Aufbruch

[...]"Ela, meine Kleine, iss eine Gleinigkeit, dann wirst du wieder ganz stark und darfst auch wieder mit Livia spielen." Besorgt strich der Mann dem kleinen, blassen Mädchen über die vom Fieber glühende Stirn während er sie sachte in den Armen wiegte. Sein nussfarbenes Haar, einst gekämmt und gut gepflegt, hing ihm nun in einzelnen Zotteln in das müde Gesicht. Seine dunkelblauen Augen huschten beunruhigt durch den Raum. Der Putz an den Wänden blätterte bereits ab, es war stickig und klein. Auf dem wackeligen Tisch neben ihm stand eine kleine Schüssel mit Brei. Wieder einmal hatte das Kind nur wenige Bisse runter bekommen, nicht genug, als das sie gesund werden könne.
Er seufzte ermattet. Die Reise, die Krankheit der Tochter und der Stress haben ihn altern lassen. Dunkle Ringe zeichnen sich unter seinen Augen ab, die Mundwinkel, einst fröhlich lächelnd, hingen nun schlaff herunter, die Stirn lag in Falten.
"Na komm, gehen wir mal etwas an die frische Luft. Was sagst du, Nori? Zu Mama und Livia?" lächelnd strich er der Kleinen über das kupferne Haar. Als Antwort bekam er ein müdes Nicken von ihr. Der Vater lächelte sanft, küsste ihr auf die Stirn und erhob sich langsam mit dem Kind im Arm.


Draußen patroullierten vereinzelt Seraphen auf den Straßen und Wehrgängen, die Bürger der kleinen Siedlung scherten sich nicht um den Vater mit dem kranken Kind im Arm, sie gingen stattdessen geschäftig ihrer Arbeit nach. Der Mann steuerte auf den Schatten von einem der zahlreichen Apfelbäume zu, welche in der leichten Spätersommerbrise raschelten. Dort saß bereits eine junge Frau und flickte ein Wams. Sie wirkte genau so müde und ermattet wie der Vater. Sie blickte zu den Beiden, als sie langsam näher kamen
"Sie hat wieder kaum etwas gegessen." eröffnete er das Gespräch und setzte sich vorsichtig neben die Frau ins Gras, das Mädchen an sich drückend.
"Wenigstens etwas, das ist ein Anfang." seufzend lässt sie das Wams in den Schoß sinken.
"Veronika, wir müssen bald weiter. Hier ist es nicht sicher für die Kinder. Nicht mit diesen Viechern die ständig angreifen." Seine dunklen Augen waren auf die Frau gerichtet, musterten sie besorgt. "Außerdem könnte dieser Typ hier jederzeit auftauchen."
"Ich weiß, aber bei Elanors Zustand...sie ist doch so klein und dürr. Löwenstein ist noch zwei Tage weit, ja, aber wir müssten dann draußen Schlafen oder keine Pausen machen. Das wird sie nur noch mehr gefährden." Ihre Augen und Wangen waren gerötet vom vielen Weinen und dem Schlafmangel. Müde lehnte sie sich an die Schulter ihres Mannes und strich sich eine kupferne Strähne hinter das Ohr.
"Ich weiß Liebling. Aber wir müssen dieses Risiko eingehen. In Löwenstein wird dann alles besser. Dort gibt es gute Ärzte die sich um Ela kümmern, Livia kann endlich richtigen Schwertkampf lernen, ich werde einen guten Beruf haben. Alles wird besser sein als das hier und auch besser als Götterfels. Er wird uns nicht finden. In Löwenstein sind wir endlich sicher." Er legte das kranke Kind vorsichtig auf seinen Schoß, ehe der den Arm um seine Frau legte und ihr einen Kuss auf den Kopf gab.
"Mama, Papa, guckt mal, ich habe von dem Mütterchen dort hinten einen Laib Brot geschenkt bekommen!" Freudig grinsend kam die Ältere der beiden Töchter zu den drei unter dem Baum gelaufen, im Arm hielt sie ein halbes Brot in ein Tuch gewickelt.


"Guck mal Nori, das ist noch ganz warm und lecker!" Die große Schwester brach ein Stück ab und gab es dem jüngeren Kind. Sie zog sie daraufhin zu sich und half ihr beim essen. Durch die Luft und die familiäre Nähe gestärkt aß das kranke Mädchen dann auch ein wenig.
"Pass bitte auf, Livia, sie ist noch nicht wieder so stark." Mahnte die die Mutter, wurde jedoch sanft von ihrem Mann unterbrochen, der sie nur näher zu sich zog.
"Schau, wie Livia sie stärkt. Zusammen schaffen wir es bis nach Löwenstein. Schließlich haben wir es ja schon bis hier her gebracht." lächelnd blickt er auf die besorgte Mutter herab.
"Zusammen, ja. Du hast Recht Louis." Sie erwiderte sein Lächeln und zusammen beobachteten sie ihre Töchter, wie sie spielten, rumalberten, die Angst der Flucht für eine kurze Zeit vergaßen.