Asche zu Asche

„Du muff‘ mit unf umtfieh‘n, daf haft du verfprochen!“ Flehend und am Arm der hochgewachsenen Kriegerin ziehend schaute die Jungnorn hinauf und schob die Unterlippe ein Stück vor. Große, braune Augen blinzelten feucht, worauf die Unterlippe begann zu zittern. Gut gespielt zog sie die Nase hoch, schniefte und es wurde mit einem schmunzelnden Brummen von der blonden Norn abgetan. Sie strubbelte dem Mädchen den Haarschopf und zerzauste die Zopfpracht. „Eeeh! Meine Tföpfe!“ „‘ch komm mit. Kann doch meine Iida nich‘ allein lass‘n, aye?“ Das Mädchen riss die Arme in die Luft und tänzelte um die Norn herum, von der nahenden Tränenflut keine Spur mehr.



Einem halben Inferno gleich schlugen die Flammen gen Himmel und leckten am trockenen Holz, das sie nach und nach auffraßen. Der rechte vordere Teil der Hütte war eingestürzt und auch das Dach hing schief hinunter, dort wo einer der Stützbalken gebrochen war. Immer wieder knackten die Balken und es krachte noch mehr in die Hütte hinein, bis der Kamin schließlich unter lautem Getöse in sich zusammen brach. Noch immer fassungslos und schweigend starrte das Weib auf die Flammen, die das Heim der Sippe zerstörten und drückte die beiden Kinder fest an sich. In ihrem Kopf hörte sie das Blut rauschen, zusammen mit dem gellenden Pfeifton der glücklicherweise langsam leiser wurde.



„Ma! MA! KUCK!“ Der Junge stand auf der obersten Sprosse der Leiter und hielt sich mit einer Hand am Holm fest. Er grinste über das ganze Gesicht und wartete nur darauf, dass auch seine Ma schaute. Sie hob den Blick von ihrer Arbeit auf dem Tisch und der Junge sprang die Entfernung von fünf Sprossen hinunter auf den Hüttenboden. Dort landete er mit einem dumpfen Schlag, der vom erschrockenen Luft einziehen der Ma begleitet wurde. Grinsend stand der Junge auf, hüpfte jubelnd von einem auf den anderen Fuß und strahlte seine Mutter an, als erwarte er von ihr die größten und schönsten Lobgesänge auf seine Tat. Sie blieben aus. Stattdessen lachte der Pa des Kindes sein tiefes brummendes Lachen, wie er so am Herd stand und kochte. Letztlich fand das Weib doch die Sprache wieder und rieb sich dabei die Stirn. „Geister… wann hast du das denn gelernt?!“ „Gestan! Mit‘m Pa. Mia sin‘ vom Dach gesprung‘n!“ Den sarkastischen Unterton in den Worten seiner Mutter verstand der Junge noch nicht, der Rabenvater allerdings schon. „Ja wunderbar. Das hat der Pa dir ganz toll gezeigt.“ „Ja! ... Maa~ Du musst auch ma‘ mitspring‘n!“



Er strich seinem Sohn über den zerzausten Haarschopf. „Jonne… pass auf deine Schwester und Modda auf. Wir holen, was noch zu holen ist.“ Damit setzte der Kerl seinen Sohn ab und schob ihn zu der weißhaarigen Greisin hinüber, die ein besorgtes Lächeln auf den faltigen Zügen hatte. Anschließend drehte er um, um tatsächlich nochmals in die teilweise brennende Hütte zu eilen und zu retten, was zu retten war. Laut schrie der Junge auf, riss sich von den Händen der Moder und rannte zu seinem Vater wo er sich an dessen Hose krallte. Trotzig und verzweifelt brüllte der Junge seinen Pa an, schlug nach ihm, zerrte und boxte. „Nein! NEIN! Du darfs‘ nis‘ gehen! NEIN PA! NEIN!“ Der Vater hielt inne, sah zu seinem Kind und sank langsam auf die Knie. Er legte seine Hände an die schmalen Oberärmchen, an deren Enden die Hände zu festen Fäusten geballt waren. Der Junge schniefte, schaute jedoch auf zu seinem Vater, der ihm fest in die Augen sah und einen Ernst und ein Gewicht in seine Stimme legte, wie der Junge sie nur selten hörte. Der Vater sprach ein ernstes Machtwort an dem nichts zu rütteln war. „Du wirst auf deine Schwester aufpassen. Hier draußen bei Modda. Ich werde ich die Hütte gehen und holen, was zu holen ist. Danach komme ich zurück!“



