2 | Geschichte
Die Händlergilde Varathor
Über die Zeit vor dem Aufstieg in den Adelstand finden sich bescheiden wenig Aufschriebe, weshalb nur geringfügig historische Begebenheiten über die Händlergilde überliefert worden sind. Als sicher gelten jedoch die Wurzeln des heutigen Adelsgeschlechts der Varathor, begründet in einem Verbund von Händlern.
Die vereinzelten, Jahrhunderte alten Überlieferungen die noch zu finden sind, berichten von zwei aufstrebenden, jungen Brüdern, die vor allem mit dem Geschäft von seltenen, luxuriösen und knappen Gütern Handel trieben - Zielkundschaft war die gehobene Gesellschaft, der Adel und nicht zuletzt die Krone selbst. Die Fähigkeit unter Einsatz von Risiken exklusive Waren beschaffen zu können, sorgte schnell für positive Mundpropaganda, die unter anderem davon sprach, den Adel vollumfänglich bedienen zu können, und selbst die extravagantesten Wünsche erfüllte.
Die dadurch entstandenen Beziehungen zu den Höchsten der Gesellschaft nutzten die Brüder um das Geschäft auszubauen und wirtschaftlich zu verbessern. Erste Schritte in den organisierten Handel waren damit getätigt.
Über die Jahre hinweg begann die harte Arbeit von der Steigerung der Effizienz, Warenbeschaffung, bis über die Veredelung der Produkte, um nach mehr Erfolg zu streben. Weitere Händler schlossen sich an und die Arbeit der Brüder trug Früchte.
Die geschickte Vernetzung von Produktionsstandorten, Händlern und Dienstleistern führte schließlich zur offiziellen Gründung der Händlergilde Varathor. Dieser Name stand nun repräsentativ für den Einfluss auf die Warenbewegungen, sowie Preisgestaltungen und wurde schon bald zu einer mächtigen, wirtschaftlichen Waffe.
Mit unerbittlichem Ehrgeiz und die durch Macht erlangte Habgier, begannen die Brüder die vergünstigten Preise nicht mehr an den Kunden weiter zu geben, während sie den unteren Gliedern der Warenverkettungen vermehrten Preisdruck auferlegten. Ebenso begannen sie künstliche Warenknappheit zu simulieren, um die Erträge zu erhöhen. Die Erträge dieser Strategie flossen in die eigene Tasche der Brüder, die unangefochten die Vorsitzenden der Händlergilde blieben und die Führung über Generationen hinweg an die Erben der Familie weiterleiteten.
Aufstieg in den Adel
Mit der fortlaufenden Ausdehnung der Kontrolle und des Einflusses wuchsen Glanz und Glorie der Händlergilde unaufhaltbar an.
So verrichtete die Händlerfamilie immer weniger die alltäglichen, einfachen Aufgaben und überließ diese vorzugsweise Angestellten. Ihr Fokus richtete sich auf die eigentlichen Machtelemente: Beziehungen zur Krone, dem Adel und anderen bedeutungsvollen Gesellschaften. Das Ziel war nun den Reichtum zu mehren, indem der Einfluss der Familie in Politik und Gesellschaft ausgenutzt wurde. Kein Vorteil blieb ungenutzt: Steuervergünstigungen, vereinfachte Handelsbedingungen und Aufhebung von Beschränkungen bei speziellen Gütern wie zum Beispiel Pelz.
Das bedeutsamste Ereignis in der Geschichte der Varathor, war der mit Intrigen gepflasterte Weg zur Erhebung in den Adel.
Noch heute wird den kleinen Varathor-Kindern die Geschichte zugetragen, wenngleich diese von Generation zu Generation weitergesponnen wird und ihr tatsächlicher Wahrheitsgehalt kaum zu ermitteln ist.
