334 Tag der Jahreszeit des Kolosses 1329 AE
Es gibt diese Tage an denen man sich rein theoretisch das Aufstehen sparen kann. Genau heute traf diese Tatsache zu:
Schon die Einladung dieses aufgeblasenen Gockels hätte mich ernsthaft stutzig machen müssen, aber die Dringlichkeit dieser erlaubte mir keine Absage. Zugegebenermaßen spielte auch ein Quentchen Neugier seine Rolle in der Entscheidungsfindung hin zu gehen.
Ein Treffen mitten im Wald. Zu einer Hinrichtung. In der Nacht. Wie abgedroschen! Manchmal frage ich mich, ob der Kerl in seiner Entwicklung stehen geblieben ist. Ja, Rituale sind wichtig und richtig, auch um die Gemeinschaft zu stärken, aber doch nicht mitten in einem Wald. Ernsthaft: Hinrichtungen bei Fackelschein mit unheimlicher Atmosphäre sind so 1328 AE.
Ausgerechnet ihm nahm man den seriösen Richter ohnehin nicht ab. Ich habe ganz genau gesehen, wie sein Hut beinahe nach unten gerutscht wäre – was für ein Anfänger. Ein paar gut gesetzte Haarnadeln hätten dieses Malheur gar nicht erst auftreten lassen.
Wie dem auch sei: Nachdem ich, Ansgar und Merten uns von diesem sabbernden Haufen speichelleckender Godfreyköter in Empfang haben nehmen lassen, kam ich natürlich sofort meiner Pflicht nach. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal betonen wie unglaublich stillos ich die gesamte Aktion nach wie vor finde, aber ich konnte gleichermaßen das ‚Publikum‘ nicht enttäuschen.
Bis jetzt werde ich den Eindruck nicht los, dass die gesamte Aktion einen religiösen Wert gleich Null besaß, sondern mehr als Theaterstück zur Belustigung einiger dreckiger Banditen diente. Das ist der Punkt, der mich wütend macht.
Der Gefangene selbst war ein Bild von einem Mann. Abstammend aus einer streng kontrollierten Reihe von Canthanern würde ich schätzen, schulterlange schwarze Haare, markantes Gesicht, wirklich nett anzusehender Körper, wenn man von den zugefügten Verletzungen absah. Kleinigkeiten, die ich in meinem Großmut sogar zu heilen gedachte. Er besaß eine Aura des Widerstandes, wodurch mir direkt klar wurde, dass es nicht leicht sein würde diesen Mann zu brechen. Aber dieses Potenzial…. Ich wollte es nicht verschwenden.
Ich bot ihm also an sich mir anzuschließen.
Er lehnte ab.
Spuckte mir ins Gesicht.
Wie frech.
Normalerweise ist es mir selbst ein Bedürfnis Personen für so einen Frevel zur Rechenschaft zu ziehen, Potenzial hin oder her. Doch der Fakt, dass mir dies niemals vergönnt war und niemals vergönnt sein wird wurmt mich. Das ist einfach nicht gerecht. Man stelle sich vor: Das eigentlich verwirkte Leben wird auf dem Silbertablett neu angeboten – man müsste nur noch zugreifen. Tz.
Je länger ich allerdings darüber nachdenke, desto mehr komme ich zu der Feststellung, dass mir dieser Canthaner nicht unähnlich war, auch wenn er natürlich schlichtweg die falsche Einstellung zu nahezu allen geistigen Dingen hatte. Gerne hätte ich gesehen, wie er sich befreit hätte, vielleicht sogar den ein oder anderen Straßenköter des Inquisitors getötet hätte, bis er dann selbst getötet worden wäre. Es hätte der Szenerie diesen faden Beigeschmack eines Lammes, das zur Schlachtbank geführt wurde etwas genommen, zumal dieser Mann definitiv kein Lamm war.
Ich bin mir letzten Endes nicht sicher, ob ich ihn bewundere, vielleicht sogar ein kleines bisschen fürchte – im Nachhinein versteht sich. Der Stolz, den er an den Tag legte war nicht übertrieben. Ein Mann, der seinen Marktwert kannte, ein Mann, der sich nur schwer einem anderen Regime beugen würde. Sehen so echte Helden aus?
Auf jeden Fall ein Märtyrer, denn das, ist genau das, was dieser Tölpel aus ihm gemacht hatte durch die Veröffentlichung des Mordes. Und Menschen liebten Märtyrer. Vor allem wenn sie auch noch optisch etwas her machen. Im Geiste sehe ich schon die Damen die sich bei Erwähnung des Namens, der mir leider schon wieder halb entfallen ist, Luft zufächeln. Angeblich hat er noch ein paar Geschwister, etliche Brüder und eine Schwester bei der glänzenden Klinge. Ein Hornissennest, in welches der Inquisitor getreten ist. Und ich sage bewusst ‚getreten‘, denn von einem anstupsen kann hier keine Rede mehr sein.
Ich muss vorsichtig sein, denn die Unvorsichtigkeit Godfrey’s, der sich langsam aber sicher selbst von Macht berauschen lässt kann für das Kollektiv, für das große Ganze, schlussendlich nur eine Gefahr darstellen. Es wird Zeit sich ernsthafte Gedanken zu machen, wie ihm bei zu kommen ist, wenn sich die Schlinge zu dünn um seinen Hals zieht. Ich bin mir sicher, dass er, wenn er geht, andere mit zieht und so viel Verrat begehen wird, wie es ihm nur möglich ist, um seine verlogene Haut zu retten.
Charity
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