Wildes Raunen drang durch die Hütte, deren Luft von den vielen Düften des Festessens geschwängert war. Dicht an dicht drängten sich Norn, Mensch und Asura um den großen Tisch herum, tummelten sich vor dem Feuer auf den Fellen und erzählten munter und ausgelassen. Der Jüngste wuselte zwischen den Beinen der hochgewachsenen Norn umher, immer bewaffnet mit einer angebissenen Wurst. Mit roten Wangen und speckig glänzenden Fingern, die sich auf das Bein seines Opas legten. Breit und fröhlich grinsend legte das Kind den Kopf in den Nacken und sein Blick traf über den gewaltigen Bauch des Alten hinweg dessen Blick. „Is will die Gesisde vom Mond hör‘n!“ verlangte der Junge, biss in die Wurst hinein und wirbelte herum, als ein Ruf durch die Hütte schallte. „Essen ist fertig! Ran an den Tisch!“ Begeistert schrie das Kind, tollte um die Beine der heranströmenden Gesellschaft und kletterte auf den Hocker, der nah am Tisch stand. Der Pa hatte nicht zu viel versprochen: An Jólnirdag wurde ordentlich aufgetischt. Es war egal, ob der Bauch schon von den vielen Keksen und kleinen Leckereien schmerzte. Eilig wurde der Ma aufgetragen, was sie ihm reichen durfte und was nicht.



Immer höher und weiter breiteten sich die Flammen auf dem Holz aus und schlugen aus dem eingestürzten vorderen Teil der Sippenhütte. Dort, wo vor einer kleinen Weile noch die Kühlgrube gewesen war, klaffte ein beachtliches Loch im Boden und der gesamte Hof war übersäht von Asche, Holzsplittern und größeren Holzstücken die noch glimmten. Gebannt starrten die Norn auf die Hüttentüre, die schief in ihren Angeln hing. Es qualmte aus der Hütte hinaus, wo sich eine stetig größer werdende Rauchwolke über dem Gebäude bildete. Noch immer warteten sie auf die drei Kerle, die geeilt waren, um zu retten, was zu retten war. Hin und wieder sah man auch jemanden etwas aus der Hütte tragen, doch entspannte das die Situation keineswegs. Dann knallte es mit einem Mal im Inneren, ein Norn schrie darin lautstark auf und die Hüttendecke sank ein Stück tiefer. Holz knackte, brach berstend und krachte auf den Boden. Man konnte von außen nur erahnen, was sich im Inneren abspielte. Die Kinder schrien ängstlich auf und auch das Weib konnte nicht mehr an sich halten, waren doch nicht nur die beiden helfenden Norn innerhalb der Hütte, sondern auch der Vater der Kinder. Und abermals rollte ein größerer Schwung dicken, schwarzen Rauches aus der Öffnung der Hüttentüre hinaus.



