Beiträge von Kirre

    Hörte er die Krähe ihre Weisheit gellen? Der breitschultrige Norn hob den Gletscherblick auf zur Gewölbedecke und schirmte mit der Pranke die Stirn. Er bildete sich ein Vögel durch den zerfransten Riss zu sehen, der aussah, als wäre die Steindecke geplatzt. Von dort rang der Tag mit dem falschen Zwielicht des güldenen Gefängnisses, das auf ihm drückte. Für einen Augenblick schloss er die Lider, und ließ die Pranke sinken, bevor das Grollen aus seiner Magengegend ihm Übel mitspielte. Zu wenig Essen. Ein Norn seiner Statur konnte schon aus dem Stand eine Menge verdrücken, aber jetzt, da er in schweißtreibender Arbeit stand, würden ihn die Rationen der Flachländer kaum sättigen.


    Ronja war das Ausharren ohne Nahrung gewohnt und ihre ruhige Art diese Dinge nicht zu kommentieren, während sie schweigend arbeitete, beruhigten den Bannschnitzer ein ums andere mal. Er aber war das Äquivalent eines menschlichen Städters und es zumindest gewohnt jederzeit auf die Jagd gehen zu können, sollte der Klan je in die Verlegenheit geraten, dass ihm das Fleisch ausginge. Hier aber war nichts. Kaum etwas, was sich an diesem verfluchten Ort als Beute eignete und Spuren hinterlassen konnte. Thoran war es nicht gewohnt Hunger zu schieben und er hatte nicht gewusst, dass ihm das etwas ausmachte, bis zu dem Punkt, an dem es ihm selbst übel nachging, dass er sich so vom Fraß verführen ließ. Missmutig schnaubte er aus.


    Der Bär schüttelte sich klirrend als löse er damit den eigenen, ungewollten Unmut und sah hinab zum Ufer, an dem sich manches Holz befand. Andra mit der Glutmähne hatte nicht unwesentlich dazu beigetragen den Schnitzer mit allem massiven Holz zu versorgen, das sie auffinden konnte. Sie hatten eine Art schweigende Übereinkunft getroffen, denn das aufflammende Gemüt der Kriegerin verpuffte an der dickhäutigen Haut des Blondnorn und Thoran hatte sie einfach ruhig ihr Trübsal blasen lassen. Es würde heilsam sein, wenn sie sich in Arbeit stürzte. Nichts konnte den Geist besser befrieden als der schmerzende Muskel, der in einer Aufgabe aufging. Ronja hingegen lief mit den Wölfen und erspähte nützliches Material an Orten, die den meisten entgangen wären. Die erfahrene Jägerin tauchte hin und wieder auf und schleifte ein ums andere Holzfragment und nützliches Tau heran, das er benutzten konnte, um ein Floß zu bauen.


    Den Versorgern hatte er einige Fässer abringen können, und sollte er genug davon erhalten, dann käme es im besten Fall am Ende sogar auf zwei kleinere Floße hinaus. Die Schwierigkeit bestand darin, die Holzstücke zu robusten, stammartigen Elementen zu verkeilen und eine solide Unterschicht zu zimmern, die er mit Doppelschlingen zusammen knotete. Er nutzte seinen Gürtel, um eine besonders fragile Konstruktion festzuzurren, hämmerte die übrig gebliebenen Hölzer der ehemaligen Stützgeländer zusammen und vergaß den Hunger, vergaß die klebende Zunge. Die Welt um ihn wurde seltsam tumb, verwischte sich zu einem sonoren Klang, dem er instinktiv folgte und das den Norn abwesend erscheinen ließ.


    Später am Tag bekäme das erste der beiden Floße die Prüfung zu Wasser; ob er ein zweites noch fertig bekäme hing einzig und allein daran, ob das Lager es schaffte noch zwei kleinere Fässer abzudrücken. Der Rest oblag den Geistern - und der Weisheit des Raben, der über ihnen gellte.

    Seit Tagen war vom Schnitzer nur hin und wieder etwas zu sehen, dafür aber trieb der schwere Hammerschlag vom Lagerrand sein dumpfes Echo über die Zelte und frisch aufgeworfenen Gebäude. Er kam ab und an vorbei, hatte ein dickes Tau geschultert und nahm sich was von der Köchin mit auf die Hand mit, um den Bärenhunger zu stillen. Dann stand er kauend, mit der bebilderten, breiten Schulter an einem Pfosten gelehnt, der den Anfang der Brücke dienen sollte, die da neulich eingestürzt war.


