Dank

Sie kräuselte unzufrieden die Nase und blähte die Wangen auf.


„Doch, du nimmst es. Damit siehst du viel gefährlicher aus und niemand wird dir etwas tun“ hatte der betrunkene gestern Abend gesagt und ihr das schwere Ding samt Halterung einfach um die Hüfte gebunden.
Als sie heim kam hatte ihr Mitbewohner gelacht ob des für sie viel zu großen und schweren Rapiers: „Morgen weiß er sicher nicht mehr wem er es gegeben hat – Sag nichts und verkauf es, das bringt sicher gut Geld ein.“ hatte er vergnügt geraten und sich gleich einen Tritt von Hannah eingehandelt dafür. Manchmal konnte sie ihn einfach gar nicht leiden.


Nun saß sie auf einem ihrer Lieblingsplätze im Tal: In der Mitte einer kleinen Lichtung, umgeben von hohen Bäumen mit breiten Kronen, die jetzt gerade zu dieser Tageszeit warm von der Sonne beschienen wurde. Artos, Tim und Purzel jagten fröhlich durchs Gehölz, und die Nebelkrähe namens Taube, die sie heute ebenfalls begleitete, saß auf dem Ast eines nicht weit entfernten Baumes und äugte neugierig in ihre Richtung. Ein kleiner Bach zog sich unweit von ihrem Rastort fröhlich sprudelnd durch die Lichtung, und sie spürte das volle Leben, das Geschenk Melandrus, in jeder Faser ihres Körpers.


Sie schüttelte den Kopf und brummte zum zigsten Male auf.
Das Rapier war mehr Statussymbol, war mehr Schaustück als wirkliche Waffe mit all dem Silber und dem Gold, mit den vielen Verzierungen und Schnörkeln. Das Wappentier seiner Familie zeichnete es zudem als exklusive Familienwaffe aus – vielleicht ein Erbstück.
Er war ein Narr, diese Kostbarkeit aus den Händen zu geben... betrunken oder nicht.


Noch ein Brummen, noch ein Seufzen, und sie verlegte ihre Aufmerksamkeit auf das, was sie zu tun gedachte. Die Räucherkräuter waren bereits fast heruntergebrannt, und so legte sie noch einige getrocknete Blätter auf die glühenden Kohlen der kleinen Räucherschale. Mit jedem Atemzug der die würzig getränkte Luft durch ihre Lungen transportierte klärte sich ihr Geist mehr, und schließlich fühlte sie sich bereit.


Das Rapier auf dem Schoß nahm sie den kleinen dunklen Edelstein zur Hand, den sie wie alle anderen benötigten Materialien neben sich zurecht gelegt hatte. Sie hob ihn bis über ihren Kopf und rieb den Stein dann zwischen ihren Handflächen, immer wieder, langsam und konzentriert, bis dieser sich warm anfühlte. In einer langsamen, beinahe festlichen Bewegung ließ sie die Hände sinken, bis sich der Edelstein direkt über der Schwertschneide befand.


„Aus der Erde, dem Schoße Melandrus, kommst du. Zu Erde wirst du. Von Erde sei gereinigt.“ sprach sie halblaut, doch ungewöhnlich klar und langsam für ihre Verhältnisse, bewegte den Edelstein von der Spitze der Schneide bis hoch zum Griff und wieder zurück.


„Aus der Erde, dem Schoße Melandrus, kommst du. Zu Erde wirst du. Von Erde sei gereinigt.“
wiederholte sie, den Stein über das Metall führend.


„Aus der Erde, dem Schoße Melandrus, kommst du. Zu Erde wirst du. Von Erde sei gereinigt.“ sprach sie ein drittes Mal.


„Durch die Macht der Erde, welche ihr Leib ist, seiest du gereinigt von allem Bösen.
Was war, vergehe. Kein wütender Geist klebe länger an dir. Keine Schuld sei länger zu begleichen. Sei gelenkt vom Streben nach Schutz und Frieden, keine Wut, kein Hass möge jemals dein Lenker sein.“


Abermals führte sie den Edelstein über das Metall des Rapiers, dann wandte sie sich zur Seite und legte den Stein in einer Metallschale ab. Mit einem wuchtigen Hammerschlag zerbrach sie den Edelstein in etliche Splitter, zuckte dabei selbst zusammen und lächelte anschließend auf – Nicht immer konnte sie einen Reinigungsstein zerschlagen. Nicht immer gaben die Naturgeister ihren Segen. Doch heute war es ihr gelungen.
Sie legte den Hammer beiseite und zog sich stattdessen eine kleine Wasserschale, erst vor kurzem gefüllt mit dem frischen Wasser des Baches, näher heran. Ihre Fingerspitzen nahmen etwas Salz aus dem bereit liegenden Beutel auf, welches sie in das Wasser streute. Mit der rechten Hand rührte sie das Wasser, genau drei drei Drehungen, dann zog sie die Hand wieder heraus.


„Wasser, die Liebe Melandrus, ist Leben. Leben nimmst du. Leben schützt du. Von Wasser sei gesegnet.“ sprach sie ehrerbietig, während sie die nassen Fingerkuppen über das Rapier streifen ließ.


„Wasser, die Liebe Melandrus, ist Leben. Leben nimmst du. Leben schützt du. Von Wasser sei gesegnet.“ erklang es abermals, als sie an der Schwertspitze angekommen war.


„Wasser, die Liebe Melandrus, ist Leben. Leben nimmst du. Leben schützt du. Von Wasser sei gesegnet.“ sagte sie ein drittes Mal, das Wasser ein letztes Mal auf der Waffe verteilend.


„Durch die Macht des Wassers, Symbol ihrer lebensspendenden Liebe, seiest du gesegnet.
Auf den Wegen des Schutzes sollst du wandeln. Niemand Unschuldigem sollst du schaden, noch sollst du ehrlos schänden. Im Geiste der Liebe seiest du gelenkt, um das Böse zu bekämpfen und stets dem Guten zu dienen.“


Hannah erhob sich mitsamt des Rapiers, ging die wenigen Schritte bis zum Bach und tauchte die Waffe hinein.
„Melandru schaue stets lächelnd auf dich herab. Mit ihrem Segen mögest du schützen deinen Träger und all jene, die deinen Schutz benötigen, von jetzt auf immerdar. Niemals sei missbraucht als Werkzeug des Bösen.“ murmelte das Mädchen, bevor sie das Rapier wieder aus dem Wasser hob. Sie betrachtete die Waffe, hob sie in die Luft und ließ Sonnenstrahlen auf der Schneide tanzen.


Sie lächelte auf, während um sie herum das Leben pulsierte.
Das war ihr Dank.
Auch, wenn er wie so viele andere unbemerkt bleiben würde.

Kommentare 2

  • Ohh. Danke für dein Kommentar! Da hab ich mich thematisch mal in eine andere Richtung gewagt - Ich freue mich, das es dir gefällt <(^o^)>

  • Hingabe. Irgendwie das erste Wort welches mir einfiel nach deinen Zeilen.
    Wie sie die Waffe "säubert" in ihren eigenen kleinen Schritten.
    Sehr schön geschrieben! Gefällt mir wirklich gut.