Das Wetter über der Schwarzen Zitadelle scheint stets dasselbe zu sein, behaupten die meisten Besucher, welche die Hauptstadt des charrischen Ascalons betreten - Rauchig mit Aussicht auf viel Qualm, stickig und die eigentlichen Wetterphänomene am Himmel oftmals verdeckend heißen die meisten Prognosen für das meteologische Gebiet des ehemaligen Menschenkönigreichs. Wo einst menschliche Gelehrte der unterschiedlichsten Magieschulen in der Nolani-Akademie ihr Wissen austauschten, wo die Könige Ascalons thronten und lange Zeit sich die großen Gilden Ascalons feiern ließen, so ragen an jenen Orten nun die stählernen, qualmenden Schornsteine der Charr-Industrie hervor und speien das pechschwarze Zeichen des Sieges, unter den Charr auch „Mittelkralle in das Gesicht Melandrus“ genannt, in die gemäßigten Lüfte des Landes.
Es ist jener Rauch, welcher vor der gläsernen Rückseite der Bürokapsel Khrags in die Höhe steigt und der Welt eine Geschichte voller Überlegenheit und charrischer Schaffenskraft erzählt. Doch wo bei diesem Anblick das Herz eines jeden Legions-treuen Charr höherschlagen dürfte, so herrscht in diesem Moment klamme Nüchternheit im Büro des Zenturios. Bereits zwei Stunden verweilte Khrag in seinem stählernen Bürostuhl, welcher von der prunkvollen Aufmachung her mit dem Thron des Eisen-Imperators persönlich stets mithalten konnte. Das Möbelstück, welches mit exotischen Tierpelzen überworfen wurde, ist ein Erbe seines alten Vorgängers Bonwor Granitspalter, ein Charr mit einem Fimmel für exotische, prunkvolle und vor allem teure Antiquitäten und Trophäen aus den unterschiedlichsten Ecken und Kanten dieser Welt. Selbst für eine authentische orrianische Münze hätte dieser Zenturio alle seine Soldaten in das geplagte Land Orr geschickt und zur Not sterben lassen. Es war nicht nur die unstillbare Besessenheit in historische Gegenstände und Reliquien, die Khrag dazu verleiten ließen seinen Vorgesetzten im Fluch zu richten, sondern in dieser Zeit entdeckte der Charr auch für sich, dass er zu etwas Höherem berufen war als das simple Soldatentum. Das stärkste Glied der Befehlskette soll herrschen - ein ungeschriebenes Gesetz, welches die Charr-Gesellschaft prägte, formte und zur Übermacht führte. Khrag war bewusst, dass Granitspalter eine Provokation nicht einfach auf sich sitzen lassen konnte, sein Stolz war genauso groß, wie seine Vernarrtheit in jene Relikte, die nun auf den Stahlregalen seines ehemaligen Büros verstauben. Der Fluchkampf gegen Bonwor fiel knapper aus als sich Khrag es hätte eingestehen wollen. Zwei, vielleicht drei weitere Schläge wären es wohlmöglich noch gewesen und der braun-gestreifte Charr hätte selbst in Schande die Nebel betreten. Es war schlussendlich der Hochmut Granitspalters, welcher ihn den Sieg brachte und ihn zum Zenturio beförderte. Der alte Khrag hätte sich darüber maßlos geärgert, hätte bis zur bitteren Erschöpfung trainiert und an seiner Waffentechnik gefeilt, doch war dies für den neuen Khrag irrelevant. Er ist ein gestandener Charr, der mehr Schlachten und Kämpfe geschlagen und gewonnen hat als die Hälfte der Schwarzen Zitadelle, er ist ein Zenturio, hat unter sich eine Kompanie fähiger Soldaten und Legionäre gescharrt, die er in einem langen Machtkampf besiegt hatte, er hat maßgeblich bei der Verteidigung der Eisenmark gegen die Mordrem mitgeholfen, überlebte mit seinen achtundfünfzig Jahreszyklen das Herz des Maguuma-Dschungel und ist für die Vernichtung und Sprengung von achtzehn Separatisten-Zellen in Ascalon verantwortlich. Er hat in seinen Jahren viel mehr erreicht als sich manch anderer Charr erträumen lassen könnte und doch sitzt der Zenturio nun in seinem Thron und blickt den schwarzen Rauchsäulen entgegen.