Die Geschichte beginnt im früheren Götterfels, als die Stadt in ihrer Blüte war und einen wirtschaftlichen Aufschwung erlangte. Doch eines nachts, kurz vor der alljährlichen Kornernte, entflammte ein riesiger Brand auf den Feldern Shaemoors und breitete sich über das gesamte Königintal. Man sprach von Zentauren, von Unwetter, Blitzen und Monstern. Es war furchtbar, denn das Korn war von großer Wichtigkeit: fast der gesamte Anteil der Götterfelser Brot- und Teigwaren wurde durch dieses Korn genährt. Die Bevölkerung war in großer Sorge, bezüglich der kommenden Jahreszeit des Kolosses, da Brot als wichtigstes Nahrungsmittel besonders für die unteren Gesellschaftsschichten unentbehrlich war, und es das Jahr über bereits ungewöhnlich an Backwaren in der Stadt mangelte. Auch die wohlhabende Bürgerschaft war betroffen, aber bei weitem nicht in diesem Ausmaß. Den Engpass der Nahrungsmittel schrieb man dem starken Bevölkerungswachstum zu, doch der wahre Grund war ein anderer.
Das kindergerechte Ende für die Geschichte, findet sich in einer ehrenvollen Tat der Familie Varathor, die das Korn aus ganz Tyria einfahren lässt und der Stadt Götterfels für einen einzigen Kupferling der Krone überlässt. Für die Selbstlosigkeit, den Edelmut sowie der Barmherzigkeit, wird die Familie Varathor in den Adelstand erhoben.
Dass die Geschichte in der Kinderversion abgeändert wurde, liegt wohl in dem Umstand begründet, dass die wahre Begebenheit weit weniger ehrenhaft und herzerwärmend ist. Die Varathors selbst hatten für eine künstliche Verknappung des Korns gesorgt, indem sie über Strohhändler das verfügbare Korn der umliegenden Bauern aufkauften und in eigenen Hallen lagerten, bis diese bis an die Decken mit dem Korn gefüllt waren. Dem Verständnis von Wirtschaft, vom Verbrauch der Stadt und der Haltbarkeit der Waren, ist es zu verdanken, dass die Varathors genau wussten, wie viel Korn wohl nötig sein würde. Auch der Brand in der Nacht war kein Unheil der Götter, sondern von langer Hand geplant.
Gerüchten zufolge geht man davon aus, dass die Krone durch eine Forderung genötigt war den Aufstieg in den Adel auszusprechen um die Bevölkerung vor dem Hungertod zu bewahren.
Zeiten des Glanzes
Mit dem Aufstieg in den Adel begannen ein neues, außerordentliches Zeitalter für das Adelshaus Varathor. Man war ohnehin mit Reichtum gesegnet und befand sich in der hervorragenden Position und ertragreicheren Geschäften als je zuvor. Nach der Auflösung der Händlergilde wurden sämtliche Strukturen auf das neuentstandene Adelshaus übertragen.
Die Familie begann sich zu positionieren und wählte den Wolf als Wappentier, der die königlichen Wälder der Heimat mit seiner Anwesenheit zierte. Der Wolfskopf repräsentierte die Stärken der Familie und ist das Symbol der Heimtücke, des Zusammenhalts und des ewigen Kampfes, um den Platz an der Spitze. Ein gefährliches Rudeltier.
In den darauffolgenden Generationen wandelte sich die früher bürgerliche Familie zu einem stolzen und starken Adelshaus. Der Handel blieb als Schwerpunkt erhalten und war weiterhin von äußerster Wichtigkeit im Bereich Politik und Wohlstand.
Die zugesprochenen Ländereien wurden lukrativ genutzt, die Familie investierte viel Gold und weiterer Reichtum ließ nicht lange auf sich warten.
Auch das Erscheinungsbild der blaublütigen Varathors entwickelte sich durch die wachsende Selbstsicherheit weiter: Stolz, Hochmut und Gier infizierten die Familie.
Viele Jahre später zählten die Varathors zu den konservativsten innerhalb des Adels. Die Bindung zum einfachen Bürgertum war schon lange nicht mehr existent, die Geschäfte wurden exklusiver und der Handel mit einfachen Gütern eingestellt.
