Herr Crovellt

Löwe und Fuchs hatten das Wirtshaus vor einer Ewigkeit verlassen. Es durfte schon fast finsterste Nacht sein, als ein dumpfes Geräusch von weiter Entfernung an die Ohren des Zurückgelassenen, der sich seit seines Erwachens nicht weiter bewegt hatte, drang. Eine unbekannte Frauenstimme bat um Einlass und der rothaarige Mann zuckte erstmals nach Stunden im Bett hoch, nur um von den Fesseln an seinen Handgelenken wieder in die Matratze zurück gedrückt zu werden. Hastig befeuchtete er sich die staubtrockenen Lippen und öffnete tonlos den Mund. Das Klopfen an der Holztür wurde lauter und schien plötzlich nicht mehr so fern.
„Mein Herr, ist bei Ihnen alles in Ordnung? Kann ich eintreten?“, wiederholte die Fremde ihre Frage.
Der Riese wollte die Hände heben, um das durchnässte Kissen, auf dem er bis eben geruht hatte, zu wenden, doch erneut erstarb die Bewegung als er gewaltsam an seinen Fesseln rüttelte. Er war auf die Frau angewiesen, wenn er nochmal einen Fuß aus dem Bett setzen wollte, und so rief er in ihre Richtung, dass sie eintreten solle. Vorsichtig schoben zarte Hände die knarzende Tür auf und ein Blondschopf steckte neugierig ihren schönen Kopf in den warmen Raum hinein, bis ihre anfängliche Wissbegierde beim Anblick des Mannes schlagartig dem Entsetzen wich.
„Bei den Göttern!“, rief die glockenhelle Stimme fassungslos aus und mit eiligen Schritten kam das Zimmermädchen in die Stube getänzelt, „was ist denn hier geschehen?!“
Kraftlos ließ der Koloss den schmerzenden Schädel sinken, doch bevor er sich überhaupt eine Antwort überlegen konnte, war die Unbekannte schon an ihn herangetreten und musterte ihn aufgeregt. Die feingliedrigen Hände hielt sie sich bestürzt vor den Mund.
„Haben die zwei Kerle von vorhin Euch etwa gefoltert, Herr? Ihr seht fürchterlich aus, all die Wunden – und dieses Seil! Ich muss augenblicklich die Ebonvorhut über dieses schreckliche Verbrechen in Kenntnis setzen, ausgerechnet hier an meiner Arbei-“, schwadronierte sich die blonde Dame eine möglichst dramatische Geschichte zurecht und malte sich wohl schon alles eifrig in Gedanken aus, bis der Rothaarige ihr doch das Wort abschnitt: „Das.. Wird nicht nötig sein. Es reicht mir vollkommen, wenn Ihr mir diese Fesseln abnehmt.“
Ein paar Herzschläge lang schwieg das Zimmermädchen und runzelte angestrengt die freie Stirn. Der kritisch-prüfende Blick ihrer großen braunen Rehaugen hatte sich hartnäckig an das Antlitz des Kerls geheftet, ehe sie etwas leiser wieder die Stimme erhob: „Mein Herr… Ihr weint ja...“
Ihm wurde auf Anhieb schlecht. Langsam schlug ihm die Anwesenheit der Fremden gewaltig auf das Gemüt, er hatte sie nicht in den Raum gerufen, damit sie ihm sagte, wofür er sich ohnehin schon selbst den Kopf abreißen könnte.
„Da wir das jetzt geklärt haben, könnt Ihr mich ja losbinden“, versuchte er dann das Augenmerk des Blondschopfs von seinem entstellen Gesicht auf seine, vom Seil fest umschlungenen, Handgelenke zu richten, deren Freiheit er ersehnte.
Die Zarte schien zwar nicht den Eindruck zu machen, dass sie das Thema einfach auf sich beruhen lassen wollte, doch nickte sie schlussendlich. Sie ließ sich langsam neben dem liegenden Riesen auf dem Bett nieder und schob die dünnen Finger unter die dicken Knoten.
„Aber, was ist mit Euren Folterknechten?“, hakte die Hübsche weiter nach ohne den Blick der, von dichten Wimpern umsäumten, Augen zu heben, während sie fleißig nach dem Anfang des Wirrwarrs suchte.
