Das vergangene Jahr beginnt rasant. Löwenstein wird evakuiert, Scarlett Dornstrauch beginnt ihren Großangriff – und prägt damit die Geschehnisse der folgenden Wochen und Monate. Flüchtlinge strömen nach Götterfels, Hoelbrak und die übrigen Hauptstädte. Die Gendarranfelder quellen förmlich über. In dieser notgeplagten Zeit zeigen die Völker Tyrias so viel Solidarität, so viel Einigkeit und Empathie, wie zuletzt während den Bemühungen des Paktes im Kampf gegen Zhaitan und seine Schergen.
Währenddessen baut der Adel die Rurikhalle um. Schokolade hat ja auch seine Daseinsberechtigung.
Die Kriminalität in Götterfels steigt in dieser Zeit. Vorhersehbar angesichts der Situation in der sich ein Großteil der neuen Bevölkerung wiederfindet. Überfälle, Einbrüche und Schutzgelderpressung sind an der Tagesordnung und sollen auch im restlichen Jahr kaum zurückgehen.
Doch es bleibt nicht bei einfachen Plündereien und Diebstählen. Der erste Mord der bald in aller Munde ist passiert schon im Frühjahr. Der erst frisch verlobte Ministerialwächter Laertes Acveen von Minden wird vergiftet und getötet. Lange Zeit soll kein Täter entlarvt werden.
Die Stadt ist von der Krise in Mitleidenschaft gezogen. Krawalle und Auseinandersetzung, nicht zuletzt auch am Schrein des Balthasar, sind bald jede Woche zu beobachten. Die Zahl der Toten und vor allem der Gewaltopfer steigt stetig. Vielleicht sind es die Frühlingsgefühle, denn zeitgleich hört man aus beinahe jedem Adelshaus von irgendeiner neuen Verbindung, ob Hochzeit oder Verlobung. Manchmal auch nur harmloses Pärchengehabe.
Derweil wird das Maidenwispern kurzerhand umgebaut. Hatte sowieso einen neuen Anstrich bitter nötig.
Mittlerweile spürt man auf den Straßen des Molochs den wir unsere Heimat nennen einen wachsenden Unmut die Fremdrassen betreffend. Wobei „fremd“ hier nur zutrifft, wenn der Leser ein Mensch ist. Aber damit befasst sich die Stadt nicht. Wir lesen lieber was die von mir hoch verehrte Freifrau von Flüster über den Adel schreibt. Frau finden, Haus bauen, Baum pflanzen. Klingt einfach verträglicher als sich ständig mit den Problemen unserer Zeit herumzuschlagen.
Das Ministerium aber macht seine Arbeit. Irgendwann ist ein Lando Stark zu einem Treffen auf die Gipfelspitze gereist und hat sich dort mit Botschaftern der Charr unterhalten. Andere Diplomaten sollen auch da gewesen sein. Worüber gesprochen wurde, was das für uns bedeutet und ob es nicht doch Urlaub war, davon haben wir nie erfahren.
Etwa im zweiten Quartal machten dann die Iorgas von sich hören. Irgendein Tumult, vermutlich ging es um Geld. Bald jedoch wird die blonde Sippe wieder von Priester Dronon abgelöst, der durch das Königintal wütet und Gespenster seiner gefährlichen Phantasie jagt.
Das Maidenwispern ist bis dato noch nicht fertiggestellt. Zumindest hat niemand etwas gegenteiliges gehört. Und dann zieht die Nebelfeuerkompanie auch noch aus! Vermutlich damit man die restlichen Räume auch renovieren kann.
Der Abzug der Seraphen hätte garkeinen besseren Zeitraum treffen können. Bei so vielen Flüchtlingen in der Stadt kann man nun mal nichts besseres tun, als darauf zu hoffen, dass sie sich gegenseitig abmurksen. Und wie auf Zuruf wird das erste namhafte Gebäude der Stadt abgefackelt. Nicht das letzte, wie wir später erfahren.
Wir bewegen uns um die Mitte des Jahres, als zum ersten Mal die Ranken auftauchen. Heute weiss jedes Kind, dass es sich dabei um einen Vorboten von Mordremoths Erwachen handelt. Zum Glück aber nicht bei uns, sondern in Löwenstein und weit weg in den Kessex-Hügeln. Für manche weit genug weg um einfach weiterzumachen wie gehabt und die Stadt ein bisschen aufzuhübschen. Leider wurden die Versuche von der Allgemeinheit als Schmierereien abgetan und weitestgehend entfernt.
Wenn nicht so, dann eben anders. Irgendein Witzbold zündet gleich das zweite Haus in Götterfels ab. Und gleich danach geht auch noch Weißau in Flammen auf. Die einzig logische Konsequenz? Mehr Wachen im Salma-Viertel.
Während die Anzahl der Einbrüche wieder steigt konzentriert sich die Gerichtsbarkeit lieber auf die Kinderfänger, die sich neuerdings durch die Straßen treiben. Zumindest auf eine davon, immerhin waren die Geschädigten von Adel. Und die Täter auch. Und der Richter und der Staatsanwalt vermutlich auch, so wie wir die Leute kennen. Was am Ende bei den Verhandlungen herauskam weiss keiner so genau. Dafür haben die Sitzungen einfach zu lange gedauert, am Ende war ja der Richter kaum mehr wach.