Auch hatten sich Traditionen im Haus entwickelt und die Führung an den ersten männlichen Erben weitergegeben, während das weibliche Geschlecht fortan vermehrt für damenhaftere Aufgaben beauftragt wurde und eine gute Ehefrau abgeben sollte.
Beschneidung der Adelsrechte
Doch alles änderte sich, als die Krone entschied, dass die Adelsrechte beschnitten werden sollen. Das Lehenswesen wurde aufgelöst, Sonderrechte entzogen und die Titel waren nicht länger von hoher Bedeutung. Ein tiefer Schlag für die Geschichte des Adels.
Der damalige Erbe reagierte jedoch zügig: kleine Teile der Ländereien der Lehenswesen wurden wieder aufgekauft und somit zu Grundbesitz gemacht. Der Großteil jedoch ging verloren. Die Erträge die aus dem Lehenswesen durch Pachten, Abgaben und derlei entstanden, waren nichtig im Vergleich zum Ertrag durch den Handel.
Und genau auf diesen lag weiterhin das Augenmerk der Familie. Mit dem Wegfall von Vorzugsrechten und der deutlich erschwerten Situation im Umgang mit der Politik, entstand eine völlig neue Situation - der Adel verlor an Wert, der Einfluss in der Politik musste neu strukturiert werden und die Machtstellung zurückerobert.
Am wichtigsten für diese Zeit gilt es aber festzuhalten, dass das Haus wie kaum ein anderes an seinem Stand festhielt. Wenngleich die Rechte nicht mehr dieselben waren, hielten die Varathors an ihrem altmodischen Denken, an ihrer konservativen Haltung und an ihren Traditionen fest.
Die letzten Jahre
Für das Haus Varathor waren die letzten 15 Jahre ganz und gar keine Glanzzeit. Fürst Kristoff, amtierender Hausherr dieser Zeit, führte das Haus nur bedingt mit Erfolg. Er lebte recht zurückgezogen und die die Familie besaß kaum Präsenz in der Adelsschicht Götterfels'. Seine Frau Anna-Lisa starb nur wenige Jahre nach der Heirat durch eine unglücklich verlaufene Schwangerschaft, bescherte ihm jedoch reichlich Kinder. Kristoffs Stärken lagen weniger in den förmlichen Gefilden des Adels, auch nicht in politischen Kreisen sondern beruhte sich auf die Organisation des Handels. Seit langer Zeit war ein Fürst wieder konzentriert auf den Handel, der bereits in seiner Jugend bedeutend mehr Interesse an den wirtschaftlichen Vorgängen zeigte, als für den gesellschaftlichen Stand.
So verlor das Haus seit dem Beginn von Kristoffs fünfundzwanzigjährigen Herrschaft an Bedeutung in wichtigen politischen und adeligen Kreisen, erlebte jedoch wieder einen wirtschaftlichen Aufschwung. Alaric und Samantha, die ältesten Kinder, wurden daher auch schon früh an die Seite des Großvaters, Arthur Varathor, geholt, um zu verhindern, dass Kristoff alte Traditionen in Vergessenheit geraten lassen könnte. So wurden die beiden Geschwister von Großvater und -mutter erzogen, anstatt vom Vater selbst, der vorzog Handelsverträgen nachzueifern.
Alaric, der Erstgeborene, war bereits standesgemäß verheiratet war und einige wunderbare Kinder zu Welt gebracht hatte, zerstritt sich mit seinem Vater immer mehr. Alaric wollte als nachfolgender Erbe mehr in die Geschäfte einbezogen werden, sowie die Verbindung zum Adel wieder herstellen. Kristoff lehnte all das ab. Nachdem der Fürst ihm jede Weisungsbefugnis, jeden Handlungsspielraum genommen hatte und ihm jede Einsicht in die Geschehnisse um die Geschäfte verweigert hatte, zog sich Alaric vermehrt zurück. Er begann seinen Frust und seine Wut, in Alkohol zu ertränken. Es dauerte nicht allzu lange, bis Alaric sich von der gesamten Familie distanziert hatte. Er wurde ein Trinker, besuchte täglich das Freudenhaus und nahm sich jede willige Frau, die er finden konnte. Valeria - die Gattin des Erbens - ertrug die Schmach und Demütigung ihrer Person. Zu Anfang zumindest.
