Warnung: Gewalt/Splatter
Explizite Lesewarnung
Blut, Leichen, Innereien
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~ Maguuma-Dschungel, Sommer 1316 ~
Es tanzten nur wenige Fliegen um den Kadaver des Mannes, obwohl seine rot verschmierten Darmstränge und inneren Organe aus dem Bauch klafften wie Fruchtkompott aus einer aufgebissenen Teigtasche. Selbst der Panther wollte seine Fänge nicht in das Fleisch schlagen, strich auf lautlosen Pfoten um den Leichnam herum, gelegentlich fauchend. Schinkenwursts verbliebene Hand fuhr geistesabwesend über das glatte schwarze Fell seines Begleiters. Das Fell schimmerte im Sonnenlicht, das sein feines Leopardenmuster vage kenntlich werden ließ. Es war der Sucherin ein Rätsel, was ein derart majestätisches Wesen bei einem so abstoßenden Grobian hielt.
Als der Panther das erste Mal aus den Büschen gesprungen kam, hatten alle außer Schinkenwurst und Pickelfresse hastig nach ihren Waffen gegriffen, aber das Tier war die eigentliche Spürnase, nicht der Mann. So viel hatte sich rasch herausgestellt. Sie bekamen die Raubkatze selten öfter als alle paar Stunden zu Gesicht, weit voraus im Dickicht pirschend, doch der junge Ascalonier schien immer zu wissen, in welche Richtung es zu folgen galt. Obwohl er so bullig aussah, war er der Unermüdlichste von allen, fragte nie nach Pausen und blieb überhaupt nur dann je stehen, wenn man nach ihm rief. Das Unterholz schien ihn kaum zu hindern, wo alle anderen mit Lianen und morschem Holz kämpften. Er und seine Katze gaben ein undankbares Tempo vor, und es dauerte nicht lange, bis Holzkopf schwer schnaufte und Pickelfresse erschöpft die mageren Schultern hängen ließ. Yvara hätte es ihnen gerne gleich getan, doch sie weigerte sich, vor den anderen Schwäche einzugestehen. Nicht vor diesem Haufen von Versagern, nicht unter diesen Umständen. Die Machete hatte sie trotzdem wieder Kleiderständer aufgebrummt, der wie alle anderen seine Schwierigkeiten hatte, aber niemals klagte. Der vermummte Lehrling bewies folgsame Entschlossenheit, während er sich mit müden Armen durchs Gewirr der Dschungelpflanzen hackte.
Eine Stunde zuvor hatte Schinkenwurst schließlich verkündet, sein Biest habe etwas gefunden.
Und nun standen sie hier, ein jeder die Verschnaufpause genießend, auch wenn der Anblick wahrhaft abstoßend war. Kleiderständer hatte sich prompt in den Büschen übergeben müssen, nachdem sie auf den Fund gestoßen waren. Irgendetwas hatte den toten Sklaven geradewegs aufgerissen und niedergetrampelt, und in seinem verheerten Fleisch staken mehrere dicke, graubraune Dornen. Ein übler, wenn auch schwacher Geruch lag in der Luft, doch es war keine Verwesung, soweit Yvara das beurteilen konnte.
"Höhlen-Borstenrücken.", sagte Schinkenwurst, der zu allem Überfluss widerlich nach süßlichem Schweiß stank. Er löste die Hand von seinem Tierbegleiter, um einen der Moskitos plattzuschlagen, die seine massigen weißen Oberarme bereits mit etlichen roten Pusteln übersät hatten. "Wenn er nicht tot getrampelt worden wär', hätt's das Gift erledigt."
Yvara knirschte mit den Zähnen. Die Saurier werden sie erledigen, hab ich es nicht gesagt? Doch Umkehren war nun keine Option mehr. "Wie lange liegt er schon hier?"
Schinkenwurst studierte die umliegenden Spuren. "Vierundzwanzig Stunden, plus minus. Wir holen auf."
