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Gewalt und vulgäre Ausdrücke/Schreibweise.
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Ihre Jubelrufe bersten grölend rau durch die dämmrige Abendluft. 'Nur noch ein Schlag!', 'Gib ihm den Rest!' wollen sie befehlen. Ein weiterer Treffer und der angeknackte Kiefer bricht. Seine Faut, erhoben und dazu bereit diesem blutigen Schauspiel ein Ende zu bereiten zögert allerdings. Nicht weil er es nicht könnte. Es ist schon jetzt ein Sieg über den Kerl, den er im zertrampelten Matsch vor den Stallungen zu Boden gerungen hat. Breitbeinig haben die Knie sich rechts und links in das aufgeweichte Erdreich gedrückt. Ein Schlag noch. Ein verdammter Schlag. Das wollten sie alle um ihn herum sehen, die zuvor in schieren Beifall ausgebrochen waren, als die Knöchel seiner Faust gegen den fragilen Knochen trafen und seinen Kontrahenten an den Rande des Bewusstseins schleuderten.
Im Dreck, nur unweit des Soldaten, der unter ihm irgendetwas unverständliches winselte - es kam wohl "Bastard" und ein zwischen Blut und verschobenem Kiefer genuscheltes "Hurensohn" hervor - liegt der Grund für all das, während des Rauschs der Kette an Schlägen vollkommen in Vergessenheit geraten.
"Angeklagt ist Cornelis von Löwenstolz, ehemaliger Korporal des 7ten ministerialen Wachregimentes und enttarnter Ritter des weißen Mantels. Ihm wird zu Lasten gelegt, Mitverschwörer gegen die Krone und das Land Kryta zu sein, im Dienste des Verräters Caudecus."
Plötzlich kommt das Gefühl von innerem Dreck auf. Es ist nicht dieser klebrige, von Pferdeurin durchtränkte und stinkende Boden. Gefühle wie dieses übertreffen auch den bestialischsten Gestank. Berstend flieht ein feuriger Dämon durch die verzweigten Wege der Adern, befiehlt ihm den letzten Schlag. Wenn er das nun machen würde, dann bricht ein ganzer Haufen dieses emotionalen Gestanks über ihn herein.
Primitiv. Er hat sich wegen dem vergossenen Inhalt einer Feldflasche geschlagen, deren Inhalt nun eins mit dem unansehnlichen Boden geworden ist. Nicht ein Wort verlässt die trockenen Lippen, kaum stemmen seine Beine sich in die Höhe. Dafür keift die blutrünstige Meute um ihn herum buhend. Sie wollten mehr sehen.
"Gleichermaßen ist er des mehrfachen Mordes an Bürgern des Landes und Dienern der Krone beschuldigt.
Cornelis von Löwenstolz wurde in allen Aklagepunkten für schuldig befunden, bestätigt von der glänzenden Klinge, unterstellt der Königin höchst selbst."
Man lässt den armen Tropf allein liegen. Die Panzerstiefel tragen ihn durch das abendliche Lager, sind schwerer als sonst. Im Hintergrund muss er sich weitere dieser enttäuschten Rufe an den verschwitzten Hinterkopf werfen lassen. Sei's drum. Er war nicht dort, um einen Gladiator darzustellen den man anfeuern konnte.
Mit schlurfend-erschöpftem Gang geht es zurück zum eigenen Mannschaftszelt. Noch sind seine Kameraden nicht hier; also kann man sich am unerlaubt mitgeschliffenen Alkohol bedienen. Es war ein offenes Geheimnis unter den Offizieren. Die Richtlinien verbieten das Saufen, aber wer säuft, der kann zumindest einen Abend von dem ganzen Frontscheiß entspannen. Wer also mit der Rumflasche nicht direkt vor dem Feldwebel rumtanzt, der hat auch nichts zu befürchten.
Es ist zwar gar nicht sein Vorrat, sondern der des Gefreiten Dorninger, aber das interessiert ihn nicht. In dem Moment will er sich einfach nur von innen desinfizieren. Sich verschwitzt stinkend sauber waschen. Eine Flasche wird gekippt, viel zu schnell, er hat kaum was im Magen, das Zeug haut rein.
Bald schon liegt er mit starrem Blick zur hohen Zeltdecke auf dem ausgelegten Boden.
"Der Angeklagte erhält als Strafe für Hochverrat und mehrfachen Mord, den Tod durch das Schwert."
