Im Spoiler weil...
Keine exzessive Gewaltverherrlichung, aber doch zum Teil Gewaltdarstellung. Gewalt durch ein Kind.
Die Geschichte
„Wisst ihr wieso die Bösen meistens unterliegen?“ Seine Stimme echote durch meine Gedanken während meine Augen auf den gescheckten Arsch des kleinen Hengstes starrten, der vor mir in einem schier endlosen Gleichklang über die regennasse Straße trabte. Sein weißer Schweif, längst gelb geworden ob des schlechten Wetters, zuckte gelegentlich und brachte etwas Abwechslung in den Trott unserer Reise. Damals hatte ich es nicht gewusst. Damals als wir gemeinsam, in bunt gehäkelte Decken gehüllt, vor dem Lagerfeuer saßen. Arm in Arm mit unseren Genossen heißen Gewürzwein tranken und halbgares Stockbrot aßen. Es hatte einige Vermutungen gegeben, aber ich erinnere mich nicht mehr an sie. Ich weiß nur noch, dass es sie gab. So war das mit dem Verstand. Er erinnerte sich gelegentlich an unnützen Quatsch und dann wieder, wenn man genau solche Belanglosigkeiten, im Wissen sie zu besitzen, abrufen wollte, waren sie einfach fort. Nicht mehr existent und vergangen wie der Rauch einer Zigarette an einem lauwarmen Sommerabend. Der Rauch einer Zigarette an einem lauwarmen Sommerabend...Ich bleckte die Zähne und zog eine Grimasse. Ich war auch so ein lauwarmer Sommerabend.
„Wisst ihr wieso die Bösen meistens unterliegen?“ Ich wusste es nicht. Damals nicht, heute schon. Er hatte uns lange auf die Folter gespannt und sich jeden einzelnen Verdacht angehört. Unsere Geduld bis zum äußersten ausgereizt und sich dann noch einmal ein Stück Brot zwischen diese beneidenswert weißen Zähne geschoben. Es war mir, die ganze Zeit über und jetzt immer noch, ein Rätsel wie ein Mann, der sich über Wochen in der Wildnis herum trieb, über so helle Zähne verfügen konnte. Beinahe als fürchtete sich der Schmutz davor sich auf sein elendendes Lächeln zu legen und ihm dadurch seine Ausdruckskraft zu rauben.
Mit der Zungenspitze fuhr ich, verborgen vor den Augen anderer, über meine Kauleiste. Klar fühlte ich den Pelz, der sich darauf gelegt hatte. Was hatte ich auch anderes erwartet? Grimmig zog ich das Tempo meines Schimmels an, nur um es gleich wieder herab zu drosseln weil ich meine Position nicht verlassen durfte.
„Wisst ihr wieso die Bösen meistens unterliegen?“ Scheiße nein! Mir musste wirklich verdammt langweilig sein, dass ich gerade jetzt daran dachte. Ich warf einen Blick über die Schulter und sah einen der Hunde durch den Straßengraben wetzen. Diesen Biester ging auch niemals die Puste aus. Vor mir ritt Hase auf seinem viel zu kleinen Schecken. Immer dann wenn der Weg eine Kurve machte oder wir das Tempo steigerten, ertappte ich mich dabei darauf zu warten das Pferd unter dem Brocken zusammenbrechen zu sehen. Zähes, kleines Biest. Am Anfang hatte ich über den Anblick noch gelacht und mich köstlich darüber amüsiert. Jetzt kam ich nicht umhin dem Tier meinen Respekt auszusprechen dafür, dass es offensichtlich der wackerste Kamerad von uns allen war. An der Spitze ritt der Lurch auf seinem schmutzbraunen Wallach. Hinter ihm lehnte eine Rekrutin. Wie alt genau sie war hatte ich nicht gefragt. Zwölf vielleicht. Dreizehn? Keine Ahnung. Ich bildete das Schlusslicht. Vier waren wir und wieso wir hier draußen waren, war mir noch immer ein Rätsel. Ich kannte wohl den Grund, aber sein Sinn erschloss sich mir dadurch nun auch nicht unbeding. Während die Meilen träge unter uns vorbei zogen, hatte ich aufgehört nach ihm zu forschen.
Es war eine recht überschaubare Gruppe, bestehend aus vier Reitern, die am späten Nachmittag im Apfeleck in Gendarran einfiel und sich in dem Gasthof nahe der Hauptstraße einquartierte. Den Tag über hatte es, mit einigen kurzen Unterbrechungen, durchgehend geregnet. Die Wege und Pfade waren aufgeweicht und durch die schweren Landwirtschaftskarren zerwühlt und verschlammt. Wer nichts vor der Haustüre zu suchen hatte, der saß drinnen vor dem Herdfeuer und wärmte sich die frühjahsmüden Glieder, während das Teewasser in den Kesseln langsam zu gluckern begann.
