„Seh ich dich morgen noch hier, bring ich dich um.“
Die Männer verließen den Verschlag und traten ins östliche Marktviertel hinaus.
Leon atmete durch, zog seinen gesunden Arm zurück und sprach mit Adrian, ohne ihn anzusehen und ohne die Stimme zu heben. Sein Blick ging in den Himmel.
„War das nötig?“
„Ich hab heute keine gute Laune.“
Adrian wartete nicht, den Ort zu verlassen. Es war noch früh, vor Morgengrauen sogar, und sie schlugen die Route zurück zum Anwesen ein.
„Ich kenne den Burschen schon seit vielen Jahren, Adya.“
„Das Lager ist kein Schlafplatz.“
„Einen anderen Platz hat er nicht.“
Mit seiner gönnerhaften, niemals aus der Ruhe geratenden Art gelang es Leon, seinen Vetter doch zum Stehenbleiben zu bewegen. Die Luft war kalt, umso empfindlicher erfühlbar war der Kontrast zu Adrians Geisteshitze, als dieser mit einer rüden Geste nach dem anderen herumfuhr, ohne dass seine Würde tatsächlich einer unverhältnismäßigen Rage zum Opfer fiel.
„Dann biete ihm doch dein Haus an!“
Leon lächelte nur müde und sagte nichts. Er wusste, es hatte keinen Sinn, wenn dieser Tonfall angeschlagen wurde, denn es gab wenige Situationen, in denen Adrian vollkommen undiplomatisch war und zweifelsohne war das eine davon. „Vielleicht gefällt es ihm da ja noch besser.“
„Jetzt mach dich aber mal nicht lächerlich. Diese stillose Drohung war doch Beweis genug dafür, dass du nicht vorhast, irgendwas zu unternehmen.“
„Teste mich.“
Sie kamen durch Rurikstadt. Die Fenster über den Simsen waren teils dunkel, hinter manchen machten sich aber bereits geputzte und gestriegelte Hausdiener die Mühe eines Frühstücks für ihre noch schlafenden Herrschaften.
„Ich muss mit dir über Viorel reden.“ Leon beschloss eine Taktik, die ihm gut bekommen sollte, einen Themenwechsel. „Den älteren, nicht deinen Neffen.“
„Viorel...das war doch Cosmins Enkel, oder?“ Tatsächlich war es ihm gelungen, Adrians Aufmerksamkeit zurückzuerlangen und ihm sogar etwas Interesse abzugewinnen. „Hattest du nicht Gespräche mit ihm oder seinem Sohn oder Bruder oder so?“
„Mit ihm.“ Leon lächelte, halb und halb in Belustigung versetzt über die Gleichgültigkeit, mit der Adrian über die Verwandten redete, die nur weit genug von ihm entfernt oder ohne Namen angeheiratet waren und in Unmut über einen Umstand, den er noch nicht ausgesprochen hatte. „Ich möchte bei dir seine Ermordung beantragen.“
„Was?“ Etwa auf der Höhe des Weißensteinschen Anwesens warf Adrian einen ironischen Blick zurück, der sein Auflachen nicht weniger heiter, wohl aber befremdeter machte. „Nachdem du mir gerade noch eine Moralpredigt gehalten hast? Der Mann ist Familie. Er hat Ina geheiratet. Oder?“
„Das stimmt schon so. Er hat aber auch einen Coup für mich versaut, einen meiner Leute beklaut und sich öffentlich abfällig über Victor geäußert. Nicht zum ersten Mal.“
„Was hat er gesagt?“
„Das willst du nicht wissen.“
„Lass das mal mich entscheiden, Leon.“
Ein kurzes Schweigen herrschte dick in der Luft.
„Er sagte Victor sei ein besoffener Hundsfott, der sich dich und mich als Huren hält.“
Leon war nicht überrascht, Adrian lächeln zu sehen, aber er wusste auch, dass es für einen Abwesenden nichts Gutes bedeutete.
