Sie lag noch immer wach, während draußen schon der Morgen graute und sah sich selbst in die Augen. Auf die Distanz hin, war ihr Spiegelbild unklar, das raubvogelhafte Gold aber zu erkennen. Sie erkannte ihre dunkle Haut, die Zeichnung ihrer Linien und das Hell ihres ungewöhnlich blonden Haars, von dem jeder annahm, dass sie es sich bleichte. Neben ihr die Ausbuchtung eines Männerkörpers unter dem dünnen Laken. Ein leises Schnarchen, hier und da ein tieferer Atemzug unter schweren Träumen, was sie lächeln ließ ohne dort hinsehen zu müssen. Gerade war sie auf die unscharfen Züge ihres eigenen Gesichts fokussiert. Freundlich starrte sie auf sich selbst zurück und ein Lächeln teilte die Lippen. Der Spiegel über dem Bett schien ihr allmählich tatsächlich immer mehr zu gefallen. Fraglich ob sie ihm erlauben würde ihn nochmals abzuhängen. Auch wenn es mehr als eine Überraschung gewesen war, als sie ihn dort entdeckte. Sich jetzt, heimlich so zu betrachten war etwas ganz anderes, als wenn noch ein zweiter wusste, dass man dies tat. Man bekrittelte sich jetzt ganz schamlos, ohne verbale Einmischung. Man konnte sich frei und offen im Geiste seiner Schwächen bewusst werden und zugleich seiner Stärken. Oh, Khea wusste ob ihrer Stärken an ihrem Körper. Und gewiss gab es da auch in ihrem Köpfchen die ein oder andere starke Seite, welche es doch irgendwie fertig brachte immer weiter zu machen, selbst wenn man ihr mit Stöcken gegen die Beine schlug und sie zu Fall brachte. Ihr Herz hatte über die letzten Monate viel erduldet. Und sie war sich klar, dass in Zukunft noch viel, viel dazu kommen würde. Doch es war ihr gelungen noch immer lächeln zu können. Ein Lächeln mit tiefen Grübchen, die in ihre Wangen schnitten, wenngleich sie diese im Spiegel nicht mehr sehen konnte.
Seufzen begleitete das Tun ihres Starrens. Eine Hand legte sich über das rechte Auge, dann über das Linke. Das Bild wandelte sich von leicht unscharf zu gänzlich verschwommen. Sie wiederholte die Prozedur. Und innerlich wappnete sie sich gegen die Erkenntnis, die ihr ohnehin die ganze Zeit klar gewesen war. Wie lange es wohl noch brauchen würde? Monate? Jahre? Sie könnte natürlich die Heilerin fragen, doch Khea war kein Mensch, die sich ihrer Schwächen wegen Gedanken machte. Sie sah nach vorn und erwartete was da käme. Und je nachdem was getan werden musste, so würde sie handeln.
Ohne Augen würde sie eben etwas anderes tun. Und wenn sich das Leben in weitere, engere Bahnen zog, dann würde sie auch da entsprechend reagieren.
Unbewusst glitten ihre Kuppen über den flachen Bauch. Nachdenklich schloss sie die Augen vor dem eigenen Angesicht, als sie sich zurück erinnerte an die Freude und das Gefühl von Angst, als sie glaubte, dass dort mehr wäre als nur sie. Ein Irrtum wie sich heraus stellte. Und doch trauerte sie leise etwas nach, was nicht einmal existiert hatte. Höchst belustigend. Höchst amüsant. Auch wenn sich Khea gerade kein Lachen erlaubte. Vielleicht um den Schlummernden neben sich nicht zu wecken. Stattdessen öffnete sie wieder die dichten, seltsam dunklen Honigwimpern und verfiel neuerlich mattem Starren. Worte des letzten Abends durchfluteten ihren Kopf in zuckriger Manier und brachte ihre Wangen zum Glühen. Ob bewusst oder unbewusst, so hatte er Hoffnung geschürt. Hatte zu vage auf eine ihrer Aussagen reagiert, welche sie für sich nun weiter sponn und sich im Kopf Dinge ausmalte, die noch sein würden. Die sie sich insgeheim erhoffte, wenngleich sie ebenso geduldig warten konnte, wie einer dieser südlichen Fische, der sich im Schlamm eingrub um auf den Regen zu warten.
Kheas Gedanken hüpften. Eine Hand glitt seitlich zu dem aufgetürmten Deckenwust und Kuppen glitten sanft durch dunkelbraunes Haar. Ein Brummen war die Antwort und ein Schnaufen. Ihr Lächeln vertiefte sich, als sie die Pfote wieder zu sich nahm und in den Spiegel sah. Was genau passierte, sie wusste es hinterher nicht. Schob es wohl auf ihre Wachträume, auf ihre Gedanken, oder darauf, dass er den Spiegel zu fest an die Wand angebracht hatte.
Es muss der Augenblick eines Blinzelns gewesen sein. Ein Niederfächern der Wimpern. Das geschmeidige Aufschlagen der langen Bögen, dann ein leises Geräusch. Das Gefühl, dass alle Uhren stehen blieben auch die kleine auf seinem Nachttisch. Und dann zog sich ein langer, dünner Riss durch den Spiegel, ohne dass er zerbrach. Plötzlich war er da. Von einer der Ecken ausgehend, zog er sich über die gesamte Diagonale und mit einem male war es ihr als blickte sie einem älteren Paar Augen entgegen, die ihren nicht unähnlich waren. Liebevolle und strenge Augen. Resolute und sture Augen. Stoisch. Tiefbraun und dunkler als die Ihren aber nicht so tiefschwarz wie die Leos.
So schnell der Eindruck gekommen schien, so schnell verblasste er auch wieder. Zurück blieb der Riss im Glas und das Wissen, dass ihre Mutter soeben gestorben war.
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