Wie verdammt primitiv sie waren. Spuckten bei ihren wilden Rufen, reckten die Faust in die Höhe und grölten, brüllten, schrien völlig außer sich. Rohe Gewalt ist der Zunder zum Urzustand des frustrierten Menschen. Es war abartig. Die Gier danach noch mehr Blut zu sehen, Knochen knacken zu hören, die Sicht auf den wehrlosen und der entarteten Behandlung ausgelieferten Jüngling. Es waren wohl gar nicht die eigenen Taten, die zu dieser stinkenden Empfindung führten. Plötzlich schießt es durch seinen Kopf und fördert ein einsames, besoffenes Lachen hervor. Die anderen waren es, welche sein Handeln zum Zweck der Unterhaltung herabgestuft haben. Verdammte Schweine. Noch eine halbe Flasche Rum muss es sein, sie erstickt das Lachen, die Hälfte des Gesöffs verfehlt seine Mundöffnung sowieso und läuft irgendwo am Rand des Mundwinkels in breiter Bahn runter. Dann wird es dunkel, die Gedankenwelt dumpf und schweigsam, er driftet ab. Die Flasche landet neben ihm, läuft aus, der Inhalt durchtränkt den ausgebreiteten Stoff.
"Mögen die Sechse sich seiner Seele in Gnade annehmen, die er im Leben verwirkt hat und weiteren Hochverrätern ein Mahnmal sein."
Somit endete die Anklageschrift, verlesen durch seine Schwester. Unruhe ging durch die Reihen der Zuschauer, Geraune, vereinzelte Rufe, verbissene Blicke. 'Der Kopf soll rollen!' - 'Köpft diesen Verräter endlich.' - 'Macht mal schneller, ich bin nicht wegen Geschwafel hergekommen!'
Das ist keine Bühne, wollte er ihnen allen antworten. Inbrünstig und so laut, dass es das gierende Volk verstummen ließ. Aber die einzige Antwort auf ihre fordernden Rufe war das Beil des Henkers Nolan. Wuchtig zerteilte die geschärfte Klinge am Anfang die Luft, dann den Hals des Verurteilten. Der Kopf wurde abgespalten, Blut spritzte, dumpf landet das Körperteil im dafür vorgesehenen Korb. Nachdem es geschah war er für wenige Momente paralysiert. Einen Feind im Kampf zu köpfen war etwas anderes, man hat eine Bindung zu seiner Schuld, es wirkt richtiger.
Doch was ihn tatsächlich berührt sind die Rufe. Die Menge. Dürften sie, würden sie sicherlich noch das Blut des Gerichteten saufen und sich darum streiten, wer den Kopf behalten darf. Wieder findet es fruchtbaren Boden, dieses schmutzige Gefühl. Bald zwanzig Jahre Frontdienst und eine Enthauptung schafft es, ihn zu solchen Abschweifungen zu verführen. Verweichlicht. Nach dem öffentlichen Ereignis wird er sich einen weiteren Abend mit seinen beiden besten Freunden gönnen. Den guten Aschfurt-Zigarren und der angefangenen Flasche Whisky.
Am darauffolgenden Morgen schmeckt er die bittere und glitschige Erde im Mundwinkel, fühlt den kühlen Untergrund an seiner Wange. Es riecht irgendwie streng. Die eigenen Kameraden haben ihn vor's Zelt geworfen und in der eigens ausgespienen Kotze einschlafen lassen. "He Soldat, was ist das denn für eine Stümperei?" Die Stimme einer etwas älteren, gerüsteten Frau dröhnt an sein benebeltes und nicht im Dreck liegendes Ohr. "Habt wohl etwas über die Strenge geschlagen." Aber die rüstige Frau schmunzelt dezent und hilft dem Kerl bei seinen schwachen Aufstehversuchen, greift ihm unter den Arm, auch wenn ihre Rüstung dadurch etwas zähe Erde abbekommt. Sie schnauft.
"In einer Stunde beim Eingang des Feldlagers. Gerüstet und bereit für ein paar Runden ums Lager. Den Kater prügel ich höchstselbst aus Eurem Kopf, wenn es denn sein muss."
Er selbst ist weiterhin völlig neben der Spur. Selbst das Antlitz der gerüsteten Frau mit den ersten, grauen Haaren im Schopf erkennt er nur schwammig. Sie tritt dezent zurück, sorgt dafür dass er eigens auf den Beinen steht und spricht wieder militant.
"Ich bin Hauptgefreite Ellen Kane, Truppführerin für die Operation heute Abend. Und Ihr beeilt Euch besser, denn aus der Stunde sind nun bereits 55 Minuten geworden."
Starr erhebt sich ein Mundwinkel auf dem Gesicht von Kane, als sie das elendig anmutende Antlitz einer ihrer zugeteilten Soldaten anblickt.
Doch er salutiert schwach, stolpert ins Zelt zurück und rüstet sich mit streikendem Kreislauf.
Und während er sich im frühen Sonnenaufgang, angeführt von dem strammen und vorbildlichen Tempo Kanes durch die zu laufenden Runden beißt, nüchtert die kühle Morgenluft aus und er realisiert: Das war's wert. Alles. Am Ende hat er die blutdurstige Aufmerksamkeit genossen. Man darf nur nicht zu viel darüber nachdenken.
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