Die kleine Bärenfigurine flog durch die Hütte, begleitet von lautem Kindergeschrei und Gelächter. Leise klackend landete das geschnitzte Stück Holz unter dem großen Wasserkessel nahe des Kamins. Die beiden Kinder lachten freudig auf und das Mädchen klatschte unbeholfen in die Hände, schaute dabei mit großen blauen Augen von der Figurine zu ihrem älteren Bruder. Dieser grinste breit, stimmte in das Lachen mit ein, als sich das Mädchen glucksend aufmachte, um den Bären zurück zu holen. Vor dem Kessel allerdings blieb das Mädchen sitzen und brabbelte ein leises „Ma!“ vor sich hin. Die Begegnung mit dem heißen Kessel hatte sie vor ein paar Tagen gemacht, was ihr scheinbar noch allzu gut im Gedächtnis hing. „Heiß,“ stellte das Kind fest, schob die Unterlippe zu einer kleinen Schmollschnute nach vorne und schaute sich nach seiner Mutter um. Der Kopf wurde weit in den Nacken gelegt, als die Mutter ankam und sich neben das Mädchen kniete. „Heiß.“ Sprach Sóla und schaute die Ma mit ihren großen Augen an. Doch die Ma griff rasch unter den Kessel und zog den Bären zwischen den eisernen Standbeinen des Kohlekorbes heraus, um ihn im Anschluss dem Kind in die Hände zu geben. Vergnügt quietschte das Kind und die Mutter lachte fröhlich auf, strich dem Mädchen über die zahlreichen roten Löckchen.



Zwei Norn stolperten aus der Hütte hinaus, dicht gefolgt von dem Dritten. Ihre Gesichter waren von Schweiß und Ruß fleckig und die Kleidung zusätzlich noch mit Splittern von Glas und Holz geschmückt. Ein beinahe schon panischer Aufschrei des Weibes klang ihnen entgegen, als der Junge sich losriss und so schnell er konnte in Richtung Hütte rannte. „Mein Messa! MEIN MESSA!“ Die Norn drückte die weinende Welpe in die Arme der Moder und setzte dem Jungen nach, nur um das verletzte Bein zu hastig zu beanspruchen und in den Schnee zu fallen. Doch war es der Vater, der den Flüchtenden in seinem Versuch auszuweichen am Kragen packte und nach oben hielt. Der Junge schrie und tobte, trat um sich und wollte aus seinem Hemd schlüpfen, um dem festen Griff seines Pa zu entwischen. Ehe es jedoch soweit kam, schlossen sich die kräftigen Arme der Ma um den kleinen Körper. Sie schluchzte auf, presste ihr Kind so fest an sich, als wolle sie es erdrücken und sank auf die Knie in den Schnee. „Du… nicht. Niemals.“ Nicht im Traum würde es ihr einfallen, ihren Sohn nochmals loszulassen. Und noch immer weinte der Junge seinem Messer nach, trat jedoch nicht mehr um sich.
Ein tiefes Grollen erklang von dem Rabenvater, welcher grimm auf die Hütte starrte. Das Dach gab nun vollends nach, krachte in das Innere der Behausung und Funken stoben hinauf in den Himmel. Der Norn ballte seine Hände zu Fäusten und brüllte in die Nacht hinaus. „ICH WERDE EUCH FINDEN! ICH WERDE EUCH TÖTEN! MEIN ZORN WIRD EUCH EIN BLUTIGES ENDE BRINGEN!“

„The Norn will not change simply because the Dwarves do not understand our ways.
I'd rather be hated for who I am than loved for who I am not.“

Jora

Kommentare 5

  • Wenn etwas nicht mehr vorhanden ist, mit dem man viele Erinnerungen verbindet, weiß man, wie gern man es hatte.
    Die Erinnerungen an eine Behausung, die schon immer ein Zuhause war werden immer da bleiben. Das konnte ich sehr schön rauslesen.
    Als ich am Ende der Geschichte angekommen bwar, wollte ich am liebsten umblättern und weiterlesen...ich freue mich auf die weitere Geschicht.

    • ^^ Mal schauen ob irgendwann mal umgeblättert werden kann. Danke dir! :)

  • Ich finde es total schön. Da brennt die Hütte ab und zwischendurch wird noch erzählt, was man darin erlebt hat. Einblicke aus einem Leben, was durch den Brand erstmal zerstört wird. Wunderschön. Wirklich.