„Das heißt er hat eigentlich dich und mich beleidigt. Victor hat er so gesehen ein Kompliment gemacht. Von dem Hundsfott mal abgesehen.“
„Ich wollte mir die Blöße nicht geben. Es hätte sein können, dass du nicht nachfragst.“
„Leg ihn um. Denk aber an Inas Abfindung.“
„Irgendwelche Vorlieben zum Wie?“
„Soll doch irgendein Norn ihn von hinten nehmen bis er durchbricht.“
Man konnte bei Adrian nicht genau einschätzen, ob dies bedeutete, dass es ihm egal war, oder ob er seine Worte selbst für einen ernst gemeinten Vorschlag hielt. Leon lachte nur und entschied, es auf seine Weise zu regeln.
„Das Haus gerade. Das Fräulein Weißenstein lebt da, oder?“
„Was soll das jetzt werden, Leon?“ Adrian lächelte wieder, diesmal anders, weicher, freundlicher, wie es seinem sanften Mund und ihm selbst besser zu Gesichte stand.
„Helena hat sich neulich darüber ausgelassen, dass du deine Klugheit zugunsten deiner Ästhetik ganz schön einschränkst, wenn sie im Spiel ist.“
„Meine Tochter lebt jetzt hier“, erwiderte Adrian mit einem ausschweifenden Deut zu dem Turm, der rechts von ihnen in den Himmel ragte.
„Komm schon, Adrian, mir kannst du's sagen. Ich seh es dir sowieso schon halb an deinem Gesicht an.“
„Na dann muss ich ja auch nichts mehr sagen.“
„Die Frauen in der Stadt also doch nicht so langweilig?“
„Die Frauen in der Stadt sind wie die Frauen überall sonst auch. Mit höheren Schuhen.“ Er warf noch einen Blick zurück und sah mit einem Mal drein wie ein Zweifler.
„Nicht alle“, sagte Leon. Adrian schwieg zuerst.
„Nicht alle“, gestand er dann.
Sie kamen ins Anwesen und fanden den Tisch noch vor, wie Adrian ihn verlassen hatte. Papiere und Kuverts lagen durcheinander, übereinander und ineinander geworfen über die Hälfte des Platzes verteilt, nur hatte darum herum jemand ein ausreichendes Frühstück bereitet, und Nikolaj saß am Tisch und aß. Neben ihm, ohne Teller, saß schweigend und ernst Sinea Blauvelt.
„Guten Morgen“, grüßten die Männer als sie Platz nahmen. Leon setzte sich unkompliziert auf einen Stuhl am Eck des Küchentischs, Adrian nahm das Kopfende ein. „Ihr hättet das hier ruhig wegräumen können.“
„Wir wollten nicht in deinen Unterlagen wühlen“, stellte Sinea fest.
Kolja sah von seinem Brotrand auf.
„Warum sollten wir aufräumen?“
Mila Libanez, die Base des Hausdieners Vito, die ihn hin und wieder vor allem in der Küche vertrat, tischte den Herren Kaffee auf und brachte auch mehr Brot und Gemüse. Niemand beachtete sie, doch genau genommen beachteten sich die Menschen am Tisch auch gegenseitig kaum. Adrian begann sofort in seinen Unterlagen zu wühlen und Leon führte ein lockeres Geplänkel mit Sinea, bis nach einigen Sätzen nicht genug von dieser zurückkam, um seine neckische Laune aufrecht zu erhalten.
Einige Briefe auf dem Tisch waren ungeöffnet. Adrian brach Siegel um Siegel und las. Irgendwann seufzte er.
„Was ist, mein Lieber?“ Es war Leon, der als einziger tatsächlich so etwas wie berechtigt war, ihn nach dem Inhalt des Briefes zu fragen, vielleicht nicht einmal in seiner Position innerhalb der Familie, sondern als Vertrauter und Freund des alleinigen Oberhaupts.