Verwirrung zeichnete sich auf dem bleichen Gesicht des Rothaarigen ab, als er versuchte, den eigenen gerüsteten Leib etwas anzuheben, um von der aufdringlichen Frau wegzurücken: „Meinen was?“
„Ha! Das war ja ganz einfach!“, stieß die kleine Dame bereits nach kurzer Zeit triumphierend aus, ehe sie aufsprang und das Seil in den Händen hielt, „Ihr hättet nicht so zerren dürfen, Herr!“
Kaum, dass das quirlige Zimmermädchen diese Worte gesprochen hatte, richtete sich der Vernarbte in den Sitz auf und starrte sie mit einer Mischung aus Erstaunen und Unglauben an. Die Unbekannte war ihm einfach in allen Punkten zu sprunghaft und unberechenbar. Stolz lächelte ihm das junge Ding entgegen: „Das glaubt mir keiner! Isolde wird Augen machen, wenn ich ihr erzähle, wie ich einen Soldaten vor dem sicheren Hungertod bewahrt habe!“
„Ihr erzählt nichts hiervon weiter, ich warne Euch“, blaffte er überstürzt.
„Aber der Ebonvorhut darf ich doch wohl berichten“, widersprach sie dem Großen murrend, während sie einen leichten Schmollmund mit den rosigen Lippen formte und ihn nochmal misstrauisch betrachtete – was hatte der denn nur? Das war doch zu seinem Besten.
„Nein, verdammt. Es ist nichts Schreckliches vorgefallen. Ihr hört einfach zu viele Schauergeschichten. Ihr habt doch eben noch selbst gesagt, dass ich ein Soldat bin. Was ist so ungewöhnlich an einem Verwundeten?“, auf den endlich nachlassenden Druck hin, der seine Gelenke stundenlang plagte, schob sich der Mann die schweren Panzerhandschuhe von den Fingern und fuhr sich in reibenden Bewegungen um die Handwurzel.
Die Blonde seufzte einmal laut und blies ärgerlich ihre Wangen auf, dann warf sie die von ihr bezwungene Fessel lieblos auf das Bett. Die kleinen Hände stemmte sie erbost in die schlanken Hüften: „Ihr seid nicht nur verwundet – Ihr wart bis eben noch heulend gefesselt, das ist doch nichts Normales. Aber was diskutiere ich überhaupt? Ihr Männer seid doch alle gleich, wenn es um Euren Stolz geht, ist auf einmal ein fliegendes Schwein vollkommen gewöhnlich. Pf.“
Der Riese hatte mittlerweile die Beine, die sich schwer wie Blei anfühlten, aus dem Bett geschwungen und erhob sich nun ganz vorsichtig. Er krallte sich mit den Fingern am Pfosten fest, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Oberhalb seines linken Knies verspürte er immer noch den gleichen Schmerz, als hätte ihn dieser Pisser gerade eben erst abgeschossen. Verdammt, so wie er seine malträtierte Gliedmaße entlastete, musste er wohl bald durch Ebonfalke humpeln.
„He – hört Ihr mir überhaupt zu? Wo bleibt eigentlich mein Dank?“
Am dunklen Schrank angekommen schob er die flache Hand über die leicht staubige Oberfläche, bis er fünf güldene Münzen zu fassen bekam. Zufrieden zählte er das Geld nochmal ab und ließ es dann verschwinden, als er sich aber wieder umdrehte, hatte sich die neugierige Frau bereits auf Zehenspitzen gestellt, um über seine Schulter hinweg einen Blick auf seine Reichtümer zu erlangen.
„Danke“, brummte er dem Fräulein mit hochgezogener Augenbraue zu.
Der Blondschopf fühlte sich gleich im nächsten Moment schon ertappt und errötete kurz, dann winkte sie ab: „Des Danks bedarf ich nicht, Herr.“
Selbst der starke Koloss benötigte länger als sonst, um seinen schweren Zweihänder, den er soeben in der Ecke stehend entdeckt hatte, mit den bräunlichen Lederriemen auf seinem Rücken zu befestigen, wie er es eigentlich gewohnt war. Immer noch stand er neben sich und war der Verwirrung anheimgefallen.