"Zweiundzwanzig.", sinnierte Pickelfresse, der inmitten von blutgetränktem Dschungelboden kauerte, dicht neben der Leiche. Neugierig glotzte er in die leeren, leblosen Augen des Toten, wie andere Knaben vielleicht ein tolles neues Spielzeug angegafft hätten. Ein befremdlicher Junge, und mittlerweile der Einzige der keine Pickel hatte, denn keine der blutgierigen Mücken schien ihn je zu stechen. Als Pickelfresse einen Finger zwischen die glitschigen Eingeweide steckte, wandte Yvara sich angewidert ab, bevor sich ihr der Magen umdrehen konnte.
"Wir rasten eine halbe Stunde lang.", verkündete sie. "Dann weiter bis zum Sonnenuntergang."
Die Raubkatze verschwand rasch wieder im Unterholz, während die Männer sich bereitwillig dem Zwischenstopp hingaben. Yvara hieß Holzkopf, den Kopf des toten Sklaven mit seiner Streitaxt abzutrennen und suchte sich selbst ein schattiges Plätzchen am Fuße eines Urwaldriesen, um sich mit einigen Schlucken aus ihrer Feldflasche zu erfrischen. Sie wickelte sich ihr rotes Kopftuch vom Haupt und verzog das Gesicht über das inzwischen lauwarme Wasser. Der Maguuma-Dschungel lärmte mit den Schreien brünstiger Tiere, dem ekelhaften Wuseln übergroßer Insekten und dem Rauschen viel zu hoher Baumkronen. In den Wäldern ihrer Kindheit war es immer still gewesen; friedlich, bis auf das sachte Knirschen der eigenen Stiefel auf den gefallenen Nadeln all der Tannenbäume und Fichten. Yvara vermisste Nordkryta. Aber sie hasste den Dschungel mehr als sie ihre Heimat je hätte vermissen können, und das gab ihr Kraft.
Es wird die Zeit kommen, wo ich all das hier nie mehr wiedersehen muss. Eine Zeit der Rache würde es sein. Eine Zeit, in der der Weiße Mantel wieder herrschen würde in Kryta, so wie die Kleriker es prophezeiten. Yvara würde sich ihren Ekel und ihre Verachtung während dieses ausgestoßenen Daseins zunutze machen, um lange genug zu überleben. Zevron, Melchin, ihre Bande abgerissener Handlanger, die Ungläubigen, sie würde sie alle überleben. Durch Hass. Blanken, klaren Hass. So war es ihr beigebracht worden, und Yvara hatte nicht vor, den Weißen Mantel zu enttäuschen. Ihre derzeitige Beschäftigung war Enttäuschung genug. Einen Moment lang erwog sie, ob einer der vier Nichtsnutze vielleicht Manns genug war, ihr die nächste Nacht zu versüßen. Aber sie kam rasch zu dem Schluss, dass sie keine dieser schwitzigen Gaunerhände an ihrem Körper spüren wollte. Der Schönling hätte ihr vielleicht getaugt, wenn er nicht derart unwürdige Kotzgeräusche von sich gegeben hätte. Yvara war fertig mit gutaussehenden Schwächlingen. Melchin hatte ihr diese Lektion erteilt.
Als es schließlich Zeit war aufzubrechen, musste sie Holzkopf mit der Stiefelsohle treten, damit er sein lächerliches kleines Gebet beendete. Der fromme Trottel brachte den Unsichtbaren schlimmeren Eifer entgegen als manch ein Zelot in der Festung der Treuen, und das obwohl er wahrscheinlich nicht einmal lesen konnte und keiner der Kleriker seinesgleichen auch nur mit dem Arsch angesehen hätte, wenn es nach Yvaras Erfahrungswerten ging. Sie konnte nur hoffen, dass der Krieger noch zu etwas anderem zu gebrauchen war denn nur als guter Gläubiger. Das abgeschlagene Sklavenhaupt baumelte an den Haaren von seinem Gürtel, und mangels Teer würde das Fleisch bald schon anfangen zu rotten. Yvara war nicht scharf darauf, den verbliebenen zwei Ungläubigen noch immer hinterher zu jagen, wenn der Gestank erst einmal ins Unermessliche stieg. Sie konnten jetzt nicht mehr weit sein, diese entlaufenen Bastarde, ziellos im Dschungel umherirrend, während die Jäger einer klaren Fährte folgten.