In der Rurikstadt ist das Maidenwispern derweil in Vergessenheit geraten. War das mal fertig?
Während die Asura irgendwelchen Unfug mit Melonen im Palastgarten anstellen, steigt der gemeine Götterfelser von Krawallen auf Prügeleien um. Eine in der Lampe, eine im Hals, ein bisschen in den Gassen und Hinterhöfen. Im Umdekorieren übertrifft uns niemand. Und im Saufen, wie uns die Seraphen mittlerweile beweisen. So sieht Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung aus, liebe Leute.
Es geht dem Herbst entgegen und während die einen Grund zum Feiern haben, sehen die anderen sich lieber eine Hinrichtung bei der Hinrichtung an. Oder nehmen daran teil, je nachdem auf welcher Seite des Gesetzes man steht.
Die Bauarbeiten in der Rurikstadt gehen so lange weiter. Aber nicht am Maidenwispern, sondern an einem der Türme der Stadt. Vielleicht für einen besseren Blick auf das Katastrophenprojekt „Seraphenschenke“.
Götterfels spaltet sich inzwischen nicht nur politisch, sondern auch geographisch. Im Norden schmückt man das Ossa-Viertel mit leuchtenden Kürbislaternen. Im Süden werden Razzien durchgeführt. So ist jeder beschäftigt und man sieht wenigstens diese soziale Schere, von denen der eine oder andere zu sprechen wagt.
Die TAZ hat es gegen Ende des Jahres dann auch zum Exklusivbericht aus dem Inneren des Gefängnisses geschafft. Der Singvogel fühlt sich als Vorbild für kleinere Medien geehrt. Wir berichteten in Ausgabe #3.
Weil es vermutlich genausoviel Spaß macht über den Adel zu lesen, wie über ihn zu schreiben, halte ich mich diesmal kurz. Die Schönen und Reichen spielen wieder verrückt, bringen sich um, bringen einander um, heiraten, trennen sich und sehen dabei unverschämt gut aus. Außerdem ordnen sie überall Umbauarbeiten an. Außer im Maidenwispern, da wird schließlich noch gebaut.
Der Winter kommt und viele Götterfelser geben sich gleich der ersten Krankheitswelle hin. Angeblich ist man die Grippe dann ja für die restliche Jahreszeit los. Dafür kann man immer noch Feuer in fremden Gebäuden legen. Brand Nummer 3, so spät im Jahr noch. Weil wohl niemand mehr damit gerechnet hat liefert sich die Ministerialwache zu diesem Zeitpunkt einen Kampf mit irgendwelchen Unruhestiftern im Ossa-Viertel.
Kaum, dass die Schwarzmaler den Winter verfluchen und sowieso niemand in dieser Stadt überlebt, wird das Heilhaus geschlossen. Niemand fechtet gerne aussichtslose Kämpfe aus. Vielleicht ein guter Rat für die Ministerialwachen?
Irgendwas muss der Adel dann wieder falsch gemacht haben, dass es nicht nur zu Unruhen und einer Demonstration kommt, bei der die einzige Demonstrantin gleich beschossen wird, nein, es wird auch gleich das nächste Gebäude abgebrannt. Und keine Sorge, es ist nicht das Maidenwispern.
Irgendwelche reiche Wohltäter wollen die Situation dem Anschein nach entschärfen. Die Brücke wird ein Symbol für den Bettler und Herumtreiber. Aber war die Brücke nicht schon immer eine Lösung für Pechvögel? Was will der Adel uns sagen?
Es kommt zum hoffentlich letzten Todesfall in Götterfels, der von sich reden macht. Ein Asura, direkt vor der Wunderlampe erschlagen, wo doch mittlerweile jeder seine Liebe zur Vielfalt predigt. Andere würden sagen, es war nur ein Asura.
Brand 5 und 6 und 7. Eigentlich hatte jeder damit gerechnet, dass wir mehr schaffen. Nächstes Jahr reißen wir uns zusammen, liebe Mitbürger, die Messlatte ist hoch gelegt.
Und so klingt das Jahr langsam aus. Der Adel liefert sich seine letzte Schlacht, die Wintertagsschmuck-Herausforderung. Man ist schließlich erst reich, wenn man viel Geld für unnützen Schund ausgibt. Schön ausgesehen hat es, zumindest bis es kitschig wurde. Die sozialen Einrichtungen haben wieder viele Spenden gesammelt, Geschenke wurden ausgetauscht und für eine Woche gab es nichts als Schnee, Süßkram und heißen, roten Wein.
Damit will ich auch abschließen. Aber denkt nicht, dass das alles war, denn das neue Jahr steht schon in den Startlöchern und überrascht uns Tag für Tag mit neuen Katastrophen. Vielleicht hat noch nicht jeder in dieser Stadt seine guten Vorsätze aufgegeben und ich komme endlich dazu erfreulicheres zu verkünden.
Auch in diesem Jahr euer steter Begleiter
Simon Tettel