Ein Niemand
Drei Tage hatte sie durchgeheult ehe sie aufstand und losging. Mitten in der Nacht verließ sie ihr Zimmer, ihr Haus, ihre neue Heimat und rannte los. Sie nahm nichts mit, legte alles was ihr etwas bedeutete ab. Bis auf die zwei Dinge die sie ausmachten. Einfach nur weg wollte sie, so schnell, weit beziehungsweise lange wie sie konnte und als ihr Atem sie verließ ging sie trotzdem mit großen Schritten weiter bis ihre langen Beine sie nicht mehr trugen. Teils kroch sie weiter, teils blieb sie einfach liegen wo sie gefallen war. Es war ihr egal.
Anfangs liefen noch Tränen aus ihren grünen Augen bis diese für immer versiegt waren. Tränen um die geliebte, neu gefundene Schwester und ebenso um den Mann den sie so sehr liebte.
Das erste Leben, in dem sie so glücklich war, lag nur noch als schmerzhafte Erinnerung weit hinter ihr. Genauso wie ihr zweites Leben in Scherben lag, das grade erst begonnen hatte und in dem sie einfach nur glücklich sein wollte.
So ging sie immer weiter, immer nach Norden. Die auffälligen Ohren, ihr Markenzeichen welches sie mit Stolz trug und eine kleine Freundin ihr geschenkt hatte, gingen leider schon lange verloren. Ihre Kleider waren bald schon zerrissen und stanken so sehr daß eine Bauersfrau am Wegesrand ihr einen alten Sack gab den sie über die schmalen Schultern zog. Wie sie ihre Schuhe verlor bat sie einen Bauern um zwei Lappen, für die sie dessen Ställe mistete, und wickelte die Lappen um ihre müden und geschundenen Füße.
Dieses einst rote, lange Haar, auf welches sie so stolz war, wurde nach und nach Opfer des Laufes durch Wald, Flur und Dornenbüsche so daß viele kleine Vögel es zum Bau ihrer Nester nutzen konnten.
Manchmal hungerte sie zwei, drei Tage. Es machte ihr nichts aus, war ihr egal. Dünn war sie eh, da fielen die paar Kilos weniger nicht mehr auf, zumindest ihr nicht. Nur selten, wenn der Hunger zu groß wurde, zwang etwas in ihr sie an einen Weiher, ein Gehöft oder einen einsamen Hof wo sie für einen Krumen Brot, manchmal auch für ein Bett arbeitete. Niemals aber stahl sie etwas oder verkaufte sich. Dann ging sie weiter.
Wenn sie irgendwo verweilte wunderten die Leute sich über sie, die viel zu große, feingliedrige Frau mit der natürlichen Eleganz welche trotz des Drecks hier nichts verloren hatte. Manche fragten schon mal wer sie denn sei oder woher sie komme und immer gab sie dieselbe stoische Antwort: ein Niemand dessen Name es nicht mehr wert sei genannt zu werden.
Sämtliches Zeitgefühl ging ihr bei ihrem Lauf verloren, überall an ihren nackten Armen und Beinen hatte sie Kratzer und Schrammen, ihre Haare waren nur noch ein verfilztes Knäuel. Die samtige, hellbraune Haut, welche früher immer nach Rosen duftete, war dreckig und rau. Sogar die helle und klare Stimme klang immer mehr wie das Krächzen eines Raben.
Selbst als es immer kälter wurde lief sie weiter, noch höher in die Berge. Das Laufen hielt sie teilweise warm doch wenn sie zu geschafft war, ihr Körper, ihre Beine versagten, lag sie frierend und zitternd auf dem Boden. Eigentlich war es ein Wunder das sie nicht erfror aber auch das war ihr egal.
Endlich, nach einer Unendlichkeit des Laufens, dann standen sie vor ihr: Charr die von Jormag korrumpiert wurden, die nichts anderes wollten als ihren Tod. Sie sprintete mitten hinein, nahm die Waffen die sie fand und kämpfte. Trotz das es ihr egal war ob sie lebte oder nicht wollte sie kein einfaches Futter sein. Die Charr sollten sich ihren Körper schon verdienen. Als sie keine Waffen mehr fand nahm sie ihre eigene Magie bis sie die Kraft verließ. Blut rann aus Wunden ihren Körper entlang, es störte sie nicht mehr. Nicht einmal den Schmerz fühlte sie noch.
Vielleicht war es der Kämpflärm, das Wirken der Magie, ihre Schreie oder das Gebrüll der wütenden Charr denn auf einmal war sie nicht mehr alleine. Die Kämpfer, die an ihrer Seite auftauchten, nahm sie jedoch nicht mehr wahr, hörte nicht die Schreie daß sie stoppen solle, aufhören immer und immer wieder dort hineinzurennen. Auch daß sie ihnen, ohne es zu merken, half daß so Kameraden gerettet werden konnten bemerkte sie nicht mehr.
Und so kämpfte sie bis die Welt um sie herum im Nichts, in der Dunkelheit verschwand, der Schmerz und alles aufhörten zu existieren. Losgelöst dämmerte sie dahin bis auch sie selbst verschwand und sich auflöste.
Sie merkte nicht mehr wie ihr abgemagerter, geschundener Körper von Soldaten gepackt wurde und sie ins Lazarett gebracht wurde, wie Heiler um sie kämpften, ihren Körper wuschen und verbanden, nicht einmal das man ihr den Kopf kahl scherte. Fragen wer sie war, woher sie stamme oder warum sie dort war …. selbst wenn sie es gehört hätte, sie wußte es nicht mehr. Keines der Worte die von ihrem Wahnsinn und ihrem Mut sprachen hörte sie. Auch nicht den Namen den ihr die Norn-Heilerin flüsternd gab wegen dem einzigen was noch an sie erinnerte: Flykra ( Schneeflocke ).
Denn ihre Seele war frei.
Und als sie nach über einem Monat erwachte war sie was sie sein wollte:
Ein Niemand mit einer silbernen Schneeflocke auf ihrer Brust.