„Ein herrlicher Anblick, nicht wahr?“ entweicht es dem Maul der großen Bestie, wie die Mäuse nur allzu gerne die Vertreter seines Volkes nennen. Auf die Frage Khrags folgt nur die Stille, es scheint ihm keiner zu antworten, keiner bejaht seine Aussage, niemand verneint sie. Der Charr verweilt alleine im Büro und besieht sich das Wunder der Charr-Factorien an, die in der Ferne ihre automatisierte Arbeit verrichten. „Dein Besitzer heult sich gewiss' im Schoß seiner dreckigen Schöpferin aus, kriecht demütig unter ihren Rockzipfel und fleht um Verzeihung und Güte.“ spottet Khrag ruhig weiter, lässt ein jedes gesprochene Wort wie Speere gegen seinen vermeintlichen Gesprächspartner fliegen. Die Gelb-stechenden Augen des Charr weichen von der Fensterfront der Bürokapsel davon und richten sich auf seine gepanzerte Pranke. In den langen Krallen hält er einen alten Lederhelm, welcher von der Beschaffenheit her nur auf den Kopf eines Menschen passen könnte. Im spröden, verbleichten Leder ist der Buchstabe V eingearbeitet. Granitspalter erzählte ihm mal, dass es sich bei dem Exemplar im Krallengefängnis seines Nachfolgers um einen alten Helm der Ascalon-Vorhut handelt, eine Elite-Gruppe menschlicher Soldaten unter der Führung von Prinz Rurik. Er meinte, dass er den zerlumpten Helm bei einer geplanten Sprengung eines alt-ascalonischen Adelshauses gefunden hätte und man auf Schwarzmärkten und Antiquitäten dafür einige Platin verlangen könnte. Wahrscheinlich würde der Helm in einem solchen Fall nur in die Hände eines Adeligen fallen, der sich mit seinem Besitz brüsten möchte oder sich darin den Schlüssel in eine Traumwelt erhofft, wo die Charr noch nördlich des Walls lebten und das Königreich Ascalon intakt war. Statt in einer gläsernen Vitrine zu liegen und dort zu verstauben, scheint dieser Helm für den Moment wohl eine neue Funktion zu erfüllen, auch wenn Khrag lange Zeit mit dem Gedanken gespielt hatte, die Sammelstücke des Granitspalters auf dem Schwarzmarkt in Kapital umzuwandeln. Der Alte hätte damit viel Geld machen können und dieses in die Kompanie stecken sollen, aber irgendwie hatte der Charr daran Gefallen gefunden diese Gegenstände bei sich zu haben, immerhin sind sie, wie die Rauchsäulen der Zitadelle, ein Zeichen des Sieges. Wahrscheinlich wird er Granitkiefer später mit der Entstaubung der Trophäen beauftragen. Er kann schon sein langes Brummen und Meckern bereits hören, was Khrag nur zusätzlich amüsiert. „Deine Art ist so zerbrechlich. Habt ihr wirklich gedacht, dass euer Herrschaftsanspruch gleichgestellt ist mit dem Herrschaftsanspruch der Charr?“ stellt Khrag diese rhetorische Frage an seinen ledrigen Gesprächspartner in Form jenes Helms, nur um ihm sogleich eine passende Antwort zu geben: „Charr sind zum Herrschen geboren. Eure Existenzlegitimation rührt nur durch die Worte einer alten, dementen, schein-göttlichen Entität einher, die sogar in der heutigen Zeit von den Grawlen ins Lächerliche gezogen wird.“ Der Charr erhebt sich mitsamt dem Helm von seinem massiven Thron, die Stahlelemente seiner Rüstung dabei laut klappernd und aneinanderschlagend. Langsamen Schrittes umrundet er seinen Schreibtisch, lässt den Rauch der Industrie hinter sich und begibt sich zu den langen Sammlerregalen, die Bonwor einst in sein Büro einbauen ließ. Zwischen einem elonischen Säbel dessen Griff mit reinen Rubinen und Saphiren besetzt ist und einem alten Relikt aus den Zeiten des florierenden Rins, stellt legt Khrag den Lederhelm der Ascalon-Vorhut ab und betrachtet den Gegenstand noch für eine Weile. „Eure Existenz dient nur dem Heizen unserer Hochöfen oder dem Verspeisen eurer köstlichen Innereien. Die Zeiten haben sich geändert, die Karten wurden neu verteilt, die Weltordnung neu definiert. Für eure Art gibt es keinen Platz mehr, Mensch und sobald die Kriegshörne zum Marsch nach Götterfels blasen, so werde ich an vorderster Front marschieren und kämpfen. Vernichtung ist die Antwort auf eure Existenzfrage.“
