Piratentochter V

Tabitha war nie ganz ordentlich und ist es auch in diesem Zimmer nicht. Obwohl sie hier noch gar nicht so viel hat ist das, was sie hat, im Raum verteilt. Hier und da liegen Klamotten und auch Papier, Bilder, die sie zeichnet, wenn sie mal Zeit hat, sie liegen gerade sogar kreuz und quer auf dem Boden. Es wirkt nicht so, als hätte sie gewütet. Es wirkt eher so, als wären sie durch einen Windstoß vom Tisch gefegt worden und nun als Teppich benutzt. Die Bilder zeigen oft das Meer. Und das, was sich darin befinden könnte. Es beginnt mit einfachen Dingen. Hände, die sich gegenseitig halten wollen, aber nicht zueinander finden. Der Versuch eines Delphins unter Wasser, wilde Schnörkel. Er kennt ihre Körperkunst, die sie bisher wunderbar gemalt hat. Davon weicht das hier vollkommen ab. Keine Ordnung ist in den einzelnen Bildern. Es sind mehr wirre Zeichnungen. Anscheinend hat sie versucht das Chaos im Kopf mit viel schwarzer Farbe und ein paar kleinen roten Stellen auf Papier zu bringen.


"Simmy... was willst du hier?"


Simmy antwortet nicht gleich. Er nimmt sich die Zeit durch ihre Bilder zu reisen, befasst sich noch eine geraume Weile länger mit den Bildern, die wenig technisches Können zeigen, dafür viel Emotion. Wutmalerei würde er es vielleicht nennen. Dann sieht er zu ihr her. Er bleibt aber dort stehen, dort in den Bildern. Das Buch bleibt stecken, er lehrte sie einst sein Alphabet und wenn sie sich konzentriert kommt sie auch mit, er macht es langsam:


Reden.


"Reden." Sie entziffert das Wort und spricht es laut aus. "Was gibt es denn zu reden?" Sie lacht einmal auf und lehnt den Kopf an die Wand am Fenster. "Es wurde doch alles gesagt. Es wurde... einfach alles gesagt." Sie seufzt. Keine Wut. Keine Furie. Resignation. Doch dann deutet sie auf den Schleicher als würde sie für ihn die Bühne freigeben.


Sie weist ihm seine Bühne und er nutzt sie. Allerdings bleibt das Buch auch jetzt noch stecken. Die Finger aber krümmen sich auf eine Weise die unnatürlich, ja gar etwas widerwärtig aussieht, vollführen eine kurbelnde Bewegung und dann schwebt eine ihrer Zeichnungen unter einem Luftstoß auf. Es ist die mit den Händen, die versuchen sich gegenseitig zu halten, es aber nicht vermögen. Es fliegt einmal um ihn herum, so dass Tabitha es ganz genau erkennen kann, und klatscht dann einfach seitlich weg, irgendwo in eine andere Ecke des Raumes. Er zeigt ihr den kleinen Finger, lässt den kleinen Finger der anderen Hand darin einharken und dann mit einem dynamischen Ruck abgleiten, spreizt die Hände weit auseinander, lässt nun andere ihrer Papiere schweben, chaotisch, ohne ihr ein spezielles zu zeigen, doch als sie sinken, sich wieder wirr zu seinen Füßen verteilen, da harkt er die kleinen Finger seiner Hände wieder neu ineinander, fest und innig, reißt dran und doch bleiben sie zusammen. Der taubengraue Blick sticht dabei fest in ihren, unwissend ob sie versteht, was er ihr sagen will.


„Du findest ich hab zur Zeit keinen Halt und alles fliegt mir weg?“ Bestätigung in Form eines festen Nickens.


"Willst mir das sagen, dass es bisher keinen festen Halt gibt? Nicht mal... Freunde?" Hier eine Verneinung in Form eines deutlichen Kopfschüttelns und dann wieder die innig ineinander verhakten kleinen Finger, die nichts zum reißen bringt, danach eine Geste auf sie und eine Geste auf sich selbst. Dann wieder die verhakten kleinen Finger als solides Band.


"Du weißt, dass ich dieses Symbol als Freundschaft verstehe, ja? Das DA bedeutet Freundschaft. Ein Versprechen. Ein Versprechen unter Freunden. DAS DA haben wir uns schon einmal gegeben, weißt du das noch? Freundschaft versprochen." Er bringt sie dazu wütend heiße Tränen zu vergießen. Und das relativ unvorbereitet. Sie wischt sie nicht mal weg. Aber sie kann auch nicht aufhören. Diese Erinnerung mit der Kombination des Gespräches in Roscoes Raum... Das, was sie erfahren hat.


Er nickt lang und fest als sie sagt, dass sie dieses Symbol als Freundschaft versteht. Ja, er weiß es und er gebraucht das Symbol in diesem Sinne. Doch als ihr die heißen Tränen in die Augen steigen, da ist es vorbei mit dem Hokus Pokus und den Fingerzeichen. Er stapft über die blutigen Zeichnungen hinweg zum Fenster hin, mit jener kraftvollen Entschiedenheit, die deshalb so gruselig ist, weil sein Gesicht nie ablesen lässt mit welcher Emotion er das tut. Mit ihren Tränen verschleierten Augen könnte sie nun wohl ohnehin kein Wort lesen also verzichtet er für den Moment gänzlich auf 'sprechen' und will ihr einfach in den Nacken greifen um sie heran zu ziehen, in eine freundschaftliche Umarmung.