Jahre später erkrankte Kristoff schwer. Ein schleichender Schrecken unbekannter Natur hatte ihn ergriffen und verunstaltete Gesicht und Körper fortlaufend. Der Fürst zog sich zurück, und somit das gesamte Adelshaus. Alaric und Samantha konnten auch hier nicht überzeugen zumindest Teile des Geschäfts an den Sohn zu übertragen.
Alaric hatte sich zwar nach einigen Jahren im Griff, sein Verhältnis zu Valeria war aber nicht besser geworden. Er gab sich keine sonderliche Mühe, pflegte jedoch wieder häufigern Kontakt zu seinen Kindern, allen voran zu seinem Sohn, Caius Varathor.
Samantha hingegen konnte nicht anders, als den Verfall ihres Vaters und Alarics Depression mit anzusehen. Sie unterstützte zunehmend Valeria, in der Erziehung der Kinder.
Ein weiteres Ereignis erschütterte die Familie erneut. Den Beginn fand der aufziehende Sturm in der Tatsache, dass sich Valeria zunehmend über Alaric ausließ und sich bei diesem über sein dekadentes, unanständiges und untreues Verhalten echauffierte. Alaric ignorierte die Worte und den Tadel seiner Frau. Die Bindung zwischen den beiden war stets unter einem schwachen Stern gestanden, es war eine, wie im Hause übliche, politische Heirat, die Großvater Arthur arrangiert hatte.
Später stirbt Valeria, nachdem sie von Alaric fortgeschickt wurde, bei einem Überfall während des Wegs zum Landwesen. Samantha kümmert sich nun vollständig um die Kinder.
Die Trauer um den Tod seiner Frau fiel recht schmal aus. Einzig Samantha und die Kinder, sowie der Fürst selbst, betrauerten das Ableben der Frau.
Nach der Trauerzeit entschied Alaric Samantha mit den Kindern auf ein weiteres Landwesen zu schicken, um dort eine Zeit zu verweilen. Die folgenden Jahre hielt sich Alaric von ihnen fern. Er selbst begann mit seinem Sohn, zu dem er zwischenzeitlich ein gutes Verhältnis aufgebaut hatte, das dekadente Leben in gewohnter Manier fortzuführen.
Fürst Kristoff erlag nach langen Jahren der Qual seiner Krankheit. Am selben Tag noch übernahm Alaric seinen Platz als neuer Fürst. Er plante umfassende Strategien: die Rückkehr des Hauses in den Adel Götterfels' und in die Gesellschaft.
Eine erneute Zusammenführung der Familie wurde wegen Repräsentationszwecken unternommen. Zweifelsfrei war dies ein großer Schritt, denn er würde sowohl seine Töchter und Söhne, als auch Samantha zu bedingungsloser Loyalität überzeugen, oder gar zwingen müssen.
Bereits kurze Zeit nach der Wiedervereinigung der Varathors durfte das Haus einen erneuten Rückschlag kundgeben. Alaric erkrankt, wie zuvor sein Vater, sodass es ihm nicht möglich war sich um die Belange der Familie zu kümmern. Er reiste in Begleitung seiner Schwester, der ältesten Tochter Tana und der Majordomus Erya Satine, zum Landanwesen, um sich dort auszukurieren.
Da Alaric nun nicht mehr zugegen ist, fiel der Posten der Hausleitung nun dem Erbgrafen Caius in die Hände. Jener versucht nun mit strenger Führung das Haus mit gleicher Stärke und Zielstrebigkeit wieder an die Spitze zu führen.