    In seinem Kopf entstanden dann Bilder und Strukturen, und auf dem selten lehmigen Untergrund durch spitzen Stock getriebene Skizzen. Es war nicht Thorans erste Brücke. Er glaubte wohl, es in den letzten Wochen in diesem Unterfangen zur Meisterschaft gebracht zu haben. Den Geistern sei Dank hatte er sich noch nicht so verletzt, dass ihm nicht die eigenen, wenigen Mittel der Gipfel hätten den angerissenen Finger oder die Schürfwunden versorgen lassen. Den Erzählungen nach versuchte sich die Sylvari im Heilerzelt an allerlei nekromantischen Geschiss, und war wohl auf dem besten Wege hin, der Verderbnis anheim zu fallen. Nicht selten waren die Jotun durch ähnlich mächtig geflüsterten Trieb verführt worden und am Ende ganz verdorben. Fleischgolems. Der Norn schüttelte klirrend das Unwohlsein aus dem massiven Rückgrat.


    Überhaupt waren manche dieser Flachländer ungewöhnlich danach aus, sich Dinge zu befehlen. Dinge mussten getan werden. Und wenn man wollte, dass etwas zusammen getan wird, kann man danach fragen. Der Schnee hatte sie untereinander alle gleich werden lassen und nur die eigenen Legenden und die eigenen Taten verhalfen zu einer respektierten Stimme.


    Er wischte sich die Pranken am abgewetzten Lederschurz ab und rollte die massige Schulter aus, bevor er behäbig zum Hammer griff. Die durch blonden Bart gerahmten Lippen spickte er mit einer Reihe Nägel, um die losen Bretter zu einer Einheit zusammen zu zimmern, die wenigstens einen Golem halten sollte. In vier oder fünf Humpentiefen würde er die Brücke ausgehangen haben, dank Ronjas Unterstützung. Er arbeitete gerne mit ihr. Es war ein Glück, dass ihm das Klettern leicht fiel, sodass man den Dicken später am Tage einen halben Dolyak weit von der Klippe runterhängen sah, wie er sich daran machte, die Vertäuung anzubringen. Im Herzen die eisige Flur, im Brustkorb eine alte, nornische Weise, die dort für eine Weile nachklang.

    Der Schnitzer atmete gegen die drückende Umgebung im Gewölbe an, während er das Feuer vor der Schenke schürte. Die Schwüle nistete im abgewetzten Leder seiner Kluft, das er gewohnheitsmäßig eingefettet hatte. Der Norn schmeckte der Luft nach und blinzelte träge, während der Gletscherblick in seine schwieligen Hände abklappte. Er sehnte sich nach Schnee.


    Am Tag zuvor waren sie schnell mit der Erkundung des Eingangsportals voran geschritten. Nachdem er seine Axt Ronja und den beiden Asura zugesichert hatte, waren sie über die frisch verstärkten Hängebrücken zum Eingang gelaufen. Das Holz ächzte unter dem Gewicht der Golems, war aber stark und wenig spröde, sodass sie zügig das Portal erreichten. Er verstand zu wenig von den Mysterien der Maschinen. Den verworrenen Erklärungen der Asura konnte er selten lange folgen. Was er aber verstand, war: die Eindringlinge kamen zwar hinein, aber nicht hinaus. Er hatte deutliche Spuren eines Lagers der Drachendiener vor Ort gefunden, das wenigstens ein paar Tage alt geworden war. Später dann, am Feuer, erzählten Yvvin und Siina vom Grund ihrer Reise, von der Inquestur und den gefährlichen Versuchen mit der Verderbnis, die dem Schnitzer unverständlich blieben. Seiner Meinung nach konnte nichts Gutes daraus entstehen! Dann aber zog seine Aufmerksamkeit hinab in seine Hände.


    "Kein gutes Holz.", brummte er für sich und drehte ein Stück abgebrochene Planke zwischen den Pranken. Vormals hatte das zu dem zerstörten Boot gehört, das am Ufer zum Fuße der güldenen Brücke von der kleinen Gruppe von Flachländern gefunden wurde. Er glaubte, die Geister hatte sie leiten müssen, denn aus unerfindlichen Gründen ist das kleine Rudel wörtlich baden gegangen und darüber am Fundort des Bootes angespült worden. Die halbe Flanke davon war derart eingerissen, als wäre es von etwas mit schwerer Ladung erwischt worden. Auch machte der Schnitzer eine seltsame Vorrichtung am Heck aus, die aussah, als wäre daran etwas befestigt gewesen - vielleicht ein Antrieb? Es würde zu der Eigenart der Asura passen, Schwäche mit Maschinen zu kompensieren.