Unterwegs scheuchten sie ganze Schwärme prächtiger bunter Tropenvögel auf, und Yvara erwog einen Moment lang nach ihrem Bogen zu rufen, doch die Vögel waren bereits außer Reichweite, bevor sie den Mund aufmachte. Sie konnten ohnehin nicht trödeln um Beute zu rupfen, redete sie sich ein. Später verfluchte sie sich innerlich für ihr Zaudern, als ihr Magen vom Anblick regenbogenfarbener Federn zwischen den Fängen von Schinkenwursts Panther knurrte. Die Moskitos plagten Yvara unablässig, zu scheinbar jeder Tageszeit. Einmal stach eines der Biester sie so boshaft, dass es minutenlang schmerzte. Ein andres Mal mussten sie sich auf den Pfiff des Bestienmeisters hin rasch zwischen den Sträuchern verstecken und mit angehaltenem Atem ausharren, bis ein gewaltiger Steinkopf-Saurier nur wenige Dutzend Meter entfernt von ihnen vorüber stapfte. Der Wind war günstig und verriet ihren Geruch nicht, doch der Anblick der monströsen Kreatur mit ihrem gepanzerten Schädel und ihrem gestachelten Schweif versetzte der Truppenmoral einen gehörigen Schlag. Nur Holzkopf blieb zuversichtlich, während er die paar wenigen Gebetsphrasen vor sich hin murmelte, die er kannte.
Feine Nebelschwaden zogen zwischen den Stämmen der Urwaldriesen auf. Bald schon würde es dunkel werden, und damit kalt. Die kargen Einöden waren jetzt nah, doch das half wenig um die Stimmung der Gruppe zu heben. Yvara war nicht länger aufgelegt, sie mit harschen Worten zu motivieren. Ihr wurde selbst beständig mulmiger zumute. Nur wenige Ordensleute begaben sich je so weit nach Süden, und noch weniger kehrten später von dort zurück. Über zwei Jahrhunderte des Exils in diesem feindseligen Regenwald, und doch würden die Menschen hier stets Fremde bleiben. Sie konnte die Anspannung der Männer spüren, je tiefer ihr Weg sie in den Dschungel hinein führte, und je weiter die Abenddämmerung voran schritt.
Pickelfresse stiefelte seit ihrer Rast beständig neben Holzkopf einher. "Was machen wir mit den Sklaven, wenn wir sie eingefangen haben?", fragte der Junge leise.
Der ältere Mann zuckte mit den Schultern, ohne seinen stumpfsinnigen Blick vom Weg zu nehmen. "Die Ungesehenen werden es wissen."
"Boss Miller sagt, wenn ich das hier nicht verbocke, schicken sie mich nach Osten. Um den Sklavenhändlern zu helfen. Wissen die, was die Unsichtbaren mit all den Leuten wollen?"
"Niemand kennt Ihre großartigen Pläne, Junge.", entgegnete Holzkopf.
"Warum nicht?" Pickelfresse sah dem Kopf des toten Sklaven beim Baumeln zu.
"Es ist nicht an uns, das Göttliche zu hinterfragen. Wer seinen Meistern blind vertraut, der ist ein guter Gläubiger."
Narren. "Verdammt richtig.", fauchte Yvara dazwischen. "Und wenn ihr zwei noch länger dumm herumschwafelt statt euch auf den Weg zu konzentrieren, wird euch das eure idiotischen Köpfe kosten."
Das brachte die beiden zum Schweigen.
Yvara kämpfte mit ihren Nerven. Sie konnte unmöglich arbeiten, wenn dieser Abschaum sich auch noch frei fühlte, ihre Schachzüge zu hinterfragen. Je weniger die Männer über den offiziellen Wortlaut der Mission wussten, desto besser kam sie aus der Sache heraus, sobald die restlichen Sklaven je einen Kopf kürzer waren.
Und wenn sie dabei ein paar ihrer zusammengewürfelten Männer opfern musste, sollte es ihr Schaden nicht sein.
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