Gerade in den letzten Wochen kamen vermehrt Fremde durch die Ortschaft und darum wunderte sich niemand über den Besuch. Verstohlene Blicke trafen vielleicht die Rücken der Gäste als sie in die Taverne einkehrten, aber schnell waren sie auch schon wieder vergessen. Erst als es Abend wurde und die Männer und Burschen sich auf ein Bier in dem Gasthaus einfanden, es gab ja ansonsten nicht viele Vergnüglichkeiten hier, wuchs das Interesse an den Fremden.
Der große Blonde schmeckte Blut auf seinen Lippen und der Zunge als er einen Schritt nach hinten wich. Er schnaubte mit zusammengezogenen Augenbrauen und einer Stirn, die vor Anstrengung glänzte. Seine Fingerknöchel brannten. Das Fleisch beklagte sich mit einem ätzenden Ziehen. Genug für heute, begehrte es auf. Genug. Die Muskeln zitterten unter der Anspannung. Halb geduckt, halb zum Sprung bereit begann der Bulle um seinen Kontrahenten herum zu schreiten. Seitlich ging er, dem anderen die Fäuste präsentierend.
Der Schweiß schimmerte im Licht der Fackeln nicht nur auf seiner Stirn und den Wangen. Er glänzte auf den nackten Schultern, der Brust und dem Rücken. Der Atem kam vollends kontrolliert. Hier war kein Platz für Aufregung. Nicht jetzt. Er musste die Oberhand behalten, die er sich gerade so hart erkämpft hatte. Sein Gegner strauchelte schon. Ein Treffer noch. Vielleicht zwei.Der Blonde spuckte auf den Boden, dann fuhr er sich mit der Zunge über die schmalen Lippen, die sich dabei zu einem wissenden Lächeln verzogen. Halb spottend, halb provozierend. Komm doch, rief es dem anderen entgegen. Komm doch.
Mit einem gewaltigen Hieb grub er seine Faust in die Seite des Dunkelhäutigen. Ein böser Nierenschlag, der den Brocken von einem Kerl aus dem Stand riss und ihn auf den gepflasterten Tavernenboden beförderte. „Ich habs dir gesagt!“, rief irgendjemand aus dem Hintergrund und johlte dabei lachend. Andere stimmten mit ein. Aber es gab auch Männer in dieser Schenke, die sich weniger begeistert zeigten und irgendwo zerbrach eine Flasche.
Der Kampf war noch nicht vorbei. Nur weil der Gegner am Boden lag durfte der andere sich noch lange nicht als Sieger sehen. Das wäre dumm. In solchen Spelunken gab es keine Regeln. Es ging so lange weiter bis einer nicht mehr konnte und besinnungslos liegen blieb. Oder schlimmer. „Steh auf.“, höhnte die Stimme aus der Menge. „Nu mach schon!“ Dann lachte sie.
Der Blonde schwieg. Sein Herz donnerte von innen gegen den Brustkorb und pumpte das kochende Blut mit einer wahnwitzigen Geschwindigkeit durch den bebenden Leib. Den Mund hatte er ein Stück geöffnet um besser atmen zu können. Die Unterlippe leicht nach vorn geschoben. Es knackte leise als er den Nacken einmal zu beiden Seiten streckte um sich ein wenig zu lockern. In dem Augenblick machte der Liegende einen Satz nach vorn. HA! Mit einem derben Tritt mitten in das verschwitzte Gesicht wehrte der Blonde den Angriff ab und brachte die Zuschauer damit zum grölen...und fluchen. Stöhnend rollte der Liegende sich dabei auf den Rücken. Ein roter Schleier legte sich über seine Sicht. Blut schoss aus seiner Nase und quoll ihm über die Lippen. Ein Stück der Zunge hatte er sich bei dem Treffer abgebissen.