„Zenturio Granitschild?“ schallt es plötzlich durch die stählerne Kapsel. In seinem Monolog versunken, hatte Khrag nicht mitbekommen, dass die Stahlschleuse zu seinem Büro und die Dampfmaschine zum Öffnen jener bereits seit einigen Sekunden laut am Arbeiten sind. Durch das mechanische Eisentor, welches sich reibungslos und fließend öffnet, schreitet eine gepanzerte Charr hindurch. Ihr Aussehen lässt darauf schließen, dass sie vielleicht gerade mal fünfundzwanzig Jahreszyklen jung war. „Granithammer. Was gibt es?“ brummt Khrag der Charr entgegen, welche sich in das Innere der Bürokapsel wagt. Kella Granithammer ist eine ausgezeichnete, junge Soldatin der Eisen-Legion. Das Fahrar schloss sie mit Bravur ab, wurde sogar geehrt für ihre herausragende Disziplin und ihr Können mit dem Streithammer, der ihr sogar ihren Namens-Suffix gab. Frühzeitig hat ihr damaliger Primus erkannt, dass sie das Potential zur Wächterin hat, eine Magiedisziplin, die zwar auf die Künste der Menschen zurückzuführen ist, aber dennoch ihren Sinn und Zweck für die Kriegsführung der Charr gefunden hat. Man hat sie frühzeitig gefördert, einige damalige Mitstreiter behaupten sogar, dass sie schon im Alter von sechs Jahren in der Lage war eine Geisterklinge zu kanalisieren um ein Mitglied ihres Fahrar-Trupps vor einem Verschlinger zu retten. Es war kein großes Wunder, dass Khrag sie damals schnell rekrutiert hatte als sie zum Gladium durch Truppverlust wurde. Er versprach ihr eine neue Familie, eine gute Besoldung und alle Voraussetzungen für ihre Weiterbildung. Die Rekrutierung hatte sich bereits bei ihrem ersten Einsatz gelohnt. Aegis für die Nahkämpfer, Geisterwaffen für die symbolische Vernichtung der menschlichen Separatisten, die seine Kompanie gejagt hatte. Der alte Zenturio wendet sich seiner treuen Wächterin zu, macht aber keinerlei Anstalten ihr entgegenzukommen um damit ihren Laufweg zu verkürzen. Warum sollte auch das Feuer zum Funken kommen? Wahrscheinlich aus einer Gewohnheit heraus verschränkt Khrag seine gepanzerten Pranken hinter dem Rücken und baut sich vor der entgegenkommenden Charr auf, immerhin gehört es zum guten Umgang mit seinen Untergebenden, dass man ihnen anhand der Haltung bereits aufzeigt, wer der Vorgesetzte ist. Dominanz wird großgeschrieben im Wortgebrauch der Charr, eine unverzichtbare Lehre. „Das Zustellungsamt des Imperator-Kerns hat uns soeben jene Botschaft übergeben, Zenturio. Es handelt sich um ein Schriftstück aus den Zittergipfeln, genauer gesagt aus Hoelbrak.“ rechtfertigt sich die Charr für ihr plötzliches Eintreten in die Räumlichkeiten des ranghöheren Offiziers. Tatsächlich hält die junge Charr-Wächterin eine Pergamentrolle in ihrer Pranke, welche sie auch ohne Umschweife dem Zenturio überriecht, sowie die letzten militanten Schritte in seine Richtung getätigt worden. „Hoelbrak?“ Es ist ein leichter Hauch von Verwunderung, welche in die Stimme Khrags überschwappt, während er das Pergament aus den Pranken seiner Soldatin reißt. Er begutachtet Stück Papier und wird schnell auf das silberne Wachssiegel in Wolfskopfform aufmerksam und scheint dieses einordnen zu können. „Das Symbol des Wolfsrudels. Ungewöhnlich, dass sie sich überhaupt die Mühe machen und Pergament bekritzeln und nebenbei auch noch etwas von mir wollen.“ Äußert Khrag seine Gedanken in lauter Form und macht sich daran das Wachssiegel zu brechen, welches wohl mit viel Liebe zum Detail auf die Rolle gedrückt wurde. Das seichte Blättern von Pergament mischt sich in die Geräuschkulisse der eisernen Kapsel ein und die Augen Khrags richten ihren Fokus auf den Inhalt des entfalteten Pergaments. Der Charr braucht nur eine Minute um die Zeilen der Nachricht zu lesen und mit jedem gelesenen Wort heben sich die Lefzen des älteren Charr höher und höher bis zu dem Moment, wo ein Hyänen-artiges Gekicher das Maul des sonst so eisernen Khrags verlässt.
„Zenturio, erlaubt mir diese Frage, aber was steht in dem Pergament niedergeschrieben? Was möchte das Wolfsrudel von Euch?“ Kellas Gesichtsmimik war eisern und neutral, aber Khrag konnte ihr, anhand ihrer schnellen Schweifbewegungen anmerken, dass sie im Inneren ganz aufgeregt war und förmlich nach einer Antwort ihres Vorgesetzten geierte. „Das, Granithammer …“ antwortet Khrag und schnippst mit der ausgefahrenen Kralle gegen das Stück Pergament: „ist eine Einladung für Stunk und Destabilisierung in Kryta. Es wird an der Zeit sich neue temporäre Freunde anzueignen. Schick mir Granitfeder und Granitkiefer hierher, Granithammer und sag Letzterem, dass er Putzeimer und Staubwedel mitbringen soll.“
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