diesen Gegenstand hervorholte und jetzt seinen Blick sah, drehte sich irgendwas in meinem Innersten um. Es war kein Ring, Götter nein! Nur ein Dolch. Ein sehr hübscher, das stimmt, aber ich wollte ihn nicht nur ansehen und mich daran erfreuen. Nein, ich wollte damit umgehen können und Artan war ja immer noch jemand, der sich eigentlich mit Waffen auskannte es mir beibringen könnte. Eine starke Frau an seiner Seite zu haben, die sich selbst verteidigen könnte, das wäre doch eigentlich wünschenswert. Zumal ich noch genau wusste, wie er reagiert hatte, als ich auf der Straße abends beinahe ausgeraubt wurde.
Aber jetzt mit diesem Dolch vor ihm und meiner Bitte, er möge mir zeigen, wie ich damit umgehe…


„Du bist niemals schnell genug.“


Das waren seine ersten Worte. Besonders feinfühlig war er verbal noch nie gewesen, aber er unterstrich das Gesagte in den folgenden Momenten auch noch mehr, indem er mich auf die Füße zog und sich zwei dünne Äste vom Boden suchte. Den einen in der Länge meines Dolches gab er mir, den längeren in Schwertlänge behielt er. Ich sollte versuchen an ihn ran zu kommen. Aber jeder meiner… zugegeben miserablen Versuche endete darin, dass mich sein Ast erwischte und ich weit davon war ihn auch nur annähernd zu berühren. Ob ich mir vorstellen könnte, wie viel größer dieser Unterschied noch werden würde, wenn er einfach auf der Ferne mit dem Gewehr schießen würde. Ich hätte keine Chance, das wusste ich selbst, aber darum ging es mir doch gar nicht.


Auch die nächsten Tage und Wochen weigerte er mir überhaupt den richtigen Stand, einen festen Griff beizubringen und bald hörte ich auch auf zu fragen. Der Dolch verschwand langsam in einer Schublade. Es war eben so. Keine weiteren Fragen nötig.
Weitere Wochen vergingen schließlich trennten wir uns. Nicht wegen dieser Geschichte hier, das war nicht der Auslöser. Aber er hätte mir eine Warnung sein können für das was noch kommen sollte, was ich noch zu hören bekommen sollte.


Es war der Mann, der auch mein Ehemann werden sollte, der sich mir damals annahm. Dafür sorgte, dass ich doch noch etwas zu lachen hatte. Sei es nun mit genug Rum, seinen Geschichten oder den Ausflügen, die er mit mir unternahm. So auch eines Abends an den Strand von Löwenstein. Etwas abgelegen unterhalb einer Felswand. Ich mag diese Stelle heute immer noch und wir gehen gerne dorthin, jetzt wo es wieder wärmer wird. Damals war es genauso warm und Vince alsbald schon im Wasser. Ich hatte ihm am Anfang erst noch zugeschaut, wie er ein wenig rausschwamm und wieder zurück kam. Er alberte herum, fischte Seetang aus dem Nass und drapierte es sich auf dem Kopf. Einen großen Unterschied dazu, wie er heute immer nach dem Aufstehen aussieht sehe ich da eigentlich nicht mehr, muss ich hinterher zugeben.


Was diesen Abend viel mehr besonders gemacht hat, war viel später, als ich ebenso mit im seichten Wasser stand. Überreden, das konnte er schon immer gut. Das Wasser ging uns vielleicht bis knapp zu den Hüften und ich kann mich daran erinnern, dass er nochmal zum Ufer geschwommen ist, einen seiner Dolche geholt hat. Was meine Vorgeschichte mit Dolchen anging, das wusste er damals nicht. Er kam einfach her und drückte mir den kalten Metallgriff in die Hand.


„Du bist niemals schnell genug.“


Synchron zu diesem kalten Gefühl schossen mir Artans Worte durch den Kopf, ich zögerte und zweifelte an mir. An dem, was ich hier eigentlich gerade tat.
Aber kaum waren diese Worte in mir verklungen, spürte ich Vincents Hände. Wie sie mir zeigten, wie ich den Dolch anfassen sollte, wie ich stehen sollte, worauf ich achte sollte. Ich hatte nicht einmal gefragt, aber er zeigte es mir einfach. Wohl als eine einfache weitere Ablenkung von meinen düsteren Gedanken. Es war mir, als würde ein Schalter umgelegt werden, als er tatsächlich anfing mir das beizubringen, was ich eigentlich schon lange lernen wollte.


Ich wurde die nächsten Tage und Wochen offener, wieder selbstsicherer und mein Verständnis mit solch einer Waffe umzugehen wuchs. Aus den Wochen wurden Monate und ich lerne immer noch jeden Tag etwas Neues dazu, verfestige alte Muster, die Vince mir beigebracht hat. Auch wenn ich ihn für das Training manchmal erwürgen könnte, er wusste genau, dass es mich ablenkte und ich es genoss wie ich stärker und schneller wurde. Die Übungsstunden wurden länger, die Übungen härter, aber ich wuchs an diesen Herausforderungen. Artans Worte wandelten sich von einer Fessel, die mich zurück und am Boden halten sollte zu einem Ansporn. Ich würde es mir beweisen, was ich konnte. Ich wollte besser, stärker und vor allem schneller werden. Unter den Augen eines Mannes, der mich ebenso über mich hinauswachsen sah, dem ich schließlich mein Herz schenkte. Vincent.


Ich weiß es noch bis heute. Wie stolz sein Blick war, als ich ihn im Übungskampf tatsächlich das erste Mal erwischte. Als ich endlich realisierte…


„Ich bin schnell genug.“

Kommentare 15

  • CUTE! Erstmal war ich verwirrt, weil ich Artan und Vince verwechselt habe. Das kommt davon, wenn man erst die Kommentare ließt. XD
    Mitreißend!

  • Awww <3 Ich find das doppelte Spiel in der Vergangenheit und im Hier und Jetzt echt klasse und es ist wortgewandt geschrieben. Ach und.. "Einen großen Unterschied dazu, wie er heute immer nach dem Aufstehen aussieht sehe ich da eigentlich nicht mehr, muss ich hinterher zugeben." -> Rekt. :D

  • I mags, Erü - vong Style her!


    Nein. Also doch. Ich mag es - es hat sich sehr schön lesen lassen und man wartet irgendwie, dass noch mehr aus dieser Perspektive erzählt wird.

    • Die Geschichte wurde irgendwann so lang xD
      Aber es ist ein bisschen wie das plaudern aus'm Nähkasten, das mag ich auch c:

  • Soooooo Süß <3 Die beiden sind einfach ein Traum C:

  • Sehr ergreifend geschrieben. Ich finde deinen Schreibstil hier total toll. QQ!