„Von den Löwensteinern. Nicolae will sich treffen. Ich wette es geht um seine Prozente an den Einnahmen beim Wiederaufbau der Stadt. Ich hab ihm gesagt, ich werde einen Geldtransport losschicken, damit er seinen Anteil bekommt.“ Sein Zungeschnalzen verriet mehr über seinen Ärger als sein Ton. „Ich hab in dem Moment gewusst, dass er mehr fordern würde, als ich in sein Gesicht gesehen hab.“
„Jetzt warte doch mal, noch hat er nichts gefordert. Anteil woran? Die Ioancezar? Das ist doch festgemacht.“
„Wir haben für die ganzen neuen Gebäude Unmengen an Regenrinnen und Rohren verdingt. Er wird mir jetzt mit dem Argument kommen, dass ich den Handel in Löwenstein gemacht hab, wo er der Boss ist.“
„Das war doch sonst nie ein Problem?“
„Sonst ging es auch nie um diese Summen.“ Adrian zerknüllte den Brief, aber jeder hier, sogar Kolja, der nicht einmal richtig verstand, wovon gesprochen wurde, sondern nur, dass es ihn nicht betraf, wusste dass Adrian zu seinem Vater gehen würde, wenn dieser ein Treffen anberaumte.
Sie alle starrten plötzlich in den Flur, wo eine Fremde stand, die, einen dünnen Mantel vor den Leib gepresst, ihr wirres Haar so ungebändigt wie eine gerade erst Aufgestandene trug. Als man sie bemerkt hatte, strich sie eine Strähne davon zurück, machte mit ihrem Kopf eine eilige Abschiedsgeste und eilte dann schnell und unauffällig aus dem Haus. Sie hinterließ fragende Gesichter.
„Die hab ich vollkommen vergessen“, sagte Adrian.
„Kolja, gib mir mal die Butter.“
„Hier. Wie läufts in Shaemoor.“
„Gut, gut. Komm nachher mal bei mir vorbei. Es gibt Arbeit.“
„Passt dir der Nachmittag? Ich bin dort sowieso nach dem Training.“
„Der Nachmittag passt mir ganz hervorragend, mein Lieber. Komm aber auf jeden Fall allein.“
Kolja starrte seinen Vetter ein paar Takte lang mit fast leerem Blick an.
„Hältste mich für nen Idioten, Leon?“
Das elegante Lachen, das Nikolaj zur Antwort bekam, konnte den Klang im Raum nicht lange verschönern, da mit einem Mal Adrian sich in seinem Stuhl aufrecht vorlehnte und laut in die Runde fragte: „Denkt ihr, ich sollte Betty heiraten?“
„Wenn du willst. Ich hatte eigentlich Ilie dafür geplant. Aber ich glaube, dich mag sie lieber. Fakt ist, dass ich sie in der Familie haben will.“
Adrian sah Leon lange an. Plötzlich sah er fast aus, als bereue er seine Frage. Dann lachte er heiser und winkte ab.
„Ich halte sie für eine gute Partie“, sprach Sinea, da sie schon gefragt worden war. „Aber will mir kein Urteil herausnehmen, wie du handeln solltest, Adrian.“
Und Kolja biss in sein Brot.
„Musst du wissen“, sprach er mit vollem Mund. „Besser als die Ziege oder ihre fette Schwester.“
Adrian musterte Nikolaj einen geräuschlosen Moment ungerührt. Dann tat er eine schnelle und brachiale Bewegung mit dem Fuß und es schepperte, als der Stuhl unter Kolja wegkippte und ihn abwarf. Seine Reflexe waren schnell genug, sich auf halbem Wege in die Tiefe abzufangen, aber sein Sitz krachte hinter ihm hart zu Boden.
„Mann, Adrian.“
„Sie heißt Gwennis und so nennst du sie. Am Besten sprichst du gar nicht über sie.“
Kolja murmelte etwas, das vielleicht gar keine Worte waren und nur zum Ausdruck bringen sollten, dass er gehört hatte und dass er seinen Vetter in dieser Sache humorlos fand. In der nächsten Sekunde grinste er bereits auf.
„Übrigens hab ich letztens selbst eine Geschichte mit einer echten Ziege erlebt. Ich war auf dem Weg nach Shaemoor-“
Adrian stand rumpelnd auf.
„Kolja!“ Leons Dazwischengehen bremste auch Adrian ab, mehr als seine Worte vielleicht die Hand, die er dem Vetter auf den Ellenbogen legte.
Kolja gehorchte stirnrunzelnd, aber er verstand nicht, was er falsch gemacht haben sollte. Er ging dann bald auf den Übungsplatz.
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