Gefährten
Der Blick des großen Kriegers lag liebevoll auf seiner Tochter, die vor dem prasselnden Feuer auf den Fellen hockte und verzückt den Welpen beobachtete, den ihr Vater ihr am heutigen Tage mitgebracht hatte. Ystrids blaue Augen leuchteten vor Freude und die zarten Finger fuhren mit einer Vorsicht durch das dichte Fell des kleinen Wolfes, die Ragnas Herz erwärmte. „Oh Vater sieh nur!“ rief das weißhaarige Mädchen aus, als sich die kleinen, spitzen Zähne des Welpen in den Knochen bohrten, den sie ihm hingehalten hatte, und daran zogen. „Wie niedlich er ist!“
Freyja trat hinter ihren Mann, der ganz in die Betrachtung seiner Tochter versunken war, und legt die Arme um seine breiten Schultern. „Eine gute Idee hattest du da.“ raunte sie leise und gab ihm einen sanften Kuss auf den blonden Haarschopf. „Du hast ihr wirklich eine große Freude bereitet.“
Ragna brummte auf und lehnte seinen Kopf etwas nach hinten gegen die Brust seiner Frau.
„Vielleicht wird sie es jetzt verstehen.“ meinte er „Die Sorgen die man sich macht, wenn man um einen Liebsten bangt.“
„Sie ist ein Kind, Ragna.“ entgegnete seine Frau „Kinder machen den Eltern immer Sorgen.“
„Aber sie passt nicht auf. Ihr fehlt jedes Gespür für....Gefahr.“ der Krieger seufzte während Ystrid den Welpen mittlerweile auf ihren Schoß gezogen hatte und mit kleinen Fleischstückchen fütterte. „Wir werden dir einen schönen Namen aussuchen.“ sprach sie zu dem neuen Gefährten und gluckste auf, als das Tier mit einer besonders drolligen Bewegung nach dem nächsten Happen schnappte.
„Was wirst du tun, wenn sie eines Tages beschließt, deinem Weg zu folgen? Dem Weg des Kriegers?“ fragte Feyja während sie ihre linke Wange an die Rechte ihres Mannes legte.
Aus Ragnas Kehle entrang sich ein Grollen und sein Blick verdüsterte sich, was seine Frau mit einem liebevollen, leisen Lachen kommentierte.
„Du kannst sie nicht wie ein rohes Ei behandeln, so sehr du das auch möchtest. Irgendwann wird sie zur Frau werden und du wirst sie in die Welt entlassen müssen. Alles, was du tun kannst, ist sie darauf so gut es geht vorzubereiten.“
Ragna betrachtete Ystrid, die so zart und zerbrechlich wirkte, und doch so viel robuster wahr, als man es vermuten würde. Die Haut seiner Tochter war blass, wenn auch nicht kränklich, und ihr Haar schlohweiß, wie das einer weisen Frau. Dennoch war ihr junges Gesicht noch kindlich, hatte noch nicht begonnen sich zu verändern und die Züge eines jungen Mädchens anzunehmen. Wie viele Väter sorgte er sich um seine Tochter, auch wenn er wusste, dass seine Frau Recht hatte. Ebenso wusste er aber auch, dass Ystrid sein einziges Kind bleiben würde, dass sie ihm schenken konnte. Was es auch war – die Geister hatten entschieden, ihm seine Frau und seine Tochter zu lassen, aber ebenso auch, dass Freyja kein weiteres Kind mehr würde bekommen können. Umso mehr hütete er Ystrid wie seinen Augapfel und schämte sich auch nicht dafür.
„Nun sieh doch hin, Vater!“ Ystrid hatte den Welpen hochgehoben und hielt ihn ihrem Vater entgegen. Das Wolfsjunge leckte sich gerade mit seiner rosa Zunge über die schwarze Nase während seine Augen aufmerksam und neugierig die neue Umgebung betrachteten. Es tat es mit einem derartigen Blick der Erhabenheit, dass Ragna unwillkürlich Auflachen musste.
„Ystrid, Schatz, ich sage dir, dein Welpe wird mal zu einer stolzen Wölfin heran wachsen. Pass nur auf, dass du ihr sagst, wo es lang geht und nicht umgekehrt.“
„Du meinst so wie Mutter bei dir?“ bemerkte seine Tochter beiläufig, ganz in Gedanken, ohne sich der Schärfe ihrer Beobachtungsgabe bewusst zu sein. Die Augen des Kriegers weiteten sich und seine Mundwinkel zuckten, bevor er zu einem Protest ansetzen wollte. Seine Frau jedoch glitt seitlich auf seinen Schoß und verschloss seine Lippen mit einem Kuss, bevor sie sich an seine Schulter lehnte und ihre Tochter wieder in den Fokus nahm.
„Hast du schon entschieden, wie du sie nennen willst?“ fragte sie Ystrid, die mittlerweile bäuchlings auf den Fellen lag, den Kopf dicht neben dem zusammen gerollten Welpen, endlich erschöpft von der Aufmerksamkeit und dem Spiel. „Mmmhhmmmm....“ machte sie nachdenklich während die kleinen Fingerchen sachte die kleinen Pfoten stubsten. „Ich denke ich werde sie Sari nennen.“ entschied Ystrid dann nach einer Weile und nickte, zufrieden mit der Wahl.
„Ein guter Name.“ bemerkte ihre Mutter mit einem Nicken während sich die Rechte in die Hand ihres Mannes schob. „Ich nehme an, du willst noch eine Weile mit ihr spielen?“ vermutet sie und gab gleichzeitig die Erlaubnis, die Schlafenszeit noch ein wenig hinaus zu zögern. Währenddessen glitt sie wieder von dem Schoß ihres Mannes herunter und zog diesen mit sich auf die Füße. „Komm, lassen wir unserer Tochter noch einen Moment der Ruhe und der Freude.“ raunte sie mit schelmischem Gesichtsausdruck, während sie Ragna in Richtung ihrer Schlafstatt zog.
Ystrid hingegen bemerkte den Fortgang ihrer Eltern nicht, wieder ganz und gar in die Betrachtung des Fellknäuels versunken, dass neben ihr auf den Fellen vor dem Feuer lag. „Sari...“ murmelte sie leise zu sich selbst und zupfte dem Welpen leicht am linken Ohr. „Wir werden viel Spaß miteinander haben! Oh, und was wir alles zusammen sehen werden!“ sie drehte sich auf den Rücken und ließ den Blick ihrer blauen Augen gen Decke wandern. Das war also die Überraschung, von der ihr Vater gesprochen hatte. Und wie sie ihm gelungen war! Ystrid lächelte selig, zufrieden mit sich und der Welt. Jetzt hatte sie endlich jemanden, der sie auf ihren Abenteuern begleiten würde!