Es scheint am Anfang auch nicht aufhören zu wollen, es brechen Dämme, die doch sonst alles recht gut in Zaun gehalten hatten. Schmerz. Verlust. Angst. Alle schlechten Emotionen fließen über die Wangen und werden von ihm aufgefangen. "Es tut mir leid." Endlich Worte. Irgendwo in dem Geschluchze. Leise Worte, Als könnte sie damit auch noch etwas kaputt machen.


Auf ihr „Es tut mir leid“ unterbricht er, was immer seine Hand da schreiben wollte in das Buch, was er aus seiner Tasche geholt hatte und dreht das Gesicht wieder in ihr Haar. Es ist eine sehr langsame, fast schon ehrfürchtige Bewegung, an deren Ende er einen Kuss in ihre Locken setzt, einen liebevollen vergebenden Kuss. Es ist ihm vielleicht anzuspüren, dass ihr „Es tut mir leid“ etwas ist, das er ersehnt hat. In vielen Stunden in Liebe und in Hass. Es ist ein Moment, den er sich vorgestellt hat, immer wieder, mal in einer perversen Gewaltphantasie, mal so rein und befreiend wie jetzt gerade. Es ist etwas, das ihm etwas bedeutet, tief im Kern. Doch sobald er dem seinen Respekt gezollt hat schreibt er weiter und verschiebt das Buch dann so auf der Fensterbank, dass sie es mit einer Kopfdrehung einsehen kann: Ich weiß, wer du bist. Du bist ein Monster und du bist ein Mensch. Du bist gut und böse. Ich liebe dich und ich hasse dich... weil du all das bist. Aber ich war immer dein Freund. Selbst als der Hass stärker war... Ich bleibe immer dein Freund. … Und das damals war nicht nur deine Schuld. Ich habe mich selbst dafür mehr gehasst als ich dich gehasst habe.


"Du wolltest mich nie wieder sehen. Das verstehe ich jetzt. Ich verstehe so viel. Wenn ich die Zeit zurück drehen könnte..." doch sie kann den Satz nicht beenden. Es dauert wieder lang. "Er würde dich töten. Das hast du einmal gesagt. Das ist alles, was ich wollte - Dass er dich nicht tötet. Aber es gibt schlimmeres als den Tod... es gibt einfach... Es stand mir immer im Weg. Er könnte dich töten. Immer. Hätte ich gewusst..." Er würde niemals wieder eine Frau beglücken können. Niemals eine Familie haben. Ob die Mannschaft zugesehen hatte, als Ihr Vater es getan hat?


Sie endet tatsächlich genau an der richtigen Stelle, Er kann gar nicht anders als mit dem Kopf vorzurucken und sie zu küssen. Es ist ein Impuls ohne jede Vorankündigung. Selbst wenn das Gespräch hier eben noch eins unter Freunden war - er kann einfach nicht anders. Es ist als versuche er als kleines Metallplättchen gegen einen Magneten anzukommen, er muss sie küssen. Bereuen kann er später, gleich, in wenigen Sekunden, aber jetzt, jetzt muss er sie küssen.


Und sein Kuss tut genau so gut wie eine Umarmung und an seine Brust drücken. Er küsst sie immer noch. Er küsst sie, obwohl jetzt beide wissen, dass das, was ihm angetan wurde daraus resultiert. Weil er sie geküsst hat. Ein Jahr lang hatte sie davon nichts gewusst. Und er tut es wieder. Er tut es, obwohl sie... ihn verraten hat. Sie weißt ihn nicht mehr ab. Sie würde ihn nie wieder abweisen. Niemals wieder. Jetzt weiß sie das. Es ist so klar. Es steht so fest. Ja, ein schlechtes Gewissen kann sie später haben. Das Monster und der Mensch. Das ist sie und er liebt sie dafür.

Kommentare 14

  • Hachweh.

  • Liebe ist es, was Seelen an Seelen bindet. Das wusste schon der gute Schiller und manchmal muss ein Kuss einfach sein, weil Worte, gesprochen oder geschrieben, nie so viel sagen können wie ein Kuss.
    Danke das du das mit uns geteilt hast.

  • <3

  • *fügen sie hier ein gebrochenes Herz Symbol ein*
    x'D


    Ansonsten - gut geschrieben!
    Langsam gerate ich in Verzug, habe ich das Gefühl :D

  • Ganz wunderbar. :love:

  • Ich finde es toll, dass meine Bitte nach mehr Piratengeschichten erfüllt werden. (Auch wenn das hier nur am Rande eine ist.) --- Ich mag auch diese hier sehr! <3

    • Ich habe lange gezögert - aber da Motte schon so viel gepostet hat und es es wichtig ist für Tabithas Entwicklung musste sie her.

  • Ich will gar nicht so viel schreiben, da die Szene für sich spricht also nur: <3

    • Ein Jahr! Ein Jahr hat es gebraucht, bis die zwei an diese Stelle angekommen sind.