Athes saß diesmal nicht im Nest, obwohl er sich im Einsturz befand. Er lehnte auf einem der etwas baufälligen Dächer eines halb eingestürzten Gebäudes, in seiner Hand eine Spielkarte, die auf der einen Hälfte einen Gaukler zeigte, während auf der anderen Hälfte nur das Bild des Tod-Karte aus einem Tarotspiel zu sehen war. Mit einem etwas verträumten Gesichtsausdruck ließ er die Karte zwischen seinen Fingern hin und herschwenken, ließ mal das eine, mal das andere Bild unverdeckt, ehe er sie zu den anderen Karten auf die leere Seite seines Tagebuchs legte und anfing zu schreiben.
Tagebucheintrag vom 322ten Tag, Songtahn, 1325 NE
Das Leben in Götterfels ist ein Spiel und jeden Tag werden die Karten neu gemischt, Einsätze erhöht und jeden Tag steigt jemand aus der Runde aus und neue setzen sich an den Tisch. Vorgestern haben wir ein risikoreiches Blatt gespielt – und gewonnen. Ein kleiner Tipp von einem Freund, der mir ohnehin noch etwas schuldet, ein kurzer Ausflug nach Shaemoor mit Nell, Ace und Ley.. und wir lassen nichts zurück, außer einen toten Händler und haben selbst dafür ein paar Waffen, Felle und eine Goldstatue erbeutet. Ace hat den Leibwächter getötet. Erstaunlich. Vielleicht höre ich als Belohnung auf, ihn als Mädchen anzusprechen. Wie wir die Felle und Waffen loswerden, weiß ich noch nicht genau, vielleicht spreche ich Kor deswegen mal an. Ein erfolgreicher Abend jedenfalls, anschließend hat der junge sogar noch etwas mit uns getrunken und Karten gespielt, im Flaschenhals. Unfassbares Glück gehabt und mit der letzten Runde allein 50 Kupferlinge gewonnen, so sollten die Spiele stets laufen, aber gut ... das Glück hat man nicht immer.
Gestern war ein ebenso interessanter Abend und zumindest der Anfang war sehr erfreulich. Der letzte Teil, indem wir mit dieser Norn reden mussten, war eher unerfreulich. Die Norn war Jali und wir bestanden aus Lair, Nell und mir. Es ging – natürlich! – um die Charr. Warum wir sie denn nicht einfach dulden und als Freunde willkommen heißen könnten, sie wären ja so wichtige Bündnispartner und wir müssen ja alle vereint stehen, blah, blah, blah. Das übliche Gewäsch. In Götterfels gibt es keinen Drachen, kein Grund für die Charr also hier rumzuhängen. Mögen sie unseren "Gemeinsamen Kampf" doch bitte an einer Front austragen und nicht in unseren Wirtshäusern. Aber das ist etwas, was über den Horizont der Norn hinausging. Ist eben nur eine Norn.
Seis drum. Der erste Teil des Abends war immerhin ausgesprochen angenehm. Auch wenn ich bei diesem Spiel aufpassen sollte, welche Karte ich auspiele und wann ich meinen Einsatz bringe, sonst könnte sie dafür sorgen, dass mir das ganze Spiel aus der Hand gleitet und im Grunde liebe ich es doch, die Karten in der Hand zu halten. Ich bin gespannt, wie lange es zu unserem nächsten Treffen dauert. Immerhin hat sie noch eine meiner Karten. Und der erste Einsatz wurde auch schon gebracht: Ein Kuss, kurz aber süß und mit dem Duft einer ganz besonderen Blume.
Auch wenn ich diesen leichten Schokoladen-Geschmack vermiss
Mit gerunzelter Stirn steckte Athes wieder den alten Kohlestift ein, nahm den Kartenstapel mit den falschen Spielkarten und schloss sein Tagebuch. Als er langsam von den alten Trümmen des Daches stieg geriet er jedoch kurz ins Straucheln und stolperte den letzten Teil des Weges hinab, ehe er sich wieder auf festem Grund wiederfand. Erst dann bemerkte er, dass ihm eine paar Karten aus der Hand gerutscht waren und ein etwas gequältes Lächeln schlich sich auf seine Lippen, als er die rote Herzdame aufhob.