    Der Mundwinkel zuckte, als er sich an den schnellen Lauf der Wölfin erinnerte, die mit dem Seil in der Hand zum Brückensaum aufbrach, um einen Weg hinab zu sichern. Niemand läuft so schnell wie Ronja. Er selbst war nur langsam hinterher getrottet, das Stampfen des Golems im Ohr, in dem eine der Asura saß.


    Und Abends dann, als die Erzählungen von Erwachtenrüstungen und Mordrem des Schnitzer Geist nicht mehr bemühten, fragte er sich, wie lange der Vorrat vom Schwarzbier noch halten würde. Vielleicht würde er einen Abstecher nach Hause machen. Zu lange war ihm der Bart nicht mehr gefroren.


    Für die Erzählenden, Gesänge und Geschichtenschreiber.


    ~*~


    Die Pranke des groß gewachsenen Norn rüttelte prüfend an dem Holzgerüst, das sich parasitär auf das darunter liegende Bauwerk gelegt hatte. Ein Bauwerk, das so falsch golden schimmerte, wie es nur Aurillium konnte. Er hatte etwas dergleichen im Handwerksdistrikt von Hoelbrak gesehen, dem Zentrum der frostgewohnten Norn, das an der Schneegrenze zum Borealiswald lag. Dort holte er sich einst metallurgischen Rat, damit eine seiner prächtigen Schnitzereien mit etwas Goldglanz geschmückt werden konnte, ohne, dass er direkt zu dem weichen Metall greifen musste. Thoran wollte etwas mit mehr Bestand. Etwas, aus dem Städte gebaut werden konnten. Eine daumennagelgroße Probe Aurillium reichte, um die Pupillen seiner in Holz getriebenen Wolfsfratzen gülden schimmern zu lassen. Er hatte einen wertvollen Holzschnitt dafür eintauschen müssen, der ihn Wochen an Arbeit gekostet hatte, aber das war es wert gewesen.


    Jetzt auf den zum Teil frei gelegten Ruinen aus purem Aurillium zu stehen, beeindruckte den Norn. Er bemaß anerkennend die kunstvoll gehaltenen Frakturen aus gezirkelten Linien und geometrischen Einschnitten auf den Säulen und den instand gebliebenen Überresten der Ruinen, - sofern sie durch die Gerüste der Inquestur nicht verdeckt wurden und bereits aus dem Stein geholt worden waren.


    Er stutzte, als er an einem der unheilversprechenden, magischen Steine hängen blieb, die über den Ruinen an bestimmten Punkten schwebten. Die sylvarischen Forscher hatten sich mit einer Faszination darauf gestürzt, die dem Bannschnitzer abging. Der Gletscherblick des blonden Norn verengte sich. Ganz eindeutig verflucht. Man sollte diese Dinger vom Himmel holen, bevor daraus das Unheil abregnen konnte.


    In der Ferne erkannte er das gespannte, exotisch wirkende Segel, das schon bessere Tage gesehen hatte. Irgendwie deplatziert, wie es am Klippenrand der begehbaren Felsnadeln hing, die über schwankende, mäßig stabile Holzbrücken miteinander verbunden waren. Löcher und Risse hatten das gewachste Segelleinen angegriffen, die intakten Teile jedoch? Er wollte versuchen sich das später noch einmal anzusehen, um davon etwas zu retten, bevor die Überreste barsten und hinab stürzten. Vielleicht könnte er das Schiffsbauerholz des Segelrahmens nutzen, um einige der maroden Brückenteile notdürftig zu ersetzen. Wie auch immer es ein Schiff da hinauf hatte schaffen können.


    Mit den Zähnen entkorkte er den Trinkschlauch und schmeckte etwas Heimat durchs Dünnbier nach, bevor er sich schmatzend umwandte und dem Lager zustapfte. Die Vorstellung an den aufgespießten Mordrem zurück zu müssen, ließen den Bär kehlig knurren. Seiner Meinung nach gehörte diese Verderbnis verbrannt, auch, wenn Ronja sicherlich Recht behalten sollte. Dies war die Legende der Pflanzen. Und damit unterlagen diese Leichen ihrem Urteil.


    Er warf einen Blick hinauf, dort, wo die einzige echte Lichtquelle das steinerne Gewölbe aufbrach, bevor er sich daran machte ein Lager aufzuschlagen.Der Bär hatte nämlich vor allem eines: Hunger! Und hatte er nicht sogar irgendwo ein kleines Fass mit dem guten, keryaster Schwarzbier dabei?