„Was tut Ihr denn da? Wollt Ihr etwa abreisen? Es herrscht tiefste Dunkelheit draußen und Ihr seid verwundet!“, protestierte das Zimmermädchen entsetzt, als sie bemerkte, dass der Rothaarige sich die metallenen Panzerhandschuhe wieder über die Finger stülpte und auf die helle Holztür zuschritt.
„Ich habe keine Zeit“, grollte der Vernarbte über seine Schulter an seine Retterin, ohne sich noch einmal komplett umzuwenden.
Entschlossen drückte er die Klinke hinunter und – wurde abermals unterbrochen: „Wartet! Ihr vergesst etwas!“
Unmerklich seufzend fuhr er sich mit den großen Händen über das versehrte Antlitz. Er hatte schon den gesamten Tag grausame Schmerzen und nun ging ihm auch noch diese… diese-
„Herr.. Cro.. Crove… Crovellt.“
Überrascht fuhr er herum und die Verblüffung stand ihm wie ins Gesicht geschrieben, als er bemerkte, dass die Schöne das verhasste Dokument in den zarten Fingerchen hielt, welches ihn überhaupt erst in die Bredouille gejagt hatte. Die braunen Seelenspiegel schienen von der Reaktion des Mannes ebenfalls überrumpelt, denn die Kleine stammelte etwas verzweifelt vor sich hin, während sie hurtig auf den Fremden zutippelte und ihm das hochwertige Schriftstück in die Hände drückte: „Ich wollte Euch nicht… Also.. Es lag aufgerollt hier und.. Euer Vater hatte den Namen, deswegen dachte ich, also… Mein herzliches Beileid.“
„S-schon gut“, sprach er unruhig und abgehackt, nachdem er das Papier übertrieben hastig wieder in seinen Besitz gebracht hatte, „Owen ist ausreichend.“
„Dann… Sichere Reise, Herr Owen.“
„Einmal müsst Ihr mir noch aushelfen. Ich suche drei Orte hier in Ebonfalke, kennt Ihr den Weg dorthin? Könnt Ihr ihn mir aufschreiben? So schnell wie möglich. Ich habe nicht viel Zeit“, wiederholte sich der vermeintliche Soldat noch einmal. Die Tür stand schon eine Weile offen, doch keiner der beiden hatte das Zimmer bis jetzt verlassen.
„Aber natürlich kenne ich mich in meiner Heimat aus, folgt mir einfach, ich schreibe es Euch unten auf“, die Fremde versuchte ihn vorsichtig anzulächeln, doch selbst der empathielose Owen wusste, dass sie die erheiterte Stimmung nur heuchelte. Vermutlich wäre sie erleichtert, wenn er endlich fortgegangen war.
Mit federnden Schritten wandelte die Braunäugige an ihm vorbei, die Treppe hinunter. Der Mann zögerte einen Herzschlag länger, dann schloss er die knarzende Tür hinter sich und nahm jede Stufe einzeln, wissend, dass er sein verletztes Bein wenigstens etwas schonen musste.
„Gesundheit“, raunte ihm das Zimmermädchen über die Schulter hin zu, als er plötzlich ein verziertes Taschentuch hervorzog und hinein schnaubte, „das ist aber altmodisch, Herr. Passt gar nicht zu Euch. Von wem ist das?“
„Einem.. Einem.. Fr..“
„Freund?“
„Ich weiß es selbst nicht mehr.“

Kommentare 3

  • Vielen lieben Dank ihr beiden. <3 *euch flausch*

  • Ich wusste, es wird gut. Halt uns auf dem Laufenden was mit dem Kratzmichel so passiert. *knuddel*

  • Ach Mann ; . ;
    Er tut mir echt leid.. wobei... auch wieder nicht. Er hat es sooooooooo...ooo verdient und noch mehr, der alte Ochse *g*


    Ich mag deinen Schreibstil sehr, das weißt du ja, obs nun das RP ist oder nun endlich, endlich, endlich, endlich auch mal hier als Geschichte.


    Ich bin unglaublich gespannt wie es weiter geht und vor allem wie es ausgehen wird mit Fuchs, Ochse und Löwe.


    Bitte schreib mehr! Ich les es gerne wieder <3