„Erledige ihn endlich!“ Der blonde Kopf zuckte. Geh weg, Stimme, ich regel das schon. „Mach ihn nieder!“ Andere fielen in die Rufe mit ein. „Du hast ihn!“ Los....he hehe ha...ja, das wollten sie. „Nun mach endlich! Aufs Maul!“ Einen Schritt ging er auf den Keuchenden zu. Sein Herz überschlug sich und der Atem, der kam jetzt nicht mehr so ruhig. Er war dem Sieg nahe. Ganz sicher. Lauernd warf er einen Blick auf den Gefällten, der sich sicherlich gleich bepissen würde...wenn er das nicht schon getan hatte. Es roch hier alles so abartig falsch, dass man das nicht mit Bestimmtheit sagen konnte. Wie jämmerlich er da unten aussah. Erbärmlich. Da hatten ihm all seine vielen Muskeln auch nichts gebracht. Eloner...er schnaubte und grinste dabei. Dann legte er sich die geballte Rechte gegen die Brust, streckte den Ellenbogen aus und warf sich mit einem tiefen Schrei seitlich auf den anderen, dem es die Luft aus den Lungen trieb und die Augen aus den Höhlen.
Die Menge tobte. Münzen klirrten als sie den Besitzer wechselten und Bierkrüge schlugen dumpf aneinander. „Ich wusste es ! Gut gemacht! Ha! Wir haben gewonnen!“ Der Sieger zuckte nur wieder mit dem Kopf zur Seite. Es war hier zu laut. Der Schwinger gegen sein linkes Ohr war nicht ohne Folgen geblieben. Sein Kopf dröhnte und es fiel ihm schwerer als gedacht wieder auf die Beine zu kommen. Den Besiegten ließ er einfach liegen. Irgendjemand würde ihn schon wegschaffen. „Drauf trinken wir einen. Oder zwei...HA! Oder drei! Wirt! Gib mir und meinem Freund hier ne Flasche!“Gewonnen. Die schmalen Lippen hoben sich zu einem zufriedenen Lächeln an, das etwas selbstgefälliges in sich trug. Dann nickte er langsam. Ja...gewonnen. Er hatte keinen Augenblick daran gezweifelt.
Zur gleichen Zeit starb Ignis Vogelfrey am anderen Ende der Siedlung einen grässlichen Tod. Der große, drahtige Mann mit den riesigen Händen, den viele hier vom Sehen her kannten, hatte sich heute für das falsche Mädchen entschieden. Die braunen Locken hatten ihn verzaubert und ihn dazu getrieben die Kleine aus ihrem Zimmer in der Taverne zu rauben, während ihr Vater den Schankraum aufmischte. Die Mutter hatte er schlafend im Nachbarzimmer zurück gelassen. Er wusste wie man Kinder stahl. Schließlich hatte er Bedürfnisse...
Jetzt lag er, einen letzten röchelnden Atemzug von sich gebend, halbnackt auf den Dielen seiner Wohnstube. Rosafarbener Schaum stand vor seinem Mund und war ihm über die Bartstoppeln bis auf seine grobe Kehle herunter gelaufen. Fassungslosigkeit. Die war es, die in seinen Augen stand, als das Leben aus ihnen wich.
„Er war ein böser Mann.“
„Das war er.“
„Er hat den Tod verdient.“
„Das ist richtig.“
„Wenn ich ihn nicht umgebracht hätte, dann hätte es jemand anderes getan.“
„Rechtfertige dich nicht.“
„Ich rechtfertige mich nicht. Ich will nur sicher sein.“
„Du kannst dir sicher sein. Hättest du ihn nicht ermordet, dann hätte es jemand anderes getan.“
„Ich denke ich werde damit klar kommen.“
„Das solltest du auch.“
„Er war keiner von uns oder?“
„Nein, er war keiner von uns.“
„Dann tut es mir auch nicht leid.“
„Gut.“
„Was machen wir jetzt mit ihm?“
„Hol den Topf mit dem Honig rein.“
„Wieso eigentlich Honig?“
„Konservierung. Ist billiger.“
„Ich oder du?“
„Zusammen. Ich zeige dir wie es geht.“
„Sie werden mich nicht kriegen oder?“
„Liebes...Wer bist du?“
„Ich bin du. Du bist wir. Wir sind viele.“
„Siehst du? Er ist alleine. Außerdem ist er tot. Es wird sich niemand um ihn scheren.“
„Das erschließt sich mir.“
„Hol jetzt den Honig, Liebes.“
„Wisst ihr wieso die Bösen meistens unterliegen? Nicht? Ich sage es euch. Sie hören sich einfach zu gerne reden.“ Ich erinnere mich noch gut an die ganzen verständnislosen Gesichter. Sicherlich hatten sie alle, wir alle, jetzt mit einer bahnbrechenden Geschichte gerechnet und nicht nur mit einem so überschaubaren Satz, der unsere Vorfreude mit einem Messerstich erdolchte. Ich begriff die Ironie seiner Worte erst Jahre später. Und als es soweit war, stellte er uns die nächste Frage. „Wie definiert sich eigentlich das Böse?“
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