Petos und Tulli, geboren am gleichen Tag
Von einem Holz, Geschwister vom gleichen Schlag
Teilten sich alles, bis auf's Geschlecht
Sie hatte Brüste, er das Gemächt
Doch schied sie kein Gramm beim Gewicht,
Nicht Größe und erst rechtens Stärke nicht!
Es kam der Tag ihrer ersten Jagd
Ein Schneetreiben, bei dem so mancher verzagt
Ein treuer Begleiter, ein Schluck warmer Met
Sind die besten Gefährten, wenn zur Jagd man geht.
Der Sturm verdeckte den beiden die Sicht.
Mancher gab auf, doch Tulli und Petos kneiften nicht!
Der Schnee bildete Hauben auf ihren Köpfen
Der Wind fror ihr Haar bis zu den Zöpfen
So zogen sie schier unendlich ihre Spur in den Schnee
Da trat zwischen den Tannen aus dem Schatten ein Reh
Es stand in dem Treiben, in einem kleinen Flecken Licht
Zögerte - doch Tulli und Petos zögerten nicht!
Sie schossen die Pfeile, der Jung' und das Mädel
Der Leib blieb den Wölfen, die Trophäe - den Schädel
Hielt Tulli fest in der Hand
Als Zeichen der Ehre, der Geschwister Band
Doch die Kinder erschraken, wie 'was durch's Unterholz bricht
Die Jagd war zu Ende, die Geschichte noch nicht!
Aus den Nebeln sah man sie zieh'n
Von allen Seiten - sie konnten nicht flieh'n!
Svanir! Donnerte in ihnen das Wort
Da trug man sie samt ihrer Beute schon fort
Im Lager der Svanir mussten sie sehen
Wie sich diese an ihrer Beute vergehen
Das Blut des Tieres, für die Geister geschossen,
Wurde in Schreine des grausigen Drachen gegossen
Ehre dem, der der Beute für die Geister verzicht!
Doch dem Drachenanbeter gebührt dies Ehre nicht!
Die Kinder, sie zitterten, wähnten ihr Ende
Noch unbeachtet, hielten die Hände
Da wand die Menge sich ihnen zu, begann zu schwätzen
Leise zu Tuscheln - ihren Wert einzuschätzen
Da sprach einer der Hühnen das grausig Gericht:
"Den Jungen nehmen wir, das Weib aber nicht!"
"Werft sie hinaus!", sprach er mit einem Lachen
"Wollen wir sehen, ob Geister über sie wachen!"
Man zog Tulli fort, sie sah man erbleichen
Was auch passiert, wollt' dem Bruder nicht weichen!
Tod dem, der solche Ketten bricht!
Den Bruder nahmen sie, doch Tulli nicht!
Hoch oben auf den Zittergipfeln
Zwischen verfror'nen Tannen, schneeweißen Wipfeln
Stand Ylva, auch Tulli genannt
Den Schädel des Rehs fest in der Hand
Die kalte Böe umtanzte ihr Gesicht
Ihr sang sie, dem Bruder aber nicht!
Es ist nicht viel bekannt, es erzählt auch kein Reim
Wie es geschah, doch: Tulli fand heim.
Das Dorf war voller Sorge, ein jeder kam zu ihr her
Ihre Mutter hat zu den Geistern gebetet, doch wurde ihr Flehen noch mehr
Als Tulli mit blauen, vereisten Lippen spricht:
"Ich konnte fliehen, doch der Bruder nicht!"
Es war geschehen, es war vorbei
Nur Tulli blieb von den Geschwistern zwei
Die Trauer hinterließ ihrem Herz eine Kerbe
Doch trat sie an des Bruders Erbe:
Als Krieger, der für Haus und Hof ficht.
Von der Jagd blieb nur der Schädel, doch der geliebte Bruder nicht.
So zogen Jahr und Tag ins Land
Um Tullis Hals, am festen Band,
Der Schädel, der ihr einziger Gefährte war
Auf Kriegers Wegen, Jahr um Jahr.
So zog durch die kalten Wälder dicht
Die einsame Kriegerin. Sie beklagt ihr Schicksal nicht. // Eine einsame Kriegerin, doch beklagt sie ihr Schicksal nicht
Bis eines Tages, sie kam vom Jagen,
Von Weitem schon vernahm sie das Klagen
Sie rannte zu ihrem Heim, das in Flammen schon stand
Svanir! Sie hatten feige das schutzlose Dorf überrannt!
Da blickte zu ihr so ein gefrorener Wicht.
Sie erkannte ihn, doch wollte es nicht!
Ihr Bruder, von Kopf bis Fuß gefroren
War nicht tot - schlimmer! - an die Svanir verloren!
Sie zogen zugleich je ihren Bogen
Spannten die Sehnen, die Pfeile, sie flogen!
Doch nur einer traf schwer ins Gewicht
Tullis Pfeil traf, Petos Pfeil nicht!
Petos und Tulli, geboren am gleichen Tag
Von einem Holz, Geschwister vom gleichen Schlag
Teilten sich alles, bis auf der Geister Recht
Und Jormag führt seiner Kinder Pfeil' schlecht!
Der Pfeil zerbarst sein gefrorenes Herz
Endlud auf einen Schlag der Schwester Schmerz
Er erlag des Drachen Fluch an jenem Tage
Und so endet hier die Geschwister-Sage.
Ihr erwartet sicher, was noch kommen muss,
Es fehlt die Moral, der Strophe der Schluss.
So hört:
Ylvas Namen singe ich, den ihres Bruders aber nicht!
Denn PETOS heißt VERRAT! Aber TULLI heißt PFLICHT!